Die gefährliche Nervosität der Militärs in Myanmar
Die Soldaten gehen mit Härte gegen die Proteste vor. Asien-Experte Felix Heiduk spricht von einer neuen Generation von Demonstranten. Sanktionen sieht er skeptisch.
Massenproteste, Panzer und Wasserwerfer auf den Straßen, Schüsse, Verhaftungen – Myanmar befindet sich zwei Wochen nach dem Putsch in einem Zustand fiebriger Spannung. Die Militärs reagieren zunehmend nervös auf die anhaltenden Proteste. Die geschasste Ikone Aung San Suu Kyi, als faktische Regierungschefin weggeputscht, dürfte zumindest das stundenlange Schlagen auf Kochtöpfe hören – egal, ob sie sich im Hausarrest befindet oder anderswo festgehalten wird. Suu Kyi weiß, dass der Lärm eine klare Forderung an die Generäle ist, sie selber freizulassen und die Soldaten in die Kasernen zurückzuziehen.
Doch dafür, dass dies in absehbarer Zeit geschehen wird, fehlen die Anhaltspunkte. Trotz der Abschaltungen des Internets gibt es Bilder von Menschen, die in Panik fliehen, und von einer erdrückenden Präsenz der Streitkräfte. Am Montag sollen Soldaten und Polizisten in Mandalay auf friedliche Demonstranten mit scharfer Munition oder mit Gummigeschossen gefeuert haben. Zu verifizieren sind die Berichte kaum.
Hat die Armee-Führung des Widerstand unterschätzt?
Die Frage drängt sich auf, ob die Armee-Führung die Ablehnung durch eine große Mehrheit der Bevölkerung unterschätzt hat. „Ich glaube, dass es ihnen relativ egal ist, ob eine Mehrheit gegen den Putsch ist. Sie sehen sich als alleinige Stütze des Staates, die die Einheit Myanmars garantieren kann. Die zivile Bevölkerung spielt nach diesem Verständnis keine zentrale Rolle“, sagt der Asien-Experte der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), Felix Heiduk, im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Führung der Streitkräfte sei davon überzeugt, dass man Zivilsten das Schicksal des Landes nicht ohne Aufsicht anvertrauen kann.
Allerdings sicherte eine Verfassungsklausel den Streitkräften auch vor dem Putsch ein Viertel der Parlamentsmandate und damit eine politische Sperrminorität gegen Änderungen des Status quo. Dennoch schien die Angst der Militärs vor einem schleichenden Machtverlust zuletzt immens gewachsen zu sein. Heiduk: „Meiner Ansicht war entscheidend, dass San Suu Kyi im Wahlkampf angekündigt hat, mit der Demilitarisierung des Staatsapparates ernst zu machen.“ Die Militärs haben einiges zu verlieren. Nicht nur politischen Einfluss, sondern auch ihre Pfründe in der Wirtschaft. Ganze Unternehmen, wie eine große Brauerei, sind unter ihrer Kontrolle. Zudem gibt es viele Indizien dafür, dass die Armee auch bei lukrativen illegalen Geschäfte wie dem Verkauf von Tropenholz, Edelsteinen oder Amphetaminen im großen Stil mitmischt.
Felix Heiduk hat schon vor dem Putsch beobachtet, dass die Kommunikation zwischen San Suu Kyi und den Generälen „fast vollständig“ zusammengebrochen ist. Eine weitere Rolle könnten persönliche Überlegungen des Oberbefehlshabers Min Aung Hlaing spielen, der nach dem Putsch die Macht in den Händen hält: „Er hatte sich vor der Wahl darauf fixiert, Präsident zu werden. Durch den Sieg der Regierungspartei NLD bei den Wahlen im November 2020 sah sich Hlaing um diese Chance gebracht. Es gibt Gerüchte, dass er und Familienmitglieder in illegale Geschäfte verwickelt sind und er nach seiner absehbaren Pensionierung ohne Immunität Gerichtsverfahren fürchtet.“ An die offizielle Begründung für den Putsch glaubt der Asien-Experte nicht. Das Militär wirft der NDL und Suu Kyi Wahlbetrug vor. 10,5 Millionen Stimmen seien gefälscht, hieß es. Als die Wahlkommission die Vorwürfe mit Verweis auf fehlende Beweise nicht weiter verfolgen wollte, schlugen die Streitkräfte zu.
Der Schaden durch den Putsch ist schon jetzt enorm
Der Schaden für das Land ist schon jetzt enorm – politisch und ökonomisch. Bis vor dem Putsch war Myanmar so etwas wie eine eingeschränkte Demokratie. Doch was passiert jetzt? Heiduk kann sich zwei Szenarien vorstellen: Denkbar sei, dass die Machthaber – wie schon 1988 und 2007 – auf anhaltenden Widerstand mit brachialer Gewalt reagieren und die versprochenen Wahlen immer wieder verschieben. Dann würde alles auf die schrittweise Rückkehr zu einer Militärdiktatur hinauslaufen. Ebenfalls für möglich hält Heiduck, dass sich die Dinge wie in Thailand entwickeln und das Militär eine „stillere Form staatlicher Repression“ ausübt. Mit Parteien und Wahlen, aber alles unter der Kontrolle der Streitkräfte, die unliebsame Oppositionspolitiker mit Gerichtsverfahren überziehen oder Regimekritiker verschwinden lassen.
Es gibt jedoch Unterschiede zu früheren Versuchen der Bevölkerung, die Herrschaft der Militärs abzuschütteln. „Soziale Medien spielen bei den Protesten eine sehr große Rolle. Wir sehen eine junge Generation, die in den letzten Jahren eine zwar defekte Demokratie erlebt hat, aber immerhin mehr Demokratie als die Generation zuvor. Die Jüngeren sorgen sich, politische und wirtschaftliche Freiheiten zu verlieren. Das ist anders als bei den Protesten 1988 und 2007“, sagt Heiduk. Wie sehr die Spitze der Armee die noch immer von der Bevölkerung verheerte San Suu Kyi fürchtet, zeigte sich am Montag. Die 75-Jährige bleibt in Gewahrsam. Erst am Mittwoch, statt – wie geplant – Anfang der Woche, soll es einen Gerichtstermin geben. Dabei wird es zunächst wohl um nicht angemeldete Funkgeräte gehen, die bei einer Dursuchung in ihrem Haus gefunden worden sein sollen. Ein absurdes Schauspiel.
Die USA planen Sanktionen gegen führende Militärs
Die USA planen Sanktionen gegen führende Militärs, die EU diskutiert darüber. Felix Heiduk ist skeptisch: „Die angekündigten Sanktionen werden das Handlungskalkül der Militärs nicht verändern. Die westlichen Staaten sind schließlich keine zentralen Partnerländer. Wichtiger sind China, Hongkong, Singapur, aber auch Japan oder Indien. Diese Länder lehnen Sanktion als Einmischung in innere Angelegenheiten ab oder sind zumindest sehr zurückhaltend.“ Heiduk glaubt vielmehr, dass ein entscheidender Punkt sein werde, wie gut organisiert die Massenproteste sind, welche Gruppen sie tragen und wie lange sie andauern.
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