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Foto: Kay Nietfeld, dpa
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Mit Corona-Schutzmasken waren am Anfang der Pandemie Millionen zu verdienen - wenn man die richtigen Kontakte hatte..

Maskenaffäre
19.05.2021

Der Fall Tandler: Wie die Tochter einer CSU-Legende reich wurde

Von Holger Sabinsky-Wolf, Michael Stifter

Plus Andrea Tandler verhilft zwei Schweizer Jungunternehmern überraschend zum großen Geschäft. Wie hat sie das nur gemacht? Und führt die Spur schon wieder in die CSU?

Die Post ist eine Institution im oberbayerischen Wallfahrtsort Altötting. Nicht nur, weil nebenan die Gläubigen in der berühmten Gnadenkapelle zur Schwarzen Madonna pilgern. Sondern auch, weil das Hotel untrennbar mit der Familie Tandler verbunden ist – genau wie die Familie untrennbar mit der CSU verbunden scheint.

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 Andrea Tandler ist die Tochter des früheren Hotelbesitzers und noch früheren Spitzenpolitikers und Strauß-Vertrauten Gerold Tandler. Sie war einmal Prokuristin in der „Post“, da ging es aber schon bergab mit dem ersten Haus am Platz. Vor knapp zwei Jahren musste es zwangsversteigert werden. Zuletzt machte sie mit ihrer Werbefirma noch ein bisschen Marketing für das Hotel. Auch sonst kommen viele ihrer Auftraggeber eher bodenständig und urbayerisch daher. Ein Wursthersteller aus Plattling, Landhausmöbel vom Chiemsee, Bier aus Neuötting. Mit dem Gesundheitssektor hat die PR-Frau wenig zu tun – bis sie im Frühjahr 2020 das Geschäft ihres Lebens macht.

Zwischen 30 und 50 Millionen Euro soll Tandler zu Beginn der Pandemie mit Maskengeschäften verdient haben, die sie für zwei Jungunternehmer aus der Schweiz eingefädelt hat. Verkauft wurden die FFP2-Schutzmasken aus China an mehrere Ministerien in Bund und Ländern – aus heutiger Sicht zu astronomischen Preisen von bis zu 9,90 Euro pro Stück. Wie es dazu kommen konnte, will nun auch die Staatsanwaltschaft München I herausfinden, die vor einigen Tagen deshalb im bayerischen Gesundheitsministerium vorstellig wurde.

Dabei geht es in erster Linie nicht um Moral, sondern um die Frage, ob hier Steuermittel veruntreut wurden. Warum zahlte der Staat so viel Geld für die Masken, wo doch zu jenem Zeitpunkt bereits günstigere Angebote vorlagen? Welche Rolle spielte Tandler dabei und wie kam ausgerechnet sie an die lukrativen Aufträge? Kassierte womöglich noch jemand mit? Und führt die Spur – wie schon bei den dubiosen Deals der Abgeordneten Alfred Sauter und Georg Nüßleinschon wieder ins Innere der CSU?

Strauß-Tochter Monika Hohlmeier vermittelte den Kontakt in die Ministerien

Am Anfang des großen Geschäfts steht ein kleiner Gefallen. Monika Hohlmeier und Andrea Tandler kennen sich schon aus der Kindheit. Die Familien sind eng befreundet. Denn Monika Hohlmeier ist nicht nur CSU-Europaabgeordnete, sondern auch die Tochter des einstigen Ministerpräsidenten und Parteichefs Franz Josef Strauß, dem wiederum Tandlers inzwischen 84-jähriger Vater Gerold einst als Generalsekretär, Fraktionschef und Minister gedient hatte. Tandler galt einmal als Kronprinz der CSU-Ikone Strauß, verstrickte sich nach dessen Tod 1988 allerdings in politische Affären und verschwand schließlich von der großen Bühne. Als die erste Corona-Welle im Frühjahr 2020 über Deutschland hereinbricht und medizinische Schutzausrüstung in Kliniken und Arztpraxen fehlt, meldet sich Tandlers Tochter bei Strauß’ Tochter und erzählt, sie könne große Mengen an Masken organisieren.

