Österreich nimmt keine Kinder aus Moria auf. Sebastian Kurz ist der Wiener Wahlkampf wichtiger.
Es ist Wahlkampf ist Österreich. Das ist zwar für die meisten Österreicher seit einigen Jahren ein gefühlter Dauerzustand, doch für den konservativen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist die Wien-Wahl in einem Monat eine besondere Herausforderung. Der sozialdemokratische Bürgermeister Michael Ludwig steht in der „roten Bastion“ Wien zwar schon jetzt als Wahlsieger fest, aktuell sieht es aber danach aus, dass er sogar noch zulegen kann. Für den Kurz-Vertrauten, amtierenden Finanzminister und ÖVP-Spitzenkandidaten Gernot Blümel sieht es gar nicht gut aus. In den Umfragen liegt er bisher weiter zurück als die Kurz-Partei sich das erhofft hatte.
Kurz ignoriert kritische Parteikollegen ebenso wie die Grünen
Wie gerufen kommt da die Katastrophe im griechischen Flüchtlingslager Moria. Kurz und seine Minister weigern sich beharrlich, Flüchtlinge aus dem abgebrannten Camp aufzunehmen. Und das, obwohl der Druck auf Kurz am Wochenende erheblich gestiegen ist: Immer mehr Staaten in Europa erklären sich zu Aufnahme und Verteilung bereit. Selbst das mächtige Boulevard-Blatt Kronen Zeitung – ansonsten streng auf Kurz-Linie – richtete einen offenen Appell an den Kanzler. Und es geschah etwas, dass unter der Messias-gleichen Parteiführerschaft von Kurz so gut wie nie vorkommt: Es gibt offene, sogar in den Medien vorgetragene Kritik von Parteikollegen an Kurz und seiner Blockadehaltung.
Die ignoriert Kurz ebenso wie seinen Koalitionspartner, die Grünen. „Dieses menschenunwürdige System von 2015 kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren“, sagt Kurz am Samstag in einer Videobotschaft. Die Grünen schaffen es nicht einmal bei ihrem ureigenen Thema, sich koalitionsintern durchzusetzen und versuchen es über die Medien: Man sei „bereit zu kämpfen“, aber es gebe „unterschiedliche Standpunkte“ und man „beiße auf Granit“. Fragt man dann noch weiter nach, kommt zweierlei: Im Parlament gäbe es für diese Pro-Flüchtlingshilfe-Position ohnehin keine Mehrheit, und: Man stelle sich vor, was eine ÖVP-FPÖ Regierung in der Migrationspolitik an Schaden anrichten würde. Alle Rhetorik erscheint leer, wenn grüne Politikerinnen nach Moria fliegen, dort Selfies mit Flüchtlingskindern machen, um dann zurück im Parlament gemeinsam mit der ÖVP gegen deren Aufnahme zu stimmen.
Parteiintern heißt es bei den Grünen, Werner Kogler sei "alles Wurst"
In regelmäßigen Abständen zeigen Österreichs Grüne überdeutlich, dass es ihnen in dieser Koalition nur minimal um Gesichtswahrung, sondern vor allem um Erhaltung der Koalition an sich geht: Regieren als Selbstzweck, und als einzige Legitimation das Mantra, dass ohne sie, die Grünen, ja wieder eine konservativ-extrem rechte Koalition Österreich regieren würde. Dem Parteichef, Werner Kogler, sei das „alles Wurst“, ist von grünen Parlamentariern hinter vorgehaltener Hand zu hören. Er wolle die Legislaturperiode durchregieren. Ganz offensichtlich überwiegt die Angst bei der grünen Parteispitze, bei einem vorzeitigen Auflösen der Regierung als Verlierer dazustehen. Selbst wenn für alle bereits offensichtlich ist, dass Kurz seinem Koalitionspartner, ganz anders als damals der rechten FPÖ, so gut wie keinen Spielraum geben will. Aus Gründen des Selbstwerts und auch für die eigene Wählerbasis mit erhobenem Haupt diese einseitige, für sie politisch völlig fruchtlose Beziehung zu verlassen, scheint den Grünen nicht einmal einen Gedanken wert zu sein.
