In 99 Tipps wird Flüchtlingen Deutschland erklärt
Ein syrischer und ein deutscher Autor haben einen erfolgreichen Ratgeber für Flüchtlinge verfasst. Das Buch soll beiden Seiten helfen, Verständnis füreinander zu entwickeln.
Neue Bräuche, neue Regeln, neue Kultur. Für Flüchtlinge aus Syrien, dem Iran oder Afghanistan ist die Ankunft in Deutschland ein Schritt in eine andere Welt. Damit die Zuwanderer Begriffe wie Mülltrennung oder Straßenverkehrsordnung besser verstehen, haben der syrische Wirtschaftswissenschaftler Ameen Alkutainy und der deutsche Kommunikationsberater Nikolaus von Wolff einen Taschenratgeber auf den Markt gebracht. Der Titel: „Wir schaffen das – 99 Tipps und Fakten für Zuwanderer und Einheimische.“
Schnelleinstieg in die deutsche Lebenswirklichkeit
Das Buch verspricht einen „Schnelleinstieg in die deutsche Lebenswirklichkeit“, es ist eine Art Crashkurs für Deutschland und seine Kultur. Die Autoren verhehlen nicht, dass sich ihre Tipps auch an einheimische Leser richten. „Den Deutschen wollen wir den Spiegel vorhalten“, sagt Autor von Wolff. So heißt es etwa in Tipp 31: „Deutschland ist das einzige Land, wo sogar bei privaten Treffen Pünktlichkeit erwartet wird.“
Generell sind die Ratschläge sachlich, freundlich optimistisch und mit viel Verständnis für die Situation der Flüchtlinge formuliert. So lautet gleich der erste Punkt: „Mit Blick auf die Zukunft bedeutet Ihre Ankunft in Deutschland Hoffnung. Versuchen Sie, die Schrecknisse und das Leid der Vergangenheit so weit wie möglich hinter sich zu lassen und sich für einen neuen Anfang zu entscheiden.“
Entstanden ist das Buch bereits im Herbst unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise in Europa. Besonders die Willkommenskultur am Münchner Hauptbahnhof habe die Autoren inspiriert, dieses Buch zu schreiben, erklärt von Wolff.
Schwierig sei es im Vorfeld gewesen, Themen wie religiöse Toleranz oder sozialstaatliche Leistungen so einzugrenzen, dass sie als Orientierungshilfe oder Diskussionsgrundlage im Zusammenleben von Zuwanderern und Einheimischen in Deutschland dienen können. „Religiöse Gruppen respektieren sich gegenseitig in friedlicher Weise“, heißt es nun in dem Buch.
Und auch den in vielen arabischen Ländern vorherrschenden Antisemitismus sparen die Autoren nicht aus: „Jüdische Gemeinschaften sind anerkannte Mitglieder der deutschen Gesellschaft“, betonen sie in einem Tipp. „Es wird von allen Gruppen, auch von Immigranten in Deutschland, erwartet, dass sie sich Hassreden und Agitation gegen Juden oder andere ethnische oder religiöse Gruppen enthalten.“
Dreisprachiger Ratgeber für Flüchtlinge
Zwei Monate haben Alkutainy und von Wolff diskutiert, recherchiert und geschrieben. Herausgekommen ist der erste dreisprachige Ratgeber für Flüchtlinge in Arabisch, Englisch und Deutsch. Die 99 Tipps erhalten viele praktische Ratschläge, die sich für Deutsche selbstverständlich anhören, aber bei vielen Einwanderern manchmal den Erfahrungen aus ihrer Heimat widersprechen. So wie in Nummer 59: „Wenn Sie von Fremden angegriffen werden, scheuen Sie sich nicht, die Polizei zu rufen. Deutsche Polizistinnen und Polizisten sind umfangreich ausgebildet und haben die gesetzliche Verpflichtung, Ihnen zu helfen. Polizisten in Deutschland sind nicht bestechlich. Es ist verboten, Polizisten Geld anzubieten, um Vorteile zu erreichen.“
Auch das Thema Gleichberechtigung nimmt breiten Raum ein: „Es ist gesetzlich unzulässig, und es wird als stark diskriminierend empfunden, wenn Sie die Zusammenarbeit mit Frauen verweigern, etwa mit Ärztinnen, Wohnungsmaklerinnen, Polizistinnen oder Behördenmitarbeiterinnen“, stellt der Ratgeber klar. „Sagen Sie niemals zu einer Frau: Ich möchte aber bitte mit einem Mann sprechen.“
Ebenso klar ist die Ansage: dass muslimische Frauen in Deutschland die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen haben und selbst entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht: „Niemand darf sie dazu zwingen“, heißt es an die Adresse der muslimischen Männer. Erst recht gelte dies für die Wahl des Partners oder die Ausbildung: „Frauen treffen ihre Lebensentscheidungen und auch ihre Alltagsentscheidungen selbst.“
Die Autoren wissen, von was sie schreiben. Ameen Alkutainy stammt aus Aleppo in Syrien und studierte an der Universität Damaskus. Nikolaus von Wolff arbeitet seit fast zwanzig Jahren international als Mediendesigner und politischer Kommunikationsberater. Sie kennen also beide Seiten. Von Wolff sagt: „Es gibt so viele Texte, die zu regelhaft und ernst sind. So etwas verbreitet Angst. Das wollten wir ändern.“
Die Autoren wollen ihre 99 Tipps deshalb nicht als Knigge verstanden wissen. „Unser Buch ist etwas zum Lesen. Wir wollen mit einem schwierigen Thema spielerisch umgehen.“ Manche Tipps sind auch für Deutsche unterhaltsam, zum Beispiel dieser: „Lesen Sie viel und laufen Sie, lachen Sie und sprechen mit anderen, genießen Sie die Natur und Gastfreundschaft dort, wo Sie sie finden können.“
Anfangs konnte man die Tipps nur als E-Book im Internet herunterladen. Wegen der großen Nachfrage ist der Ratgeber seit wenigen Wochen auch gedruckt als Taschenbuch für 4,99 Euro erhältlich. Inzwischen ist der Ratgeber ein voller Erfolg. Flüchtlingsorganisationen machten sogar Sammelbestellungen, sagt von Wolff. Erst kürzlich habe eine Initiative aus Hamburg ein ganzes Paket von Ratgebern für unbegleitete minderjährige Asylbewerber bestellt.
Von bösartigen, hetzerischen Reaktionen sind die Autoren bislang hingegen verschont geblieben. Von Wolff hat dafür eine Erklärung: „Vielleicht liegt es daran, dass unser Buch nicht polarisiert.“
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