Thüringen hat gewählt, und das ist auch schon so ziemlich die einzig substanzielle Aussage, die sich zum Ausgang dieses Wahlsonntags im Osten treffen lässt. Darüber hinaus haben die Wählerinnen und Wähler ihre Kreuze so gesetzt, dass über die künftige Regierung im Erfurter Landtag noch keine vernünftige Prognose gewagt werden kann.
Thüringen-Wahl: Dass niemand mit der AfD koalieren will, ist nachvollziehbar
Amtsinhaber Bodo Ramelow könnte Ministerpräsident bleiben, möglicherweise aber nur noch als Chef einer wackeligen Minderheitsregierung. Die Lage ist aber nicht nur volatil, weil die Bürger so unterschiedlich votiert haben. Ein großes Problem ist, dass sich die etablierten Parteien in Zeiten, in denen die AfD offenbar nahezu mühelos ein Viertel der abgegebenen Stimmen für sich gewinnen kann, nicht von alten politischen Feindbildern lösen wollen. Das grenzt die Koalitionsmöglichkeiten ein und sorgt für Irritationen, deren Wellen bis in die Wahlkabine durchschlagen.
Eine klare Koalitionsabsage an die AfD durch die anderen Parteien ist nachvollziehbar. Gerade in Thüringen, wo sie mit Björn Höcke von einem Mann geführt wird, dem ein Verwaltungsgerichtsurteil bescheinigt, dass er eine extrem rechte Agenda verfolgt. Die Ausgrenzung geht aber weiter. CDU und FDP haben sich auch gegen ein Bündnis mit der Linkspartei ausgesprochen. Vor allem bei den Christdemokraten schlägt da ein schon fast automatischer Abneigungs-Reflex durch: Mit den „roten Socken“, der „SED-Nachfolgepartei“ wollen die Schwarzen nichts zu tun. Kann man so halten, nur dann muss die Mohring-Truppe nun sehen, wo sie bleibt.
Die CDU sollte darüber nachdenken, mit der Linken zusammenzuarbeiten
Dabei könnten die Christdemokraten im Sinne einer stabilen Regierung ja zumindest mal drüber nachdenken, ob sie mit den Linken in Sondierungsgespräche gehen. Ramelow ist ein beliebter Politiker im Freistaat, er hat sich über die Landesgrenzen hinaus Respekt für seine Arbeit erworben und gar bei der umstrittenen Pkw-Maut im Bundesrat mit der Union gestimmt. Umgekehrt müsste sich natürlich auch die Linkspartei bewegen und starre Denkmuster ablegen.
Die SPD hätte sich womöglich ebenfalls einen Gefallen getan, wenn sie sich stärker zu linken Bündnissen bekannt hätte. In Thüringen war sie bisher in der Regierung, der Schub hätte von der Bundespartei kommen können. Vizekanzler Olaf Scholz sang während der Regionalkonferenzen aber der Großen Koalition das Hohelied und vermied es, sich konsequent zur linken Seite der Macht zu äußern.
Dabei ist nicht erst seit den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg klar, dass die gewohnten Zweierbündnisse in der deutschen Politik der Vergangenheit angehören. Auch im Bund. Es ist an der Zeit und ein Gebot staatsmännischer Verantwortung, dass alle demokratischen Parteien ihr Schwarz-Weiß-Denken ablegen und mehr Farbe in die Politik einziehen lassen.
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