Aus dem Alltag eines Journalisten: Ein Präsentkorb ist der Star
Vergessen Sie den Bürgermeister, den Vorsitzenden oder den Kleingärtner - auf Fotos aufgereihter Menschen darf nur einer nicht fehlen: der "Fresskorb".
Lassen Sie uns über Gruppenfotos sprechen. Bilder von aufgereihten Menschen gehören nicht unbedingt zu den Lieblingsmotiven eines Journalisten. Schon das Anfertigen dieser fotografischen Kleinkunstwerke kann nervenaufreibend sein. Aber das kennt man ja von Familienfeiern, wo der Onkel im entscheidenden Moment die Augen zu hat und der jüngste Enkel die Zunge raus streckt. Bei Bildern, die in der Zeitung oder online erscheinen sollen, kommt erschwerend hinzu, dass sich bisweilen der Dritte Bürgermeister oder jemand anders, der unbedingt noch etwas werden will, heimlich vor die Linse schmuggelt.
Ein Präsentkorb gehört zu den Utensilien jedes Kommunalpolitikers
Der wahre Star auf den meisten Gruppenfotos ist allerdings der sogenannte Präsentkorb, despektierlich auch "Fresskorb" genannt. Das in Cellophan verhüllte Flechtwerk gehört zu den unverzichtbaren Utensilien eines jeden Kommunalpolitikers. Mittwochnachmittag auf einen Eierlikör zum 100. Geburtstag der rüstigen Seniorin, am Abend zeichnet die Freiwillige Feuerwehr ihre langjährigen Mitglieder aus. Weiter zum hiesigen Schützenverein, wo ein neuer Oberschütze gewählt wird und abschließend zum Benefiz-Grillfest in die Kleingartenanlage. Da kann man als Bürgermeister ja unmöglich mit leeren Händen kommen. Ein Präsent muss her, am besten gleich ein ganzer Korb voll.
Was sich mit den Jahren geändert hat, sind die Ingredienzien dieses repräsentativen Mitbringsels mit Henkel und Schleife, das aus dem Vereinswesen ebenso wenig wegzudenken ist wie das Ehrenamt. Zu den Klassikern der ersten Stunde gehört Hochprozentiges. Nehmen wir eine Williamsbirne, da kann man nicht viel falsch machen. Oder, wenn es ein bisschen mondäner sein soll: Danziger Goldwasser. Dazu Wurstspezialitäten, eingeschweißt, im Glas oder in der Konserve. Ein Stück Käse, Marmelade, Honig. In den Wirtschaftswunderjahren wurde der "Fresskorb" zum Symbol des wachsenden Wohlstandes. Endlich gab es wieder alles. Gerne genommen wurden damals auch Südfrüchte, Weintrauben, Schokolade und Bohnenkaffee. Irgendwann wurde dann das Mediterrane hipp. Wer etwas auf sich hielt, packte Parmaschinken, Salami (luftgetrocknet!), italienische Pasta, eingelegte Tomaten, Oliven und eine Flasche Grappa auf die Kunststrohunterlage. Heute hingegen muss es regional sein. Oder Bio. Oder beides.
Wo kommt der Inhalt der Geschenkkörbe eigentlich her?
Irgendwo in den Rathäusern vermuten wir einen geheimen Raum, der bis zur Decke voll gestapelt ist mit Geschenkkorb-Bausätzen für feierliche Anlässe aller Art. Denn man kann natürlich nicht jedem alles einpacken. Wer beim Veggie-Barbecue der grünen Jugend einer Blamage entgehen will, sollte nicht mit einer Variation von rotem und weißen Presssack auftauchen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mischung von Mate-Tee-Variationen beim Jubiläum der örtlichen Fingerhakler ein positives Grundgefühl erzeugen würde, liegt allenfalls im Promillebereich. Ebenfalls interessant: Im Geschenkkorbbereich herrschen noch traditionelle Rollenbilder. Für die Frauen gibt es Piccolo, für die Männer Schnaps.
Zum Ritual gehört auch, wie die Sammelsurien von Köstlichkeiten schon Sekunden nach der festlichen Überreichung ins Blitzlichtgewitter gestreckt werden, als ginge es um die Champions-League-Trophäe oder das Bundesverdienstkreuz. Dass die Schenker auf den eingangs erwähnten Gruppenfotos bisweilen mehr Stolz im Blick zu haben scheinen, als die Beschenkten selbst, ist natürlich ein übles Gerücht.
"Der Geschenkkorb ist wie das Leben – man weiß nie, was man kriegt"
Wenn man in die Ferne schweift, müssen übrigens zwingend heimische Spezialitäten ins Körbchen. Als der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer einmal vom Papst in Rom empfangen wurde, hatte er selbstverständlich ein standesgemäßes weiß-blaues Gebinde mit Bier, Weißwurst, Brezen, Leberkäs und Schnupftabak dabei. Seehofers Nachfolger Markus Söder wiederum kam ein paar Jahre später mit Süßigkeiten daher – und musste sich von Franziskus prompt die Frage gefallen lassen: "Wie, aus Bayern und kein Bier dabei?" Der Landesvater versicherte dem Kirchenvater eilig, ein Fass Gerstensaft werde noch nachgeliefert.
Einem amerikanischen Präsidenten hätte ein solcher Fauxpas niemals passieren können. Denn in den USA überlässt man beim Schenken nichts dem Zufall und hat eigens den ehrbaren Beruf des Präsentkorb-Designers ("Basketeer") erfunden. In bayerischen Gemeinden hingegen wird meistens noch selbst gepackt. Und so gilt, frei nach dem Filmklassiker "Forrest Gump", auch künftig das Motto: "Der Geschenkkorb ist wie das Leben – man weiß nie, was man kriegt."
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Die Diskussion ist geschlossen.
Das süffisante und augenzwinkernde in diesem Artikel ist nur ein Stück weit Fassade. Geschenkkörbe, Jubiläumspräsente, etc. sind z.B. für örtliche Brauereien, Metzgereien, Feinkostläden, Weinhandlungen, (in den Weinbaugebieten) die Winzer ein nicht ganz unwichtiger Umsatzbringer. Da hängen in der Summe auch einige Arbeitsplätze dran.
Übrigens, ein Sektor der mit dem Unsinn von "Compliance" schon heftig zum Schrumpfen gebracht wurde. Unsinn in dem Sinne, dass kleine Geschenke verboten und große Deals - siehe Goldfinger, CumEx, - etc. den Mantel der Legalität erhalten.
Und desweiteren hilft der Verkauf solcher Präsente aktuell so manch Corona-geschädigten Laden mit über die Runden.
Ein durchaus ernstes Thema - wie ich meine.