Monika Hohlmeier tippt daraufhin zwei kurze Nachrichten in ihr Smartphone – an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und dessen bayerische Kollegin Melanie Huml. Sie will wissen, ob es Bedarf gibt und an wen man sich wenden muss. Bislang gibt es keinen Hinweis darauf, dass die 58-Jährige an den Geschäften mitverdient hat. Sie selbst betont im Gespräch mit unserer Redaktion, sie habe schon in ihrer SMS klargestellt, „dass ich nur Übermittlerin bin und keinerlei wirtschaftliche oder sonstige Interessen verfolge“. Dennoch wittert die Öffentlichkeit sofort alte CSU-Amigo-Seilschaften. Schließlich stand Strauß im Zentrum zahlreicher Skandale und Tandlers Karriere endete 1991 abrupt im Zuge einer Steueraffäre um den niederbayerischen „Bäderkönig“ Eduard Zwick.

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Foto: Matthias Balk, dpa
Foto: Matthias Balk, dpa

Monika Hohlmeier hat den Kontakt für das Geschäft vermittelt. Sie selbst soll von dem Deal aber nicht profitiert haben,

Hohlmeier scheint sich nicht so recht entscheiden zu können, ob sie sich darüber ärgern oder eher amüsieren soll, dass die Namen Strauß und Tandler auch Jahrzehnte später noch immer für Aufregung sorgen. „Es ist doch lächerlich anzunehmen, dass man mit ein paar kurzen SMS verantwortlich für den Abschluss von Verträgen in Höhe von ein paar hundert Millionen Euro sein soll“, sagt sie über ihre eigene Rolle und verweist darauf, dass zu Beginn der Pandemie händeringend Material gesucht wurde und jeder Hinweis hilfreich sein konnte. „Am Anfang war Wildwest“, erinnert sich auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der damals jeden Tag bang auf die immer leerer werdenden Lager blickt, im Gespräch mit unserer Redaktion. Nutzt die Schweizer Firma Emix, für die Tandler vermittelt, dieses allgemeine Chaos und die Alarmstimmung in den Kliniken aus, um ihre Masken völlig überteuert an den Staat zu verschachern?

Die Schweizer Firma Emix bekommt Aufträge von drei deutschen Ministerien

Fakt ist: Das Unternehmen kommt nicht nur mit Spahns Bundesgesundheitsministerium, sondern auch mit dem bayerischen Landesministerium ins Geschäft, das wiederum den Kontakt an die Kollegen in Nordrhein-Westfallen weitergibt. Insgesamt beträgt das Auftragsvolumen nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung mehr als 683 Millionen Euro. Andrea Tandler und ihr Partner sollen je nach Vertrag zwischen fünf und 7,5 Prozent Provision kassiert haben.

Vermittlerin Hohlmeier hat Verständnis dafür, dass viele Menschen empört sind, wie die Not zu Beginn der Krise für derartige Geschäftemacherei missbraucht wurde. „Wenn jemand die Situation ausnutzt, um einen Riesenreibach zu machen, der weit über das normale Maß hinausgeht, dann finde ich das, zurückhaltend formuliert, nicht in Ordnung“, sagt sie. Zu ihrer Freundin Tandler habe sie derzeit ganz bewusst keinen Kontakt.

Warum kommt ausgerechnet eine bis dato eher regional agierende, kleine Münchner Marketing-Expertin ans ganz große Geld? Reicht der Name Hohlmeier oder gibt es noch andere Türöffner? Nach unseren Recherchen im Handelsregister gründet Andrea Tandler gemeinsam mit ihrem Partner Darius N. kurzerhand die Firma „Little Penguin“. Offensichtlich soll über dieses Unternehmen die Beteiligung an dem Maskengeschäft abgerechnet werden. Welche Rolle Darius N. spielt, ist bislang unklar.

