Die Alles-Gratis-Kultur im Internet muss ein Ende haben
Das deutsche Urheberrecht hinkt der digitalen Revolution hinterher. Um die Reform wird nun leidenschaftlich und sehr grundsätzlich gestritten.
Bertolt Brecht räumte frank und frei seine „grundsätzliche Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“ ein, als ihm 1929 der Kritiker Alfred Kerr in der Dreigroschenoper Plagiate vorhielt. Aber wehe, wenn es um Brechts eigenes Urheberrecht ging! Die Episode macht einen eigenartigen Zwiespalt in dieser Sache deutlich, denn beide Male geht es um Geld – Ausgaben, die man sich bei der Nutzung ersparen will, und Einnahmen, die man von Nutzern erzielen möchte.
Wenn seit Jahren in Deutschland und Europa um ein neues, zeitgemäßes Urheberrecht heftig gestritten wird, dann vor allem deswegen, weil enorme Erlöse oder Einbußen im Raum stehen. Allerdings hat sich die Ausgangslage seit Brechts Zeiten grundlegend gewandelt. Dank der digitalen Technik ist heute nichts leichter, als Texte, Bilder oder Töne zu kopieren. Damit nicht genug: Jedes Smartphone enthält Software, die es möglich macht, das von anderen Kreativen erschaffene Material beliebig auszubeuten für eigene Bearbeitungen. Sind solche modifizierten Plagiate dann selbst wiederum geistiges Eigentum? Eine heikle juristische (Streit-)Frage.
Zugespitzt wird die neue Ausgangslage durch weltweit agierende Plattformen wie Youtube, Facebook oder Instagram, auf denen die hochgeladenen Kleinkunstwerke ihrer User ein lukratives Umfeld für milliardenschwere Werbeeinnahmen erzeugen. Bisher waren sie im Urheberrecht fein raus, denn sie stellten doch nur technische Vermittlerdienste zur Verfügung. Darauf reagiert nun die Reform des Urheberrechts. Grundsätzlich sollen in Zukunft die Plattformen dafür verantwortlich sein, ob die bei ihnen platzierten Videos, Audios oder Publikationen nicht doch vergütungspflichtiges Material sind und Nutzer bei Veröffentlichung eine Lizenz dafür erwerben müssen.
Auf europäischer Ebene ist dies mit der EU-Richtlinie zum „Digital Single Market“ bereits geschehen
Diese neue Verpflichtung beschwört freilich eine neue Front herauf: Wie frei muss der Zugang zum weltweiten Internet bleiben? Netzaktivisten organisierten große Demonstrationen, um vor allem das Instrument der Upload-Filter zu bekämpfen, womit die Plattformen für sie problematische Inhalte automatisch abblocken. Wie sehr würden solche Filter auch die freie Meinungsäußerung zensieren? Wie sehr die Kunstfreiheit einschränken? Der Gesetzgeber sah sich stark widerstreitenden Interessen ausgesetzt, die er im Reformgesetz zu einem leidlichen Kompromiss zusammenbringen sollte.
Auf europäischer Ebene ist dies mit der EU-Richtlinie zum „Digital Single Market“ bereits geschehen. Der Deutsche Bundestag scheint seine Frist, die am 7. Juni 2021 ausläuft, bis zuletzt auszuschöpfen. Auch in der laufenden Sitzungswoche wird der Gesetzentwurf der Justizministerin nicht zur weiteren Beratung aufgerufen. Es bestehe noch Klärungsbedarf. Tatsächlich steckt der Teufel im Detail. Geschachert wird etwa darum, was als „geringfügig“ ohne Vergütungspflicht („mutmaßlich erlaubte Nutzung“) anzusehen sei. 15 Sekunden Musik und Film, 160 Zeichen Text, Bilder bis zu 125 Kilobyte seien immer noch zu viel, finden Popmusiker und Zeitungsverleger, denn damit ist der Kern eines Werkes bereits für lau verbreitet.
Eins ist klar: Die Alles-Gratis-Kultur im Internet geht zu Ende. Die Piraterie der Plattformen darf nicht länger geduldet werden. Denn die Laxheit in Fragen geistigen Eigentums ist gefährlich. Entgangene oder vorenthaltene Einnahmen für kreative Erzeugnisse gefährden den Kulturbetrieb, der sich am besten aus eigener Kraft ernährt. Die Alternative hieße, auf staatliche Alimentierung angewiesen zu sein, deren Verlässlichkeit auf lange Sicht fraglich ist. Von Abhängigkeiten ganz zu schweigen.
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