Gesundheitsminister Spahn und die Impfstoff-Misere
Gesundheitsminister Jens Spahn gerät unter Druck, weil die Verteilung des knappen Impfstoffs stockt. Er sieht keine Chance für ein Ende des Lockdowns.
Die Wirklichkeit hat den Minister schnell eingeholt. Nur wenige Stunden nachdem er am Mittwoch seine europäische Impfstoffstrategie verteidigt hat, fallen über Jens Spahn (CDU) seine Amtskollegen aus den Bundesländern her. Sie motzen in eindeutigen Worten darüber, dass erst wieder in der zweiten Januarwoche frisches Corona-Gegenmittel geliefert wird. Bislang hat Spahn in den Augen der meisten Wähler vieles richtig gemacht im ausgehenden Seuchenjahr. Er ist zum beliebtesten Politiker des Landes aufgestiegen.
Doch Dankbarkeit ist keine Kategorie im politischen Mahlwerk. Im neuen Jahr wird der Bundesgesundheitsminister daran gemessen werden, wie schnell und umfassend die Deutschen die rettenden Spritzen bekommen. Zwischen den Nationen wird ein scharf beäugter Wettbewerb ausgetragen, wer am schnellsten Millionen Menschen impfen kann.
Israel und Großbritannien im Impf-Wettrennen vorn, Deutschland hinten
Derzeit liegt Israel vorn, das schon über fünf Prozent seiner Bewohner geimpft hat, während Deutschland noch meilenweit von einem Prozent entfernt liegt. Die Regierung in Tel Aviv hat dem US-Pharmakonzern Pfizer schlichtweg mehr Geld bezahlt und wird bevorzugt mit dem von Biontech in Deutschland entwickelten Impfstoff versorgt. Pfizer ist der Produktionspartner von Biontech.
Großbritannien hat nun bereits die Zulassung für den dritten Impfstoff erteilt und peilt für das Frühjahr Herdenimmunität an, während Berlin und die EU-Partner noch auf Genehmigung von Nummer zwei warten.
Der deutsche Gesundheitsminister muss jetzt erleben, dass europäische Solidarität zwar gerne beschworen wird, sie aber in der Heimat keinen Applaus einbringt, wenn sie in Anspruch genommen wird. Eindringlich warb Spahn daher dafür, kleinere EU-Länder nicht allein zu lassen im Kampf gegen den Erreger. Als Beispiel nannte er Kroatien. „Bis so ein Medikament in Kroatien in der Versorgung angekommen ist, vergehen teilweise Jahre. Ich weiß gar nicht, ob die Deutschen sich das immer bewusst machen?“
Jens Spahn's Dilemma: Es müssen mehr Impfstoffe her
Spahn steht vor dem Dilemma, dass er jetzt nicht mehr umsteuern kann. Die europäische Abmachung aufzukündigen, ist undenkbar. Biontech arbeitet am Aufbau einer Fabrik in Marburg, die aber erst im Februar angefahren werden wird. Pfizer beliefert die ganze Welt. Selbst wenn beide Unternehmen zustimmen würden, dass andere Pharmabetriebe ihr Mittel in Lizenz herstellen dürften, vergingen Wochen bis zum Anlaufen der Anlagen.
Die einzige Hoffnung für eine bessere Versorgung ist die Zulassung anderer Impfstoffe. Die US-Firma Moderna wird in der EU mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 6. Januar die Genehmigung für ihren Wirkstoff erhalten. „Ich sehe dem mit Zuversicht entgegen, dass wir auch hier einen guten Impfstoff haben werden“, sagte der Chef der deutschen Zulassungsbehörde, Klaus Cichutek. Die nach dem Medizin-Nobelpreisträger Paul Ehrlich benannte Behörde ist an der Prüfung des Moderna-Präparats auf europäischer Ebene beteiligt.
Corona in Deuschland: Hoffen auf weitere Impfstoffe und langer Lockdown
Aber selbst wenn der Impfstoff grünes Licht erhält, wird das die angespannte Lage in Deutschland nur lindern. Der Gesundheitsminister rechnet mit anderthalb bis zwei Millionen Dosen, die davon bis Ende März an die Bundesrepublik geliefert werden können. Ähnlich wie bei dem Biontech-Serum muss auch das Moderna-Mittel zweimal gespritzt werden. Aus diesem Grund werden höchstens eine Million Menschen hierzulande von dem Stoff geschützt werden. Hinzu kommen sechs Millionen weitere, die je zwei Spritzen mit dem Biontech-Produkt erhalten sollen. Sieben Millionen Geimpfte reichen aber nicht aus, um den Erreger wirksam zurückzudrängen.
