
US-Vorwahlen in Iowa - und Trump spielt praktisch keine Rolle


Am 3. Februar beginnt die Kandidatenkür der Demokraten. Das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten ist weit weg. In Iowa kommt es auf andere Dinge an.
Auf dem Küchentisch stehen Kekse, Nüsse und Plastikbecher mit Wein. Doch es ist kein Durchkommen an diesem Nachmittag in der Villa von Channing Dutton. Mehr als hundert Leute hat der 65-Jährige bei eisigem Winterwetter an der Tür begrüßt. Die Hälfte der Besucher hockt nun auf Klappstühlen in dem Wohnzimmer mit Eichenholzdecke und Acrylgemälden. Der Rest drängt sich im Flur und rund um den Kochblock.
„Die Situation ist dramatisch. Es muss etwas passieren“, sagt der Hausherr beim Händeschütteln. Über sein Hemd hat er ein enges T-Shirt gezogen. „Climate Change is a Crisis“ – Der Klimawandel ist eine Krise – steht darauf. Seit 15 Jahren engagiert sich der Anwalt privat für den Umweltschutz. In seinem 380-Quadratmeter-Haus im Westen von Des Moines veranstaltet er an diesem Tag für Unterstützer eine Gesprächsrunde mit dem demokratischen Präsidentschaftsbewerber Tom Steyer.
Der Kandidat, dessen Gesicht auf zahlreichen Werbetafeln der Hauptstadt des Bundesstaats Iowa prangt, tritt mit hochgekrempelten Ärmeln und rot-blauer Schotten-Krawatte vors Publikum. Überzeugen muss Steyer hier niemand, wenn er argumentiert: „Wir können uns nicht immer vordringlich um andere Themen kümmern. Das Klima muss an erster Stelle stehen!“ Vor den bodentiefen Fenstern mit Waldblick hängt ein großes Plakat „Sei ein Klima-Wähler!“
Während Steyer im Villenviertel gegen die Erderwärmung kämpft, wird sein Konkurrent Andrew Yang an der Drake-Universität wenige Kilometer weiter schon als „der nächste Präsident Amerikas“ vorgestellt. Keine zehn Autominuten entfernt tritt derweil Ex-Vizepräsident Joe Biden vor einen Kamera-Pulk. Und Pete Buttigieg, der ebenfalls das Weiße Haus erobern möchte, sitzt im Auto zu einem Auftritt im Nachbarort Ames.
Es ist Januar, eine unwirtliche Zeit in Iowa, das als der wohl unspektakulärste „Überflugstaat“ im Mittleren Westen Amerikas gilt. Gut drei Millionen Menschen leben hier. Ansonsten gibt es sehr viel Mais und Schweine. „Ich komme aus Des Moines“, hat der amerikanische Schriftsteller Bill Bryson seiner Heimat ein ironisches Denkmal gesetzt: „Einer muss es ja.“

Der Nabel des nationalen Politikbetriebs
Doch alle vier Jahre wird das öde Agrarland zum Nabel des nationalen Politikbetriebs. Am 3. Februar beginnen hier nämlich die demokratischen Vorwahlen, an deren Ende im Juli der Herausforderer von US-Präsident Donald Trump gekürt wird. Seit der unbekannte Erdnussfarmer Jimmy Carter 1976 den Caucus in Iowa gewann und dann tatsächlich ins Weiße Haus einzog, gilt der Staat als wichtigster Frühindikator. Wer hier siegt, hat die Kandidatur zwar nicht sicher. Aber wer es umgekehrt nicht unter die ersten Drei schafft, der ist erfahrungsgemäß aus dem Rennen.
Entsprechend hoch ist die Politpromi-Dichte. Zwölf der einstmals 24 Bewerber für den Spitzenposten der Demokraten sind noch im Rennen. Außer dem Multimilliardär Mike Bloomberg, der die ersten Wahltermine auslässt, sprinten gerade alle in ihren Bussen oder SUVs kreuz und quer von Coffee Shops zu Schulhallen und weiter zum nächsten Gemeindezentrum durch den Bundesstaat.
Wer sonntagabends in der menschenleeren City von Des Moines hungrig im Restaurant „Centro“ landet, dem kann es passieren, dass plötzlich eine Frau im blauen Kapuzenpulli hereinstürmt und sich mit ihrem Mann an den Nachbartisch setzt. Zu Salat und Nudeln bestellt die linke Senatorin Elizabeth Warren ein Bier, das sie tatsächlich wie in ihrem Werbespot aus der Flasche trinkt. Für das Gespräch mit ihrem Begleiter hat sie aber nur wenig Zeit. Erst starrt sie konzentriert ins Smartphone, dann berät sie sich mit ihrem Team ein paar Tische weiter.
