Kommentar zum BGH-Urteil: Ist das die Freiheit, die wir meinen?
Streitigkeiten wie die um den rauchenden Mieter Friedhelm Adolfs werden zunehmend vor Gericht getragen, Gesetze bemüht. Was sagt das über uns?
Das gestrige Urteil des Bundesgerichtshofs mag ein Etappensieg für den mittlerweile bundesweit bekannten, rauchenden, nachlässig lüftenden Mieter Friedhelm Adolfs sein. Doch egal, wie das nun neu aufzurollende Verfahren letztlich ausgeht – etwas anderes scheint in diesem Land längst verloren zu haben: nämlich der gelassene, souveräne Umgang mit jener zuletzt in Sonntagsreden wieder so viel beschworenen Freiheit.
Gericht: Nachbarschaftskonflikte werden immer häufiger
Egal ob es nun um Tabakqualm in Hausfluren oder auf Balkonen geht, dem immerhin noch eine gesundheitsgefährdende Nebenwirkung nachgesagt werden kann, oder um Kinderlärm, Kuhglocken, Gartenzwerge, Apfelbäume, Fallobst (die Liste der vor Gericht anhängigen Streitigkeiten ließe sich unendlich fortsetzen) – stets findet da etwas statt, das über bloße Nachbarschaftskonflikte oder Mietstreitigkeiten hinausweist. Jedenfalls hat es ganz den Anschein, als würde die vielleicht ohnehin in der deutschen Mentalität nicht besonders tief reichende Vorstellung von Freiheit Stück für Stück für allerhand Privates in Beschlag genommen. Aus einer positiven Freiheit zu etwas wird so immer mehr die negative Freiheit von etwas – man möchte frei sein von Gestank, Lärm, den Zumutungen des Alltags, dem Asylbewerberheim in der Nachbarschaft, überhaupt Nachbarschaft, letztlich den oder dem anderen...
Wo hört das "gestört fühlen" auf?
Das mag in vielen Einzelfällen nachvollziehbar sein, in der Summe der Einzelfälle offenbart sich aber eine gefährliche Tendenz, wird doch die Beweislast in den Bereich persönlicher Befindlichkeiten verlagert: Dass sich jemand bloß gestört fühlt, reicht da dann mitunter schon aus, um ein justiziabler Vorgang zu werden. Es tun einem die Amtsrichter, die auf irgendwelchen Balkonen herumklettern, Heckenschnitt und Windrichtungen kontrollieren müssen, jedenfalls jetzt schon leid. Aber ganz abgesehen davon: Dieses gestört fühlen – wo hört es denn auf?
Es ist schließlich noch nicht lange her, dass in diesem Land heftig darüber diskutiert wurde, was an Satire, an Karikaturen zum Thema Religion statthaft ist. Und der Tenor vieler in dieser Debatte lautete, dass bei aller Meinungsfreiheit die Gefühle gläubiger Menschen nicht verletzt werden dürften. Gefühle aber sind eine diffuse, vor allem uneinsehbare Sache, und überhaupt: Reicht die Verletzung des Gefühls eines Einzelnen, oder müssen es mindestens fünf sein, sollen am Ende alle potenziell Verletzten erst einmal demokratisch abstimmen, ob sie in ihren Gefühlen mehrheitlich verletzt sind?
Freiheit: Man möchte nur noch frei von Zumutungen sein
Man sieht, es ist eine schwierige Sache mit der Freiheit. Vor allem ist sie schwer auszuhalten, ist die Versuchung groß, die Freiheit des anderen meiner eigenen Freiheit wegen einzuschränken. Bis dann wieder ein anderer kommt und dasselbe mit mir tut, mich vor den Kadi zerrt, und das womöglich nur, weil ich mir sonntagvormittags auf dem Balkon für gewöhnlich immer die Zehennägel schneide, dazu eine rauche und Bayern 1 höre.
Absurd? Ja, natürlich, aber bis vielleicht auf die Zehennägel längst Realität in einem Land, das zu vergessen scheint, dass der Umgang mit Freiheit jeden Tag im Kleinen eingeübt werden muss. In jeder Hinsicht, gegenseitige Rücksichtnahme inklusive – und ohne gleich immer Gericht oder Gesetze zu bemühen. Vielleicht mutet es etwas pathetisch an, nun wieder mit Kant zu kommen, aber immerhin war der Philosoph und Aufklärer leidenschaftlicher Raucher und nach allem, was man hört auch ein schwieriger Nachbar, was ihn als Kronzeugen an dieser Stelle glaubhaft machen mag: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“
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