Spahn muss also darauf setzen, dass mindestens der Pharmariese AstraZeneca nach Großbritannien auch schnell eine Zulassung in der EU erhält. Cichutek gab sich zuversichtlich, dass das bald erfolgen kann.
Weil das Impfen hierzulande nur stockend in Gang kommt, dürften in den nächsten Wochen die Kliniken weiter schwer beansprucht sein. Spahn schloss eine Lockerung des Zwangsstillstandes („Lockdown“) nach dem 10. Januar daher aus. „Da ist kein Weg, dass das in zwei oder drei Wochen vorbei ist.“
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In der SZ war heute auf Seite 30 zu lesen, dass laut Gesundheitsstaatssekretär Holetschek in Bayern "die Hälfte der Impfdosen zurückgestellt werde", um diese Dosen für die zweite für die endgültige Immunisierung wichtige Impfung einige Wochen später vorzuhalten.
Ich hoffe, dass es sich dabei um eine Zeitungsente handelt, denn das wäre wirklich ein unglaublicher Schildbürgerstreich. Während anderswo darüber nachgedacht wird, die zweite Impfung zeitlich weit nach hinten zu verlagern, um die Zahl der einmalig Geimpften kurzfristig zu verdoppeln, würde diese in Bayern erst einmal halbiert. Könnte dem in der Redaktion jemand nachgehen? Danke!
„Bis so ein Medikament in Kroatien in der Versorgung angekommen ist, vergehen teilweise Jahre. Ich weiß gar nicht, ob die Deutschen sich das immer bewusst machen?"
Was soll der Quatsch von Spahn? Was hat das mit Solidarität zu tun? Hier geht es um Menschenleben. Entweder man steuert das zentral für die ganze EU oder lässt das, so wie jetzt, die eigenen Länder tun. Dann aber bitte mit mehr "Dampf"! Sollten dann "kleinere Länder" Schwierigkeiten haben, muss man eben denen helfen und nicht warten, bis diese (bzw. deren Bürokratie) auch soweit sind!
Die Enden der Lieferkette (Gemeinden, Kommunen, Impfzentren) haben rechtzeitig das Ihre getan. Wo es hakt, ist wieder mal die Organisation und Logistik, gesteuert von "Oben"
Impfstoffhersteller enteignen und entschädigen und dann so lange nur für den europäischen Bedarf produzieren bis alle genug Impfstoff haben.
Sie meinen das doch nicht ernsthaft, denn so egoistisch dürfte wohl niemand sein. Dass auch Menschen außerhalb Europa den Impfstoff nötig brauchen stört anscheinend überhaupt nicht.
@Richard M
Doch meine ich vollkommen ernst.
Erst mal muss man sich um sich selbst kümmern! Was in Afrika oder sonstwo ist interessiert mich da nur am Rand.
Sollten sich alle Ihre Mitmenschen im Falle eines Falles z. B. Ärzte und Pflegepersonal, nach Ihrer Maxime "Erst mal muss man sich um sich selbst kümmern!" verhalten, dann sehr geehrter FRANZ W., gehen Sie keinen guten Zeiten entgegen.
(edit/mod/bitte sachlich argumentieren/NUB 7.3). .
>>Erst mal muss man sich um sich selbst kümmern!<<
Von Ihnen habe ich auch nichts anderes erwartet. Ich möchte nicht zu denen gehören, die einen Verletzten liegen lassen, weil sie zuerst an sich denken. Mit ihren Eigenschaften wäre es in unseren Krankenhäusern wohl sehr schlecht bestellt.
Nehmen Sie sich die vielen Pflegekräften und Krankenschwestern zu Herzen, die zuerst an die Patienten denken und ihr privates Leben weit hinten anstellen. Nichts für ungut, aber lassen sie bitte ausnahmsweise mal ihr Gehirn etwas arbeiten.
Gesundheitsminister Spahn und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gemeinsam in einem Bericht mit dem US-Pharmakonzern Pfizer und der Impfstoff-Misere zu nennen erinnert an eine Soap-Opera mit kriminalistischem Komödien-Drama.