Hin und her gerissen
Hamburg Im Grunde sind Hamburgs Grüne selbst schuld. Hätten sie bei den Koalitionsverhandlungen für Deutschlands erstes schwarz-grünes Bündnis auf Landesebene nicht auf verbindlichen Volksentscheiden bestanden, müsste ihre Schulsenatorin Christa Goetsch nun nicht um ihr Vorzeigeprojekt zittern. Die Grünen-Politikerin könnte Volkes Willen einfach ignorieren. So aber bleibt ihr nur noch zuzusehen, was die Bürger des Stadtstaats mit einem Kern ihrer Schulreform machen.
Votieren die knapp 1,3 Millionen Wahlberechtigten am Sonntag beim ersten verbindlichen Volksentscheid der Stadt gegen die Schulreform, wird es in Hamburg keine sechsjährige Primarschule geben - und ein bundesweit beobachtetes Modell bekäme arge Schrammen ab.
Die neuen Primarschulen sind ein Teil der größten Schulreform in der Nachkriegsgeschichte Hamburgs. Andere Vorhaben sind weniger umstritten: Selbst wenn Goetsch im Volksentscheid verliert, würden demnächst die Klassen kleiner, die Lehrer mehr und die Unterrichtsstunden für die Schüler vielschichtiger werden. Auch wird es dann neben den Gymnasien statt der Haupt-, Real- und Gesamtschulen nur noch Stadtteilschulen geben, die alle Abschlüsse bis hin zum Abitur nach 13 Jahren anbieten.
Gleichwohl wäre ein Nein der Hamburger zur Schulreform eine herbe Niederlage für Schwarz-Grün und auch die Oppositionsparteien SPD und Linke, die sich in der Bürgerschaft einstimmig dafür ausgesprochen hatten. Die Politiker hätten dann offenkundig komplett an ihren Wählern vorbei entschieden. Aus Goetschs Sicht wäre dann auch ein zentrales Ziel der Reform beschädigt: die Gerechtigkeit. Schließlich treibt die frühere Lehrerin vor allem um, dass Kinder aus bildungsfernen oder sozial schwachen Schichten in Hamburg regelmäßig unter die Räder kommen. Vor allem Kinder mit Migrationshintergrund und teilweise schlechten Deutschkenntnissen hätten kaum eine Chance auf höhere Abschlüsse, klagt sie.
Letzterem widerspricht auch Reformgegner Walter Scheuerl nicht. Der Sprecher der Initiative "Wir wollen lernen" und mittlerweile Albtraum der Regierenden zieht allerdings ganz andere Schlüsse daraus: Seiner Meinung nach hilft längeres gemeinsames Lernen nicht. Es schade Kindern aus sozial benachteiligten Milieus vielmehr, da sie bei sechsjährigen Primarschulen noch länger beieinander wären statt sich frühzeitig umzuorientieren. Und auch leistungsstarke Schüler würden behindert, da sie sich im Verbund mit deutlich schwächeren Kindern langweilten.
Viel war in den vergangenen Wochen von einer Spaltung der Stadt die Rede, sogar das Wort vom "Schulkrieg" kursierte. Das mag übertrieben sein, aber es wurde in der Hansestadt diskutiert wie lange nicht mehr. Sowohl Anhänger als auch Gegner der Schulreform - darunter sind viele Anhänger des traditionellen dreigliedrigen deutschen Schulsystems aus gutbürgerlichen Stadtteilen - beriefen sich auf pädagogische Argumente. Ärzte warben in ihren Praxen gegen die Reform, prominente Unternehmer priesen auf Plakaten die Vorzüge. In einigen Vierteln gründeten sich kleinere Pro- und Kontra-Unterstützergruppen. Während die einen für mehr Chancengerechtigkeit warben, warnten die anderen vor einer Schwächung der Gymnasien.
Jedes Lager hat zahlreiche Experten zur Bestätigung der eigenen Position präsentiert. Eindeutig ist nur der ursprüngliche Befund: Egal, welche Untersuchung zur Leistungsfähigkeit der Hamburger Schüler herangezogen wird, ob Pisa, Iglu oder Kess, die Hansestadt belegt stets hintere Plätze. Die Wirtschaft beklagt zudem, viele der Lehrstellenbewerber kämen ausbildungsunfähig aus den Schulen. Für Bürgermeister Ole von Beust (CDU) war der deshalb drohende Fachkräftemangel ein wichtiges Argument, seine ursprüngliche Meinung zum Entsetzen seiner CDU-Freunde radikal zu ändern.
Scheitert die Reform, dann würde Hamburg den Ausbau der Primarschulen nicht weiter vorantreiben, kündigte Senatorin Goetsch an. "Volksentscheide sind in Hamburg verbindlich. Dafür haben wir Grüne uns eingesetzt." Einen Rücktritt schloss sie für sich aber aus. Markus Klemm dpa mit afp, ddp
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