Die beiden Schweizer Jungunternehmer Jascha Rudolphi, 23, und Luca Steffen, 24, sollen mit den Geschäften nach Medienberichten zwischen 130 bis 200 Millionen Euro verdient haben. Sie investieren ihre Gewinne gleich wieder – zum Beispiel in einen Ferrari mit 963 PS und einen Bentley. Gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung räumen sie später ein, dass das vielleicht mitten in der Krise nicht die allerbeste Idee war, betonen aber auch, sie hätten hart gearbeitet und große finanzielle Risiken in Kauf genommen. Bleibt die Frage: Wurden sie reich, weil der Staat in der allgemeinen Panik fahrlässig Mondpreise bezahlte oder weil sie auf das richtige Netzwerk gesetzt haben? Und wo beginnt und endet dieses Netzwerk eigentlich?

Die Firma Emix Trading verteidigt sich mittlerweile recht selbstbewusst. Im Frühjahr 2020 sei es überhaupt kein Problem gewesen, mit staatlichen Beschaffungsstellen direkt in Kontakt zu treten. Es habe hunderte Anbieter von Schutzmaterial gegeben, sagt ein Unternehmenssprecher: „Aber am Ende war Emix eines der ganz wenigen seriösen Unternehmen, das es tatsächlich geschafft hat, so viele Masken auch termingerecht nach Deutschland zu liefern.“

Andrea Tandler soll bis zu 50 Millionen Euro für ihre Arbeit kassiert haben

Die Rolle von Andrea Tandler erklären die Schweizer so: Emix verfüge in Deutschland weder über eine Niederlassung noch eine Tochtergesellschaft. Es sei im internationalen Handelsgeschäft gängig, in einem neuen Markt Partner als externe Projektmitarbeiter zu beschäftigen. „Diesen Prozess hat Andrea Tandler mit größtem persönlichen Arbeitseinsatz begleitet. Sie war in dieser Eigenschaft nicht nur eine Vermittlerin, sondern hat alle logistischen Herausforderungen wie zum Beispiel Liefer- und Flugpläne der eigens von Emix gecharterten Flugzeuge mit den abnehmenden Ministerien in Deutschland koordiniert“, sagt der Unternehmenssprecher. Und diese Dienste sollen zig Millionen Euro wert gewesen sein?

Fragen zum Honorar und zum Gewinn beantwortet Emix nicht. Zahlungen an Amts- und Entscheidungsträger dementiert das Unternehmen klar. Andrea Tandler selbst lässt Fragen unbeantwortet. So bleibt offen, warum sich die beiden jungen Schweizer ausgerechnet an sie gewandt hatten, um den Mega-Deal aufs Gleis zu bekommen.

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Foto: Peter Kneffel, dpa
Foto: Peter Kneffel, dpa

Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn fordert mehr Transparenz vom Gesundheitsministerium.

Kannte man sich schon vorher, oder wurde Tandler gezielt kontaktiert, weil man ihr als Politiker-Tochter gute Kontakte in die CSU und die bayerische Staatsregierung zuschrieb? Solche Fragen stellt sich auch Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn. Er hat die Strafanzeige gestellt, weil er einen „unglaublichen Skandal im Umgang mit Steuergeldern“ wittert. Seiner Ansicht nach sind es gleich mehrere Aspekte, die den Maskendeal anrüchig machen.

Da sind zum einen die überhöhten Preise, die für die Emix-Masken bezahlt wurden. Schon das Bundesgesundheitsministerium hat mit 5,85 Euro pro Stück das selbst gesetzte Limit von 4,50 Euro aus dem offenen Ausschreibungsverfahren überschritten. Doch die Leute von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn haben offenbar noch ganz gut nachverhandelt. Ganz im Gegensatz zu den Kollegen in Bayern, die für eine Maske der Schweizer Händler einen Nettopreis von 8,90 Euro hinblätterten, brutto also mehr als zehn Euro pro Maske bezahlten.

