In der Haut eines Abgeordneten
Wie ist das so als Politiker? Gut 300 Jugendliche schlüpfen vier Tage lang in die Rolle von Parlamentariern. Auch vier aus der Region
Berlin Dreht Thomas Lidel sein Namensschild um, dann wird aus dem Augsburger Abiturienten und Mitglied der Jungen Union der 55-jährige Bundestagsabgeordnete Karl Schütz – DDR-Bürgerrechtler und Vater zweier Kinder. Das ist das Prinzip des Planspiels „Jugend und Parlament“ (JuP). Über 300 junge Menschen von 16 bis 21 Jahren schlüpfen in die Rolle fiktiver Politiker, um in Berlin vier Tage lang die parlamentarische Demokratie zu erleben. Die Parteinamen sind ebenfalls erfunden, die Fraktionen aber sind an die Realität angelehnt.
Auch vier junge Männer aus der Region beraten über die Themen Energiesicherheit, Schüler-BAföG, Pressefreiheit und die Änderung des Wahlrechts. Wie Thomas Lidel muss sich auch Maximilian Kummer erst mit seiner Rolle anfreunden. Im normalen Leben engagiert sich der Augsburger Schüler bei den Julis, der Jugendorganisation der FDP. Bei JuP ist er Lidels Parteikollege in der konservativen Christlichen Volkspartei (CVP). „Meine Rolle ist bieder, bieder, bieder“, beschreibt der 18-Jährige sein 55-jähriges Alter Ego. Dritter im CVP-Bunde ist Jonas Pioch, 21. Der Jura-Student sitzt im Landsberger Stadtrat und hat eine eigene Partei gegründet. Er soll sich in einen 58-jährigen Forstwirt hineindenken.
An ihre Lebensläufe müssen sich die drei noch gewöhnen, über die ihnen zugeloste Partei freuen sie sich. „Ich bin froh, dass ich nicht bei den Linken, Sozialen oder Grünen gelandet bin, das hätte echt Folterqualität“, sagt Jonas Pioch. Die anderen beiden nicken. Nur Yannic Rehm ist im echten Leben noch parteilos. Der 16-jährige Schüler aus Weißenhorn im Landkreis Neu-Ulm sitzt als Arzt in der Liberalen Reformpartei (LRP) – dem Koalitionspartner der Konservativen.
Meist noch in Jeans und T-Shirt gekleidet wirken die „Abgeordneten“ am ersten Tag wie eine große Gruppe Schüler. Erst ein lauter Gong lässt das Geplapper im Plenarsaal des Bundestags verstummen. Die Aufmerksamkeit gehört der echten SPD-Abgeordneten Petra Ernstberger. Bei der Begrüßung fordert sie ihre Zuhörer auf: „Versuchen Sie wirklich, in die Haut dieses Menschen zu schlüpfen.“
Das gelingt nicht allen JuP-Teilnehmern. Die legere Sommerkleidung haben sie am zweiten Tag zwar überwiegend gegen Anzüge und Kostüme getauscht. Doch bei der Diskussion in Landesgruppe und Fraktion kommt etwa im Fall von Jonas Pioch mehr der Jurist durch als der Forstwirt. Als Sprecher des Rechtsausschusses plädiert er für eine Änderung des Grundgesetzes, um das Wahlalter auf 16 Jahre zu reduzieren. Dank klarer Argumente und eines guten Vortrags gehört ihm die Aufmerksamkeit. Sein Antrag bekommt dennoch keine Mehrheit. Bei dem Thema könnte er sich sogar vorstellen, gegen die Fraktionsdisziplin zu verstoßen – trotz der eindringlichen Bitte des Fraktionschefs, sie einzuhalten, „weil sonst stehen wir alle ziemlich blöd da“.
Auch Thomas Lidel fällt der DDR-Bürgerrechtler und Sozialpädagoge nicht leicht. Er stimmt gegen den Antrag, einen EU-Kommissar für Pressefreiheit einzurichten. Seine Rolle hin oder her: „Völlig sinnlos, das bringt nur Bürokratie“, entfährt es dem 20-Jährigen. Am Abend sind sich die drei CVP-Abgeordneten einig: „Die Rolle hat eigentlich nicht lange gehalten, die Personen sprechen für sich selbst.“
In den Ausschüssen sind die Meinungen auch innerparteilich durchaus noch kontrovers. In der Plenardebatte hält die Regierungskoalition gegenüber der Opposition aus Grünen (ÖSP), Sozialdemokraten (APD) und Linken (PSG) aber zusammen. Auch Jonas Pioch vertritt am Rednerpult die Parteimeinung – nicht seine. Die CVP verhindert die Änderung des Wahlrechts. Das Gesetz zur Energiesicherheit bringt die Regierungskoalition durch – allerdings ohne Konsens. Maximilian Kummers Fazit nach vier Tagen Parlament: „Zu behaupten, die tun nichts in Berlin, ist eine Lüge.“
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