Man kennt die Situation aus der Familie. Das Kind gehorcht nicht. Die Eltern haben dann die Wahl, ein Auge zuzudrücken oder dem Kind die eigenen Vorstellungen mit Autorität und Strafen aufzwingen zu wollen.
Auch die Europäische Union trägt Züge einer Familie, die es gerade mit einem besonders renitenten Mitglied zu tun hat. Wie ein pubertierender Rebell beharrt die italienische Regierung auf ihren expansiven Haushaltsplänen.
Wie aber könnte unter diesen Umständen eine verantwortungsvolle Strategie der Erziehungsberechtigten, in diesem Fall der EU-Staaten, gegenüber Rom aussehen? Die Lage ist kompliziert. Denn die Regierung aus der Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega scheint gewillt, den Konflikt auf die Spitze zu treiben. Ihre Anführer Luigi Di Maio und Matteo Salvini spotten sogar über Brüssel. Im Haushaltsplan für das nächste Jahr sieht die Populisten-Regierung eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor.
Italien ist drittgrößte Volkswirtschaft der EU
Weil Italien einen Schuldenberg von 2,3 Billionen Euro mit sich herumschleppt, hält Brüssel diese Verschuldungspolitik für unverantwortlich. Theoretisch sind zwar drei Prozent Neuverschuldung gestattet, doch weil die Finanzkrise die Verletzlichkeit hoch verschuldeter Staaten offengelegt hat, ist die Sanierung der Staatskonten umso dringender geworden. Aus diesem Grund hatte die Vorgängerregierung, die im Frühjahr abtreten musste, eine Neuverschuldung von nur 0,8 Prozent versprochen.
Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der EU. Eine durch Spekulation gegen Italien an den Finanzmärkten ausgelöste erneute Schuldenkrise könnte die ganze Eurozone in den Abgrund ziehen. Deshalb führt kein Weg an einer Reduzierung der Schulden vorbei. Und natürlich handelt die Regierung in Rom unverantwortlich, wenn sie den Konflikt immer weiter befeuert. Doch es zeugt ebenso wenig von Verantwortungsbewusstsein, auf dem Recht des Stärkeren zu beharren und die Folgen dieser Haltung zu ignorieren.
Die Wähler sehen hinter der Regierung
Die Koalition will zwar ihre Wahlversprechen wie die Einführung eines Grundeinkommens für Arbeitslose, die Reduzierung des Renteneintrittsalters oder Steuersenkungen mit dem Haushalt für 2019 einlösen. Vor allem aber will sie den schon schwer angeschlagenen Ruf der Europäischen Union in Italien weiter beschädigen. Das früh gestrickte Narrativ von den erbarmungslosen EU-Bürokraten, die durch ihre eisernen Sparvorschriften letztlich für den unbefriedigenden Status quo in Italien verantwortlich seien, wird von Salvini und Di Maio fortgesponnen.
Die EU-Kommission empfiehlt die Einleitung eines Strafverfahrens – 60 Prozent der italienischen Wähler aber unterstützen Umfragen zufolge die Pläne der Regierung. Sie würden letztlich bestraft, wenn die Mitgliedstaaten im Januar tatsächlich das angedrohte Defizitverfahren einleiten sollten.
Das ist das Szenario, das Di Maio und Salvini im Hinterkopf haben, um daraus Kapital bei den Europawahlen im Mai zu schlagen. Spitzt sich der Konflikt bis dahin weiter zu, bekommen die Populisten noch mehr Rückenwind und mehr Einfluss, auch in den Institutionen der EU. Dies ist die Falle, in die die EU derzeit tappt. Es bedarf deshalb eines mutigen Kraftaktes: Die Institutionen der EU müssen Rom jetzt finanziellen Spielraum lassen im Gegenzug für echte strukturelle Reformen in den kommenden Jahren. So könnte die Populisten-Regierung bei den eigenen Wählern ihr Gesicht wahren und die Wahlversprechen zumindest auf dem Papier einlösen. Denn Grundeinkommen und Steuersenkungen lindern vielleicht vorübergehenden Frust, effizienter machen sie Italien nicht.