Wie Malu Dreyer Rheinland-Pfalz für die SPD verteidigen will
In Rheinland-Pfalz ticken die politischen Uhren anders. Dennoch gilt der Urnengang für die Landtagswahl als wichtiger Stimmungstest für den Kampf ums Kanzleramt.
Dass Rheinland-Pfalz einmal Stammland der CDU war, ist heute schon fast vergessen. Von der Gründung der Bundesrepublik bis kurz nach der deutschen Einheit regierten christdemokratische Ministerpräsidenten, darunter legendäre Polit-Persönlichkeiten wie Bernhard Vogel oder Helmut Kohl. Doch vor 30 Jahren übernahm die SPD die Macht und hält sie seither. Zunächst führte drei Jahre Rudolf Scharping die Geschicke in der Hauptstadt Mainz, dann fast 20 Jahre lang Kurt Beck, der vollbärtige Meister der weinseligen Volksnähe. Von ihm hat seine politische Ziehtochter Marie-Luise Anna, kurz "Malu", Dreyer viel gelernt. Mitten in der anhaltenden Krise der Bundes-SPD geht Dreyer als klare Favoritin in den Wahlsonntag.
CDU-Spitzenkandidat Baldauf kann kaum punkten
Nach Lage der Dinge wird es ihrem Herausforderer Christian Baldauf kaum gelingen, die einstige christdemokratische Bastion zurückzuerobern. Der 53-jährige CDU-Spitzenkandidat konnte als Oppositionsführer im Mainzer Landtag kaum punkten. Zuletzt dominierte auch in Rheinland-Pfalz die Corona-Krise die politische Debatte. Hier bietet Dreyer kaum Angriffsflächen. Zusammen mit Schleswig-Holstein hat Rheinland-Pfalz aktuell die niedrigsten Corona-Infektionszahlen im Bund. Der Einzelhandel hat unter Auflagen wieder geöffnet. Das für seinen Wein und das milde Klima bekannte Land will zudem schon am 22. März die Außengastronomie wieder öffnen lassen. Als ein AfD-Vertreter in einer Diskussion die Politik für die Corona-Toten verantwortlich machte, sprang Baldauf der Landesregierung sogar bei. Sein eigener Vater war an Covid-19 gestorben, einer politischen Vereinnahmung der Pandemie-Opfer erteilte er eine klare Absage.
Baldauf gilt als durchaus leutselig, ist stark im Karneval engagiert, was in Rheinland-Pfalz praktisch Grundvoraussetzung für politischen Erfolg ist. Fan des heute in der Dritten Liga schlingernden 1. FC Kaiserslautern und seit Jahren Dauerkartenbesitzer ist er auch.
Doch ähnlich wie der Traditionsverein schwächelt auch die einst so erfolgsverwöhnte rheinland-pfälzische CDU. In Umfragen kommt sie nicht über 30 Prozent hinaus und liegt damit deutlich hinter den Werten der Union im Bund. Die jüngsten Korruptionsaffären um Unionspolitiker dürften Baldaufs Chancen nicht eben vergrößert haben. Im TV-Duell warf Baldauf Dreyer zwar noch einmal "Bildungschaos" und die mangelnde Ausstattung der Schulen mit digitalen Geräten vor. Doch das ist in von der Union geführten Ländern teils ebenfalls ein Problem. Auch der Verweis des CDU-Wahlkämpfers auf die Strukturschwäche und die wirtschaftliche Schwierigkeiten des Vier-Millionen-Einwohner-Landes dürften zu keinem Umschwung in der Stimmung der Bevölkerung geführt haben.
Als Julia Klöckner Merkel attackierte: Das Trauma von 2016 sitzt tief
Tief sitzt in der CDU zudem noch das Trauma von 2016. Damals hieß die Spitzenkandidatin Julia Klöckner und sah in Umfragen lange wie die sichere Siegerin aus. Doch die ehemalige Weinkönigin und heutige Bundeslandwirtschaftsministerin verspielte auf der Zielgeraden ihren Vorsprung und musste sich schließlich Dreyer geschlagen geben.