Auch im Örtchen Knoxville ist Warren schon gewesen. Farmersfrau Nancy Dittmer hat dort ihren Auftritt erlebt. „Elizabeth ist sehr klug“, sagt die 67-Jährige. Aber das Programm sei ihr etwas zu radikal. „Der künftige Präsident muss uns zusammenbringen“, findet sie. Das spräche für Joe Biden. Aber: „Hundert Prozent entschieden bin ich noch nicht“, gesteht Dittmer.

Erst 40 Prozent der registrierten Demokraten haben sich entschieden
Damit befindet sich die Seniorin in guter Gesellschaft. Erst 40 Prozent der registrierten Demokraten in Iowa wissen nach einer aktuellen Umfrage, wem sie ihre Stimme geben. Der Rest hat noch keine Meinung oder ist bereit, seine Präferenz zu überdenken. Entsprechend schwankend sind die Prognosen. Derzeit liegen Biden, Warren, der ultralinke Senator Bernie Sanders und der pragmatische Ex-Bürgermeister Pete Buttigieg mit Werten zwischen 15 und 20 Prozent in Iowa eng beieinander auf den ersten vier Plätzen. Mit etwas Abstand folgt Amy Klobuchar, die Senatorin von Minnesota. Milliardär Steyer besetzt einen krassen Außenseiterplatz.
Für Biden, der bundesweit als Favorit gilt, ist das trotzdem kein tolles Ergebnis. Wer den 77-Jährigen aus der Nähe erlebt, der ahnt, wo seine Schwächen liegen. „Thank you, thank you, thank you!“, ruft er den Freiwilligen bei der Stippvisite eines Wahlbüros in der Nähe des Flughafens von Des Moines zu. 40 jüngere Helfer in Jeans und Kapuzenjacken sitzen mit ihren Laptops und Handys an engen Tischen und versuchen, potenzielle Wähler zu mobilisieren. Biden, der sein übliches dunkelblaues Sakko trägt, hat der Truppe ein Tablett Cupcakes und ein strahlendes Zahnpasta-Lächeln mitgebracht. Aufmunternd geht er durch die Reihen, schüttelt Hände und klopft Schultern. „Es wird gut laufen“, sagt er. „Und das habe ich euch zu verdanken.“
Der unmittelbare Kontakt mit Menschen ist eigentlich die Stärke des Kandidaten, dessen mäandernde Reden öfter glanzlos wirken. Doch heute will der Funke nicht überspringen. „Wir sind mitten im Kampf um die Seele Amerikas“, sagt Biden. Der Satz hat Tiefe und Ernsthaftigkeit, klingt inzwischen aber abgedroschen. Die Unterstützer klatschen. Euphorie spürt man nicht.
Anders als beim Alt-Revoluzzer Sanders, der mit seiner Kampfansage an das Establishment eine eingeschworene Fangemeinde um sich schart, speist sich die Unterstützung für Biden eher aus der Vernunft. „Ich bin für Joe Biden, weil…“, steht auf einem selbstgemalten Plakat im Wahlkampfbüro. Seine Unterstützer können eine Antwort dazu schreiben. „Er kann Trump schlagen“, steht da. „Wir brauchen mehr Einheit, nicht mehr Spaltung“, hat ein anderer geschrieben.
Die Wiederherstellung der alten Ordnung nach der gesellschaftlichen Verwüstung der Trump-Jahre – so lässt sich Bidens Programm zusammenfassen. Aber reicht das? Warren und Sanders versprechen radikale Steuer- und Sozialreformen. Buttigieg verkörpert einen Generationenwechsel. „Liebe Freunde, Unabhängige und künftige Ex-Republikaner“, begrüßt der 38-Jährige das Publikum im Historischen Museum von Des Moines. Sein Mann Chasten ist mit dabei. Die 700 Zuhörer im Saal wirken jünger und hipper als bei anderen Veranstaltungen. Der Vortrag des Ex-Bürgermeisters von South Bend dreht sich um eine Reform der Krankenversicherung, den Klimawandel, die laxen Waffengesetze und Trumps Iran-Politik. Zu diesen Themen kommen auch die meisten Fragen.
