Man darf das Spitzenkandidaten-Prinzip nicht abschaffen
Angela Merkel mag das Spitzenkandidat-Prinzip nicht, sie will die Personalien lieber im Hinterzimmer auskungeln. Weshalb das ein Fehler wäre.
Europa erlebt gerade ein Déjà-vu. Vor fünf Jahren, nach der letzten Europawahl, wollte Kanzlerin Angela Merkel den Chefposten der Europäischen Kommission im Hinterzimmer auskungeln – statt einen der „Spitzenkandidaten“ zu küren, nicht einmal ihren eigenen, EVP-Mann Jean-Claude Juncker.
Merkel mochte das Prinzip nicht, weil sie die Auswahl des Top-Personals als ehernes Recht von Europas Staats-und Regierungschefs ansieht, nicht des Europa-Parlaments. Erst als Medien und Bürger aufheulten, schwenkte sie um.
Angela Merkel wird beim EU-Gipfel über die Personalien verhandeln
Die Kanzlerin, die am Donnerstag beim EU-Gipfel im Hinterzimmer über die Top-Personalien verhandelt, mag das Prinzip immer noch nicht. Nun hofft sie mehr oder weniger offen darauf, dass im Europaparlament niemand – auch nicht Parteifreund Manfred Weber – eine Mehrheit findet. Dann wäre der Weg frei fürs Kungeln und einen anderen deutschen Top-Posten, etwa EZB-Chef, der vielen Bürgern sogar näher am Geldbeutel ist.
Der Postenpoker ist diesmal in der Tat vertrackt. Aber ganz nebenbei das Spitzenkandidaten-Prinzip abzuschaffen, ist eine Bankrotterklärung. Es steht für die Idee, Europas Bürger mehr entscheiden zu lassen. Und war nicht Ziel aller Wahlkämpfer, die EU näher an die Bürger zu rücken?
Die Diskussion ist geschlossen.
Bei diesem songenannten "Spitzenkandidaten-Prinzip" wird gerne übersehen:
- dieses "Prinzip" ist eigentlich eine Fata morgana. Weder Herr Weber, Herr Timmermanns oder Frau Keller sind für das europäische Wahlvolk direkt oder indirekt wählbar. Ausserhalb ihres eigenen Landes kennt sie fast niemand; diess Prinzip interessiert nur die Funktionäre und Strippenzieher der jeweiligen Parteienfamilien. Das reduziert sich auf das "Pfeifen im Walde"
- Wo waren denn die Spitzenkadidaten wählbar? Direkt nirgends und indirekt über Parteilisten, Herr Weber z.B. nur in Bayern. Von ca. 10 Mio Wahlberechtigten bei gesamt ca. 400 Mio - d.h. von ca. 2,5 % der Wahlberechtigten.
- Und wie wurde denn z.B. Herr Weber inthronisiert? Im Zuge der Seehofer-Nachfolge und seiner Chancenlosigkeit auf den angestrebten CSU-Vorsitz wurde er nach bester Tradition in einem Hinterzimmer zum EVP-Spitzenkandidaten ausgemauschelt.
Unterm Strich bleibt, dieses "Spitzenkandidaten-Prinzip" interessiert nur die direkt betroffenen Karrieristen, deren politischen Anhang und das sie - auch journalistisch - begleitende Umfeld. Und bevor ich es vergesse, im Falle Weber besonders Herrn Posselt, dessen Aktivitäten wieder mit Diäten honoriert würden.
Welchen Sinn macht denn die Krönung eines "Spitzenkandidaten", der in den Hinterzimmern einer Provinzpartei, z. B. der bay. CSU ausgekungelt wurde, dazu in Deutschland kaum und in Resteuropa so gut wie nicht bekannt ist? Merkel ist es wahrscheinlich eh' egal und Macron liegt da schon richtig.