In einem Interview fordert der Altbundespräsident Gauck "erweiterte Toleranz in Richtung rechts". Die Reaktionen sind heftig. Daran ist er auch selbst schuld.
„Ey Gauck, mit Nazis regiert man nicht.“ Besser als mit diesem kurzen Satz kann man kaum beschreiben, wie es um die Debattenkultur in unserem Land bestellt ist. Geschrieben hat ihn nicht irgendein anonymer Internet-Troll, sondern Tiemo Wölken, Europa-Abgeordneter der SPD. Es ist seine erste Reaktion via Twitter auf ein Interview, das Altbundespräsident Joachim Gauck dem Spiegel gegeben hat. Das war ein ziemlich ausführliches Gespräch, von dem bei vielen Menschen allerdings nur eine einzige Botschaft angekommen ist: Gauck wirbt für „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“. Das tut er tatsächlich und darüber kann, darüber muss man streiten. Aber eben anders, als das in unserer Aufregungsdemokratie immer häufiger geschieht.
Im Qualm der Empörung bleiben nur knallige Überschriften
Fangen wir also mit der wichtigsten Frage an: Was hat Gauck wirklich gemeint? Selbstverständlich nicht, dass irgendjemand mit Nazis regieren soll. „Wir müssen zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal unterscheiden“, stellt der 79-Jährige klar. Das kann nun nur missverstehen, wer es missverstehen will. Und genau da liegt das Problem. Es gibt heute in allen Lagern zu viele Leute, die nur darauf lauern, Zitate des politischen Gegners für ihre Zwecke zu missbrauchen. Wie einen Brandsatz werfen sie Unterstellungen in die sozialen Netzwerke und binnen Minuten brennt es lichterloh. Im undurchsichtigen Qualm öffentlicher Empörung macht sich dann kaum noch jemand die Mühe, mehr zu konsumieren als knallige Überschriften.
Im aktuellen Fall von Joachim Gauck bedeutet das: Auf der einen Seite triumphieren AfD-Leute, die so tun, als habe das frühere Staatsoberhaupt ihre demokratieverachtende Vorstellung von Politik von jedem Verdacht freigesprochen. Auf der anderen Seite zetern Leute wie Tiemo Wölken, Gauck mache Nazis salonfähig. Beides ist Quatsch.
Neben ein paar schwurbeligen Sätzen wie „Toleranz enthält das Gebot zur Intoleranz gegenüber Intoleranten“ hat Gauck in dem Interview viele kluge Dinge gesagt. Tatsächlich ist doch die Hilflosigkeit der etablierten Parteien im Umgang mit der AfD das Ergebnis der eingangs erwähnten kaputten Diskussionskultur. Es muss möglich sein, sich mit den Themen der Populisten auseinanderzusetzen, ohne unter Verdacht zu geraten, am rechten Rand zu fischen. „Wir verlieren uns selbst, wenn wir so tun, als wäre es zu gefährlich, in großer Offenheit Probleme zu debattieren, weil das Volk sofort wieder umkippen könnte und eine Diktatur wählen würde“, warnt Gauck – und hat recht.
Gauck übernimmt die Märtyrer-Erzählung der AfD
Solange die AfD die Verschwörungstheorie verbreiten kann, man dürfe bestimmte Dinge in Deutschland nicht mehr sagen, wird sie Erfolg haben. Und bevor das jetzt auch jemand bewusst missversteht: Sich mit diesem Erfolg zu beschäftigen, bedeutet nicht, die AfD zu imitieren. Es bedeutet, dass man die Probleme, von denen rechte Hetzer leben, nicht totschweigen darf, weil man sie nicht totschweigen kann.
Und doch macht Gauck einen entscheidenden Fehler, indem er teilweise die Märtyrer-Erzählung der Rechtspopulisten übernimmt. Wenn er beispielsweise appelliert, „nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten und aus dem demokratischen Spiel herauszudrängen“, dann stimmt das natürlich. Aber einige AfD-Leute sind eben nicht „schwer konservativ“, sondern rechtsradikal. Wenn Abgeordnete Hitler-Bilder herumschicken oder den Holocaust verharmlosen, ist dann halt Schluss mit Toleranz. Gauck selbst würde sich im Übrigen laut eigener Aussage nicht mit AfD-Chef Alexander Gauland an einen Tisch setzen. Wo also endet die Gesprächsbereitschaft, die er einfordert?
Grundsätzlich liegt der Altbundespräsident mit seiner Analyse richtig
Und wo beginnt auf der anderen Seite das Nachplappern populistischer Thesen? Wenn der Altbundespräsident sagt, man müsse „darüber sprechen können, dass Zuwanderung in diesem Maße nicht nur Bereicherung ist“, stimmt das ja. Aber er unterstellt damit eben in AfD-Manier, dass man das bislang nicht darf. Und das ist Unsinn. Politiker aller Parteien haben es schließlich in den Wahlkämpfen der vergangenen Jahre getan.
