Konkrete Politik mit einem Schuss Pathos
Zum vierten Mal stellt Angela Merkel heute die Ziele der von ihr geführten Regierung vor
Genau acht Tage war sie im Amt, da trat Angela Merkel am 30. November 2005 zum ersten Mal als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland ans Rednerpult des Bundestags. Denkbar knapp hatte sie zwei Monate zuvor die Bundestagswahl gegen SPD-Amtsinhaber Gerhard Schröder gewonnen und danach eine Große Koalition mit der SPD gebildet, die sie zuvor als Oppositionsführerin politisch bekämpft hatte.
Doch als neue Regierungschefin schlug sie versöhnliche Töne an. Erst lobte sie ihren Vorgänger Gerhard Schröder, „dass er mit seiner Agenda 2010 mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, unsere Sozialsysteme an die neue Zeit anzupassen“. Dann berief sie sich auf den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt und zitierte dessen berühmten Satz aus der Regierungserklärung von 1969, er wolle „mehr Demokratie wagen“. Dieser Satz, so Merkel, habe für sie persönlich als DDR-Bürgerin „wie Musik“ geklungen. Und sie fuhr mit einem gewissen Pathos fort: „Gestatten Sie mir heute, diesen Satz zu ergänzen und uns zuzurufen: Lasst uns mehr Freiheit wagen!“
Zwölf Jahre und fast vier Monate später wird Angela Merkel am heutigen Mittwoch, gegen 13 Uhr wieder am Rednerpult des Bundestags stehen und erneut eine Regierungserklärung abgeben. Eine Woche nach ihrer vierten Wahl zur Bundeskanzlerin wird sie zum vierten Mal die Schwerpunkte ihrer Politik für die neue Legislaturperiode vorstellen. Der rund einstündigen Rede schließt sich eine zweistündige Aussprache an, traditionell hat die größte Oppositionspartei, die AfD, das Recht, als Erste zu antworten. Fraktionschefin Alice Weidel machte allerdings schon am Dienstag klar, dass von der Regierungserklärung „nichts zu erwarten“ sei. „Der Koalitionsvertrag gibt überhaupt gar keine Antworten auf die elementaren Fragen, die uns bewegen.“
Vor vier Jahren, am 29. Januar 2014, stand die Regierungserklärung Merkels ganz im Zeichen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. „Wir haben den Anspruch, nicht einfach irgendwie aus den weltweiten und europäischen Finanz- und Schuldenkrisen herauszukommen, sondern stärker, als wir hineingegangen sind“, versprach sie damals. Themen waren zudem der Klimaschutz und die Digitalisierung, Bildung und solide Finanzen. Die Flüchtlingskrise, die ein Jahr später die Politik bis zum Ende der Legislaturperiode in Atem halten sollte, war hingegen noch nicht absehbar. Nicht alles, was Merkel vor vier Jahren versprach, konnte sie auch einhalten. So erneuerte sie die ehrgeizigen Klimaziele und kündigte eine deutliche Reduzierung des CO2-Ausstoßes an. Doch kurz vor der Wahl musste die Regierung zugeben, dass sie die Klimaziele bis 2020 verfehlen wird. Und auch der flächendeckende Ausbau des schnellen Internets „bis 2018“ wurde nicht erreicht, nun soll er „bis 2025“ kommen. Die erste große Ansprache eines neuen oder im Amt bestätigten Regierungschefs zu Beginn der Legislaturperiode weckt jedes Mal besonders hohe Erwartungen. Einige Kanzler haben mit ihren Reden ein Stück weit Geschichte geschrieben. Sie verbanden die konkrete vor ihnen liegende Regierungsarbeit mit einem Schuss Pathos und garnierten sie mit der Aussicht auf eine Besserung der Verhältnisse. So proklamierte Konrad Adenauer 1949 das „Werden des neuen Deutschlands“ und versprach sein „Streben nach Linderung der Not und sozialer Gerechtigkeit“.
Helmut Kohl beschwor nach dem Machtwechsel 1982 die „geistig-moralische Wende“. 1998 schließlich, nach dem Ende der 16-jährigen Kanzlerschaft Kohls, brachte Gerhard Schröder den Wechsel zu Rot-Grün auf die Formel: Eine neue Generation trete an, die „nicht alles anders“ machen wolle, „aber vieles besser“.
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