Klöckner hatte im Wahlkampf Angela Merkel einerseits für ihre Flüchtlingspolitik kritisiert, andererseits aber mit ihrer Nähe zur Kanzlerin kokettiert. Das verstanden viele konservative Wähler nicht. Die einen wählten Dreyer, die anderen gleich AfD.
Dreyer bildete eine Koalition mit Grünen und FDP, die erste "Ampel" in einem deutschen Flächenstaat. Sachorientiert, unaufgeregt pragmatisch, praxisnah, so wird der Regierungsstil der Formation in den vergangenen Jahren beschrieben. Geknirscht hat es zwar auch, aber vergleichsweise selten. So sind beide Partner nach eigenem Bekunden an einer Fortsetzung interessiert. Auffällig üppig fällt in Gesprächen Dreyers Lob für ihren FDP-Wirtschaftsminister Volker Wissing aus. Der hat als Generalsekretär der Bundes-Liberalen Einfluss weit über Rheinland-Pfalz hinaus. Wissing lobt Dreyer seinerseits für ihre Teamfähigkeit.
Corona hat den Straßenwahlkampf fast unmöglich gemacht
Auf Menschen zuzugehen, auch wenn die politischen Überzeugungen nicht hundertprozentig übereinstimmen, das gilt als die ganz große Stärke der 60-jährigen Rechtswissenschaftlerin. Sie redet meist bedächtig, kann vor allem aber zuhören, was sie derzeit notgedrungen meist über Videoplattformen im Internet tun muss. Corona hat den üblichen Straßenwahlkampf fast unmöglich gemacht.
Dreyer sagt, dass sie auch digital viele Menschen erreicht und insgesamt zufrieden ist mit dem Verlauf des Wahlkampfs. Auf den Plakaten in den Straßen von Mainz, Kaiserslautern, Trier oder Koblenz wirbt die SPD mit Dreyers Konterfei und dem Spruch "Wir mit ihr". Das erinnert an die Kampagne des grünen baden-württembergischen Landesvaters Winfried Kretschmann, der für die ebenfalls am Sonntag stattfindende Landtagswahl "Sie kennen mich" plakatieren lässt.
Ministerpräsidentin leidet an Multipler Sklerose
Dreyer, bei der 1995 die unheilbare Muskelkrankheit Multiple Sklerose diagnostiziert wurde und die bei längeren Strecken auf den Rollstuhl angewiesen ist, zieht eigenen Angaben zufolge viel Kraft aus ihrem katholischen Glauben. Auch das schätzen die Menschen einer Region, in der die Kirche noch eine größere Rolle spielt, als anderswo. Mit ihrem Mann Klaus Jensen, dem Ex-Oberbürgermeister von Trier, lebt Dreyer in einer Mehrgenerationen-Wohngemeinschaft in Schammatdorf nahe der Benediktinerabtei St.Matthias in Trier. Traditionsbewusstsein ist für Dreyer kein Widerspruch zu Fortschrittsdenken. Gern stellt sie heraus, dass es die Firma Biontech aus Mainz war, die mit ihrem Impfstoff der ganzen Welt Hoffnung auf ein Ende der Pandemie gab.
Erfolgreich trotz SPD-Parteibuch? Olaf Scholz wird genau hinsehen
Mögen viele Dinge in Rheinland-Pfalz politisch ganz anders liegen als im Bund, so gilt der Urnengang den Parteistrategen in Berlin doch als ein wichtiger Stimmungstest für die Bundestagswahlen im September. Für die Union geht es im einstigen schwarzen Erbhof darum, wie stark sich die jüngsten Korruptionsskandale um konservative Abgeordnete auf die Stimmung der Wähler auswirken. Die Bundes-SPD kann von einer Zustimmung wie in Rheinland-Pfalz einstweilen zwar nur träumen. Doch es ist kein Geheimnis, dass gerade SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sehr aufmerksam nach Rheinland-Pfalz blickt. Bei Malu Dreyer könnten sich Rezepte finden, wie sich Wahlen nicht wegen, sondern trotz der Zugehörigkeit zur SPD gewinnen lassen.
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