Streik zur Unzeit: Bahn und Gewerkschaft müssen sich schnell einigen
Konzern und Gewerkschaft müssen möglichst schnell an den Verhandlungstisch zurückkehren. Ein Arbeitskampf zur Ferienzeit ist ein Unding.
Claus Weselsky ist wahrscheinlich der letzte heimische Arbeiterführer klassischen Zuschnitts. Obwohl der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer der CDU angehört, agiert er, wenn es um die Interessen seiner Klientel geht, wie es einst ultra-linke Arbeitnehmervertreter getan haben: Weselsky fackelt nicht lange, spitzt Tarifkonflikte brachial zu, holt sich wie jetzt in einer Urabstimmung die Rückendeckung seiner Kolleginnen sowie Kollegen, um dann den Streik-Zug rollen zu lassen. Und das macht der Gewerkschafter auch im Bewusstsein, dass er die öffentliche Meinung gegen sich hat oder wie das inzwischen heißt, mit einem Shitstorm rechnen muss.
Weselsky hat den Tunnelblick
Denn Weselsky hat den Tunnelblick, was ihm schon das ein oder andere Mal in seiner Karriere als Arbeiterführer half. Wenn ihn viele ausbremsen wollen, läuft er zur Hochform auf und zeigt den Bahn-Bossen, wie mächtig eine Arbeitnehmer-Vereinigung sein kann. Doch der Machtmensch muss in diesem Sommer aufpassen, dass er nicht den Charme eines Robin Hood aus dem Reich der Gleise und Züge verliert. Am Ende könnte er nur noch als Bahn-Egoist wahrgenommen werden, der vielen Menschen ausgerechnet nach der quälend langen Corona-Zeit und in den Ferien den Sommer verdirbt. Weselsky hat schon oft mit dem Feuer gespielt, im August könnte er sich wirklich die Finger an dem Streik verbrennen.
Für den Streik ist zur Hälfte die Bahn selbst verantwortlich
Umso unverständlicher ist es, dass die Bahn-Manager im Wissen um das streitlustige und radikale Naturell des Lokführer-Bosses, den Gewerkschafter unnötig mit unzureichenden Tarif-Angeboten provoziert haben. Für den Streik ist also zur Hälfte der Vorstand des Konzerns verantwortlich. Um die Beeinträchtigungen für die Fahrgäste in Grenzen zu halten, müssen die Verantwortlichen des Unternehmens rasch nachlegen und sich bei den Beschäftigten für ihre guten Leistungen während der harten Corona-Zeit entsprechend finanziell bedanken, zumal sich in Deutschland mächtig die Inflation zurückgemeldet hat. Dann bleibt es vielleicht bei einigen Tagen Arbeitskampf.
Weselsky selbst sollte, wenn ihm die Bahn entgegen fährt, rasch den Streik-Zug zum Stillstand bringen. Das ist keine Zeit für Muskelspiele, auch wenn der Gewerkschafter wieder einmal mit der Konkurrenz-Organisation EVG um Einfluss innerhalb des Konzerns buhlt. Den Konflikt darf er nicht auf dem Rücken der Fahrgäste austragen. Sonst geht Weselsky als der Sommer-Verderber in die deutsche Tarifgeschichte ein.
Die Diskussion ist geschlossen.
In Deutschland wurde die DB im Zuge der Bahnreform zum 1.1.1994 komplett entschuldet. („Im Jahr 1993 fuhren Bundesbahn und Reichsbahn einen Verlust von rund 16 Milliarden D-Mark (etwa 8,2 Milliarden Euro) ein. Die Schulden beider Bahnen lagen zu diesem Zeitpunkt bei 66 Milliarden D-Mark.“ – vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnreform_(Deutschland)
Heinz Dürr führte 1992 aus: „Wesentliche Elemente des Gesetzespaket Bahnreform sind […] die Übernahme der Altschulden der beiden Deutschen Bahnen durch den Bund. Das bedeutet eine Entlastung von rund 5 Milliarden DM Zinsen pro Jahr […] und die Entlastung der Bahnen von den überhöhten Personalverbindlichkeiten, indem er die Pensionszahlungen an die Ruhestandsbeamten ebenso übernimmt wie die Einkommensteile der Beamten, die über dem bei der künftigen Deutschen Bahn AG geltenden Tarifvertrag liegen.“ – vgl. Alternativer Geschäftsbericht 2018/19 vom Bündnis Bahn für Alle
DER TAGESSPIEGEL berichtet am 18.09.2019 (also noch vor Corona) zur Entwicklung bei der DB AG: „Doch bisher fehlt dem ertragsschwachen und bereits mit 25 Milliarden Euro verschuldeten Konzern das Geld für zusätzliche Züge, mehr Personal und die hohen Eigenanteile zur Modernisierung der lange vernachlässigten Infrastruktur. Um die immensen Dimensionen zu verdeutlichen: Allein der Investitionsstau beim bundeseigenen Schienennetz wird auf mindestens 58 Milliarden Euro veranschlagt. Die DB AG soll den nächsten zehn Jahren mehr als 30 Milliarden Euro zum Erhalt beisteuern – das wäre das 60-fache des letzten Jahresüberschusses.“
„Das Schlaraffenland muss bleiben“, titelten die Stuttgarter Nachrichter am 9.4.18 über den Arbeitskampf der Eisenbahner in Frankreich. Die DB AG mag zwar kein Schlaraffenland sein, alle Beteiligten sollten aber ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung im Blick behalten.