„Austria First“, schien das Motto von Sebastian Kurz während der Brüssler Verhandlungen zum Corona-Hilfspaket für einige Wochen. Auch hier kümmerte den Kanzler die teils heftige Kritik von französischer und deutscher Seite herzlich wenig. Nun positioniert Kurz das einst für seine Hilfsbereitschaft bekannte Österreich in einer Reihe mit Ungarn, Polen der Slowakei und Tschechien.
„Kurz First“, das ist nun das Motto: Wählerstimmen fischen, um jeden Preis, und sei es, als Rechtspopulist zu erscheinen.
Lesen Sie dazu auch:
- Claudia Roth wirft Seehofer "Totalversagen" in Moria-Krise vor
- Entwicklungsminister Müller fordert Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Moria
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Die Diskussion ist geschlossen.
Auch er wird es noch spüren, dass er sich Querstellt. Das Land hätte doch für 50 Kinder Platz die man in Österreich erziehen kann und ihnen das europäische Leben beibringen könnte.
K. Brenner
Natürlich könnte Österreich 50 Kinder aufnehmen. Ich glaube auch nicht, dass Kurz sich nur deshalb weigert, weil er sieht, wie das Spiel z.B. der osteuropäischen Staaten läuft: Warten, bis sich andere bewegen, wenn nötig erpresserisch auftreten, um den eigenen Willen durchzusetzen. Der Schlüssel liegt meines Erachtens an Deutschland und Frankreich. Wenn beide Länder sich einig wären, z.B. Polen und Ungarn einmal die Folterwerkzeuge zu zeigen (z.B. Finanzierung des EU-Haushalts), könnte man viel in der Flüchtlingspolitik erreichen, wie EU-finanzierte Einwanderungszentren an den Außengrenzen Europas, die über das Bleiberecht entscheiden, oder eine systematische Verteilung von Flüchtlingen in der EU kombiniert mit einem finanziellen Lastenausgleich für aufnehmende Staaten. Kurz will nicht akzeptieren, dass immer wieder nachgegeben wird unter dem moralischen Druck der Fernsehbilder aus Moria. Ihn nur immer wieder als rechtspopulistisch zu bezeichnen und ihn ethisch zu verurteilen, finde ich völlig ungerechtfertigt. Seine Haltung war klar, lange bevor der Wahlkampf in Wien begann. Sie erscheint mir hart, will man sie aber bewerten, sollte auch mal eine deutlichere Wertung bezüglich eines Landes wie Polen vornehmen, das erzkatholisch ist, in dem jeden Sonntag von 5 Uhr morgens bis 11 Uhr vier Messen in den Kirchen gut besucht sind, Nächstenliebe anscheinend aber bei großen Teilen der Bevölkerung endet, wenn es um Menschen mit einer anderen Religionszugehörigkeit geht.
Anstatt sich über Regierungschefs anderer Länder zu echauffieren sollten wir lieber unsere eigene Migrationspolitik überdenken. Ja,die Bedingungen auf Moria sind unwürdig aber warum ist das überhaupt dazu gekommen? Und fragt sich mal jemand was passiert wenn jeder der seinen Willen nicht bekommt anfängt seine Behausung anzuzünden?
Beneidenswert das Österreich einen solchen Kanzler hat.
Ich wünsche uns eigtl keinen österreichischen Kanzler mehr...
Gut analysiert!
Anmerken möchte ich nur, dass Kurz nicht "als Rechpopulist erscheinen" muss, er ist defacto einer. Populistisch wie a Fahnerl im Wind , europapolitisch nahe der Visegradstaaten und in der Flüchtlingspolitik auf Linie der (unterschiedlichen) Rechtspopulisten.
Entlarvend, wie die Grünen um der Posten und des Mitregierens willen da mitspielen.
K. Brenner
Im Gegensatz zu Deutschland hat Kurz für sein Land eine klare sachlich begründete Strategie gewählt, nämlich die Unterstützung einer europäischen Lösung basierend auf folgenden Eckpfeilern: Aufnahmezentren für Flüchtlinge an den Außengrenzen der EU, wo über das Bleiberecht entschieden wird, Hilfe für die Staaten in den Quellgebieten der Migration zur Verbesserung ihrer Lebenssituation und die Bekämpfung des Schleusertums. Außerdem wird Österreich sich an der Aufnahme von Flüchtlingen wieder beteiligen, wenn sich die EU zusammenrauft. In der BRD sehe ich keine Zielsetzung whatsoever, außer dass man moralisiert. Herr Kurz kann mit dem Vorwurf des Rechtspopulismus gut leben.