Die Aufregung über Gauck ist der Beweis, dass er mit seiner Analyse grundsätzlich richtig liegt. Weil er im Umgang mit dem rechten Lager aber selbst ständig zwischen Toleranz und Abgrenzung schwankt, entsteht der Eindruck einer gewissen Ratlosigkeit, wie das erkannte Problem zu lösen ist.
Die Diskussion ist geschlossen.
>> Und doch macht Gauck einen entscheidenden Fehler, indem er teilweise die Märtyrer-Erzählung der Rechtspopulisten übernimmt. Wenn er beispielsweise appelliert, „nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten und aus dem demokratischen Spiel herauszudrängen“, dann stimmt das natürlich. <<
Einfach lesen und akzeptieren was Herr Gauck gesagt hat und nicht irgend etwas hineininterpretieren!
Die Enthemmung der Sprache geschieht auch durch die immer weitere Anwendung der Einstufung als „Nazi“. Das hat seine Wurzeln in der Asylpolitik, weitet sich aber immer mehr auf weitere Politikfelder aus. Der Einstieg begann mit „Fremdenfeind“ für jeden der mit Open Border nicht einverstanden. Aktuell werden in der Klimadiskussion ähnlich grobschnitzige Diskussionsmuster geübt.
"Ein gutes Buch" - so ließ der in Freiburg lehrende Germanist Gerhart Baumann in einem seiner Seminare hören - "ist vom ersten bis zum letzten Satz ein gutes Buch - sonst ist es kein gutes Buch".
Was Michael Stifter über die Forderungen von Altbundespräsident Gauck und über die aufgebrachten Reaktionen diesbezüglich schreibt, ist freilich kein Buch wie etwa "Effi Briest" von Theodor Fontane, sondern ein Kommentar hinsichtlich der gegenwärtigen "Debattenkultur" und der Rolle der AfD. Dennoch läßt sich wohl sagen, daß auch der Kommentar von Michael Stifter ein guter Kommentar ist - von Anfang an bis zum Ende. Doch keine Angst, Herr Stifter soll nicht "heiliggesprochen" werden.
Ja, was hat Gauck mit seinen Forderungen wirklich gemeint? Zum Beispiel appelliere er, "nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten ..." Das stimme natürlich. Doch dann der Satz: "Aber einige AfD- Leute sind eben nicht "schwer konservativ", sondern rechtsradikal.
Das mag sein. Ist jedoch eine "Debattenkultur" abseits dessen, was dieser Europa-Abgeordnete der SPD - "Ey Gauck, mit Nazis regiert man nicht" - bietet, dann schon bedeutend kultivierter, wenn dafür lediglich andere, jedoch ebenso diffamierende Schlagworte eingesetzt werden? Was ist "schwer konservativ"? Was "rechtsradikal" Was eine "demokratieverachtende Vorstellung von Politik"?
Konservativ etwa- ob nun schwer oder nicht - ist einer, der zu schätzen weiß, womit er aufgewachsen ist und das er erhalten will. Oder mit den Worten von Alexander Gauland:
"Wir wissen, daß jeder seinen Platz auf der Welt hat, aber daß dieser Platz nicht austauschbar ist. Wir hängen an den Orten, aus denen wir stammen und selbst wenn wir sie verlassen, schütteln wir unsere Herkunft nicht ab (...) Wir achten die Wirklichkeit und leben aus dem, was immer gilt. Wir bauen keine Luftschlösser, wir bestellen unseren Garten. Mit einem Wort: Wir sind konservativ."
Es dürfte kein Land auf der Welt geben das dem "Nazi-Wahn" so verfallen ist wie Deutschland.
"Die Aufregung über Gauck ist der Beweis, dass er mit seiner Analyse grundsätzlich richtig liegt".
Was soll das denn für eine "Analyse" sein? Da ist doch nicht ein Gedanke, der nicht bereits von anderen zum xten Mal geäußert wurde.
Was komplett fehlt und zu einer Analyse immer gehört sind die Beziehungen und Wechselwirkungen, die sich aus dem analysierten Sachverhalt ergeben. Ein schlimmes Verbrechen als Folge von systematischer Hetze gegen Flüchtlinge und Rassismus steht in Kassel offenbar kurz vor der Aufklärung. Peinlicher hätte Gauck seine überflüssigen "Gedankenspiele" nicht timen können.
Eigenartig nur, dass dieser fürstlich versorgte Pensionär bei jeder Petitesse die ihm linksverdächtig vorkommt, statt mehr Toleranz anzumahnen, zu hyperventilieren beginnt.