Die Streiks bei der Bahn sind unakzeptabel. Auf der anderen Seite sollte die Bahn auf ihre Beschäftigten zugehen und ihnen eine Corona-Premie zahlen. Das hgab es im Pflegesektor und im öffentlichen Dienst auch. Auch 2 Jahre Tariflaufzeit sind üblich. Die Bahn sollte sich schon bewegen.
Es könnte bei Lokführern wie beim Wohnungsmarkt sein - am Ende hilft nur ein relativ ausgeglichenes Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Und dafür sind die gebotenen Einstiegsgehälter vor allem in Ballungsräumen m.E. deutlich zu niedrig - gerade im Schichtdienst.
Erstaunlich ruhig ist es in der linksgrünen Klima-Ecke - die haben offensichtlich wenig Ahnung wie sie das Thema angehen könnten. Der geforderte Mindestlohn von 12 Euro hilft dort ebenso wenig wie eine Erhöhung von Sozialleistungen weiter. Für arbeitende Menschen hat rot-grün trotz Klimakrise wenig Herz, man braucht also nicht mit der Lohntabelle von Lokführern in der Schweiz zu kommen.
Die anfängliche Euphorie das irgendwie mit Flüchtlingen zu lösen scheiterte ja in der Breite an einer Gemengelage von Sprachkenntnissen, Bildungswille und Verhältnis von Gehalt zu Sozialleistungen.
Der Streik muss sein - und der Streik wird auch politisch wirksam sein - arbeitende Menschen werden auf Auto und Flugzeug erst mal nicht verzichten wollen.
"Erstaunlich ruhig ist es in der linksgrünen Klima-Ecke . . ."
Dafür ist es in der rechtskonservativ-neoliberalen Ecke, die so gar keine Ahnung von der Arbeitswelt hat, um so lauter. Finden Sie nicht auch, Herr Peter P.?
Trotzdem: Irgendwie ist es immer wieder erstaunlich, wie Sie den unvermeidlichen Schlenker zu den Flüchtlingen schaffen . . .
Der nach Ihrer Ansicht alle Probleme lösende Markt hat noch nie für Lohngerechtigkeit gesorgt - siehe das Gesundheitswesen.
>> Der nach Ihrer Ansicht alle Probleme lösende Markt hat noch nie für Lohngerechtigkeit gesorgt - siehe das Gesundheitswesen. <<
Die Erwartungen an die Grünen sind offensichtlich auch sehr gering ;-)
https://www.tagesspiegel.de/berlin/fleischlose-kost-wichtiger-als-pflegenotstand-berliner-krankenhaeuser-fuerchten-oekoliberales-regime-der-gruenen/27499672.html
>> Berliner Krankenhäuser fürchten „ökoliberales Regime“ der Grünen <<
"Berliner Krankenhäuser fürchten „ökoliberales Regime“ der Grünen"
Würden Sie Ihre Verlinkungen selbst lesen, wäre Ihnen in diesem Fall nicht entgangen, dass es Berliner Krankenhauschefs und ein Personalratschef - nicht alle - sind, nicht die "Berliner Krankenhäuser" die hier offenbar befürchten, dass ihnen etwas mehr auf die Finger geguckt wird.
Kritik am Zustand des Gesundheitswesens, an dessen Stellenwert in Gesellschaft und Parteien ist nach meiner Ansicht völlig berechtigt und nicht auf die Grünen beschränkt.
Wenn ich in der Übersc hrift den Begriff "Unzeit" lese stellt sich mir die einfache Frage: Wann ist dann eigentlich die "Richtige Zeit" für die Durchsetzung der Intertessen der Beschäftigten ?