"Ich habe sie lieben gelernt"
Es war Liebe auf den zweiten Blick. Als Ankepetra Rettich und Franz Müntefering näher kennen lernten, hatten sie zwar bereits eine gemeinsame sozialdemokratische Vergangenheit, brauchten aber eine Weile, bis sie zueinander fanden. Am Schluss war die Liebe wichtiger, als die Politik. Von Rudi Wais
Von Rudi Wais
BerlinBonn. Es ist Liebe auf den zweiten Blick. Als Ankepetra Rettich und Franz Müntefering sich Anfang der neunziger Jahre näher kennen lernen, haben sie bereits eine gemeinsame sozialdemokratische Vergangenheit: Er als Bundestagsabgeordneter, sie als Mitarbeiterin der SPD-Fraktion. Die temperamentvolle Mittvierzigerin mit der frechen Kurzhaarfrisur und der spröde Sauerländer brauchen eine Weile, bis sie zueinander finden Müntefering selbst sagt Jahre später: "Ich habe sie lieben gelernt."
Am Donnerstag hat Ankepetra Müntefering nach sechs Jahren den Kampf gegen den Krebs verloren. Es war ein verzweifelter, einsamer Kampf - und doch auch ein öffentlicher. Ihr zuliebe tritt ihr Mann im November als Arbeitsminister und Vizekanzler zurück. Die Dinge zuhause, sagt er damals, seien nach der fünften Operation binnen weniger Jahre "dramatisch eskaliert." Seine Frau habe nun eine lange Phase der Reha vor sich. "Und ich möchte dabei sein." Er gibt die Hoffnung, dass sich die Dinge sich zum Besseren wenden, nicht auf. Noch nicht.
Im Sommer 2002, kurz vor der Bundestagswahl, hat Müntefering schon einmal überlegt, ob er die Politik nicht Politik sein lassen soll. Die Nachricht, dass seine Frau Krebs hat, ist da noch ganz frisch. Schnell aber entscheiden beide sich, ihr Leben so normal wie möglich weiterzuführen. Er wird Fraktionschef, sie arbeitet weiter in der Fraktion, zuletzt im Büro von Münteferings Geschäftsführer Olaf Scholz.
Auf neue Operationen und neue Chemotherapien folgen immer wieder Phasen in denen es ihr besser geht. Dann sitzt sie am Wochenende mit ihrem Franz in Berliner Straßencafes, er einen Zigarillo im Mund, sie eine Zigarette. Seit 1995 sind sie verheiratet, Müntefering hat aus erster ehe zwei Töchter, sie aus einer früheren Beziehung einen Sohn. Ein echter Kumpel sei seine Ankepetra, schwärmt er in einem Interview. "Eine, mit der man Pferde stehlen kann." Für ihn, der mit seinen Emotionen nicht gerade verschwenderisch umgeht, ist das die größte denkbare Liebeserklärung.
Bereits vor Münteferings Rücktritt ist das Paar wieder zurück aus der Plattenbauwohnung am Brandenburger Tor in ein Reihenhaus nach Bonn gezogen, wo ihr Sohn lebt und die Uni-Klinik nicht weit ist, in der sie mehrfach operiert wird. Hier, in der alten Hauptstadt, hackt der 68-jährige eines Abends noch eine empörte Abrechnung mit Kurt Becks neuem Linkskurs in seine alte Schreibmaschine und faxt sie noch in der Nacht ins Willy-Brandt-Haus. Münteferings Tage jedoch gehören seiner sechs Jahre jüngeren Frau, der es zunehmend schlechter geht. Er sei jetzt, sagt er im Scherz zu Freunden, ihr "Oberpfleger."
Sollen sie in Berlin ruhig darüber spekulieren, ob er noch einmal als Parteichef oder gar als Kanzlerkandidat in Frage käme: Er hat jetzt andere Sorgen. In existenziellen Situationen, wehrt Müntefering ab, "relativiert sich manche politische Aufgeregtheit." Die Bild-Zeitung schreibt anschließend: "Die Liebe ist ihm wichtiger als die Politik."
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