Pendelverkehr nach Washington
Das Amtsenthebungsverfahren der Demokraten gegen den Präsidenten, das in Washington derzeit die Schlagzeilen beherrscht, spielt in Iowa hingegen keine Rolle. Jedenfalls nicht als Thema des Wahlkampfs. Aber das Impeachment hat praktische Folgen: Die Senatoren unter den Präsidentschaftsbewerber müssen nun während der Woche bei dem Prozess im 1600 Kilometer entfernten Washington anwesend sein. Für die Betroffenen bedeutet das in einem dichten Feld einen gefährlichen Wettbewerbsnachteil. Eigens angemietete Charterflieger sollen die Politiker zumindest an einzelnen Abenden in die politische Arena fliegen.
Nicht nur Warren und Sanders haben durch die dienstliche Verpflichtung während der Endphase der Iowa-Wahlen ein Handicap, sondern auch Klobuchar. Die 59-Jährige gilt bei einigen Beobachtern als Geheimtipp, falls das Spielfeld durch das Ausscheiden eines der Favoriten noch einmal aufgemischt wird: Sie vertritt wie Biden und Buttigieg einen pragmatischen Kurs, ist aber jünger als der eine und erfahrener als der andere.
„Ich kann Leute zusammenbringen. Ich weiß, wie man etwas hinkriegt. Ich habe eine Reihe Gesetze durchgebracht“, preist sich Klobuchar bei einem Townhall-Treffen in Perry an. Der Ort hat 7500 Einwohner. Jeder Vierte arbeitet in der örtlichen Schweineverarbeitungsfabrik. Klobuchar setzt auf Bodenständigkeit. Sie berichtet von ihrem Großvater, der unter Tage arbeitete, ihrem Alkoholiker-Vater, dem sie als Teenagerin die Autoschlüssel abnehmen musste, und den Komplikationen nach der Geburt ihrer Tochter. Damit verknüpft sie ihre politischen Forderungen.
Bei Don Harmelink kommt das gut an. Der 70-Jährige hat den Republikanern wegen ihrer Abtreibungspolitik vor einiger Zeit den Rücken gekehrt. Er will Klobuchar unterstützen, weil sie auch Wechselwähler erreiche. Biden habe „zu viel Altlasten“, meint er. Und Buttigieg? Der sei sympathisch, als Schwuler aber chancenlos. Und was wäre, wenn am Ende doch die Linken Warren oder Sanders gegen Trump antreten sollten? Harmelink legt seine Stirn in Falten und stöhnt: „Dann muss ich in der Wahlkabine ganz genau nachdenken.“

Einer twittert: „Meine Güte, dieser Zickenkrieg...“
Abwägen, Zögern, Hinterfragen überall. Viele Menschen in Iowa scheinen sich mit ihrer Entscheidung, von der die Zukunft des Landes abhängen könnte, schwerzutun. Klimaaktivist Dutton aber ist sicher: Er will für Steyer stimmen. „Ich schätze die Leidenschaft, mit der sich Tom für die Klimapolitik einsetzt“, sagt er. Sollte es der Milliardär nicht schaffen, wäre Sanders seine zweite und Warren seine dritte Wahl. Als die beiden Linken bei der TV-Debatte in der Universität von Des Moines wegen angeblich frauenfeindlicher Äußerungen von Sanders heftig aneinandergeraten, ist Dutton empört, dass sich die Demokraten gegenseitig beschädigen. „Meine Güte, dieser Zickenkrieg ist so langweilig“, twittert er: „Können wir bitte diesen albernen Streit beenden und endlich die wirklichen Herausforderungen angehen?“
Noch ist nicht sicher, ob sein Wunsch in Erfüllung geht.
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Im Artikel steht: "Am 3. Februar beginnen hier nämlich die *demokratischen* Vorwahlen ...". Sind die Vorwahlen der Republikaner nicht demokratisch? Richtig müsste es heissen, dass am 3. Februar in Iowa die Vowahlen sowohl der Demokratischen Partei als auch der Republikanischen Partei stattfinden ("The 2020 Iowa Democratic|Republican caucuses will take place on Monday, February 3, 2020."). So "weit weg von Trump" ist man in Iowa übrigens auch nicht, denn der Staat hat bei den letzten Wahlen mit deutlicher Mehrheit für Trump gestimmt ("Trump carried Iowa by the largest margin of any Republican candidate since Ronald Reagan in 1980."). Leider steht wie immer bei deutschen Presseerzeugnissen nicht dabei, wer wo und wie für diesen Artikel recherchiert hat.