Während es aus dem bayerischen Gesundheitsministerium dazu nur spärliche Informationen gibt – weswegen SPD-Politiker von Brunn eine Klage beim Verfassungsgerichtshof eingereicht hat –, räumt das Gesundheitsministerium von Nordrhein-Westfalen auf Anfrage sofort ein, dass es Emix pro Maske sogar stattliche 9,90 Euro überwiesen hat. Das war nach Angaben des Ministeriums der höchste Preis, der für Masken in der damaligen „Beschaffungsnotlage“ im Frühjahr 2020 bezahlt worden sei. Auf die Frage, ob der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl Josef Laumann (CDU) ein zweistelliges Millionenhonorar für Tandler in dieser Situation für angemessen halte, antwortet das Ministerium kurz und klar: „Nein.“

In Bayern geht man nicht ganz so offen mit der brisanten Angelegenheit um. Daher kritisiert Florian von Brunn scharf, dass die Staatsregierung nicht einmal bekannt macht, um welche Art von Masken es sich überhaupt gehandelt hat. Er hält es zudem für fahrlässig, dass das Ministerium bis heute nicht sagen kann oder will, ob die Masken verkehrsfähig waren. „Möglicherweise hat die Staatsregierung Masken, die nicht genügend Schutz boten, munter im Land verteilt“, sagt von Brunn. Bislang gebe es dazu nur die dürre Auskunft, dass die Schutzmasken „optisch und haptisch“ geprüft worden seien.

Noch ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen unbekannt

In seiner Strafanzeige bringt der SPD-Politiker daher auch die Lieferung möglicherweise untauglicher Ware ins Gespräch, wie die Staatsanwaltschaft München I berichtet. Alle vorgebrachten Aspekte würden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen unbekannt geprüft. Noch gibt es also keine konkreten Personen, gegen die sich ein Verdacht richtet. Das kann sich freilich rasch ändern.

Pressesprecherin Anne Leiding bestätigt Informationen, dass der Leitende Oberstaatsanwalt Hans Kornprobst persönlich vergangene Woche mit einer Kollegin aus der Abteilung für politische Strafsachen im Gesundheitsministerium war und ein Gespräch mit dem Amtschef geführt hat. Die Sache scheint also Fahrt aufzunehmen, was der Abgeordnete von Brunn begrüßt: „Wenn die Staatsregierung freiwillig keine Informationen liefert, muss sich eben die Justiz einschalten“, sagt er. Sollte weiterhin keine Aufklärung geleistet werden, bleibe am Ende wohl nur ein Untersuchungsausschuss, um Licht in die Affäre zu bekommen. Auch die Staatsanwaltschaft Zürich ermittelt im Zusammenhang mit den Maskenverkäufen gegen unbekannt.

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Foto: Sven Hoppe, dpa
Foto: Sven Hoppe, dpa

CSU-Chef Markus Söder und sein Generalsekretär Markus Blume haben der Partei maximale Transparenz verordnet, wenn es um die Nebeneinkünfte von Abgeordneten geht.

Für die CSU kommt die Geschichte höchst ungelegen. Gerade erst schien die Partei den Skandal um Alfred Sauter und Georg Nüßlein einigermaßen abgeräumt zu haben. Die beiden schwäbischen Abgeordneten sitzen zwar noch im Landtag beziehungsweise im Bundestag, mussten aber die Fraktionen verlassen. Nüßlein hat sogar sein Parteibuch zurückgegeben. CSU-Chef Markus Söder betont immer wieder, wie schnell und klar man auf den Skandal um fragwürdige Geschäftemacherei mit der Krise reagiert habe. Er hat seiner Partei eine nie da gewesene Transparenzoffensive verordnet, was die Nebeneinkünfte von Mandatsträgern angeht. Den Fall Tandler hält die CSU-Spitze offiziell für Privatsache – wohl wissend, dass der Name Tandler untrennbar mit der Partei verbunden ist. Genau wie die Maskenaffäre.

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