Missbrauch in der Kirche: So einfach darf Kardinal Woelki nicht davonkommen

08.02.2021

Der Kölner Kardinal hat zuletzt Fehler eingeräumt und sogar seinen Rücktritt in Aussicht gestellt. Was davon zu halten ist? Nichts.

Vor ein paar Jahren noch versuchte in solchen Fällen der eine oder andere katholische Bischof "den" Medien die Schuld zuzuschieben: Diese Kirchenmänner sahen eine "Medienkampagne" gegen die heilige katholische Kirche am Werk, sie wähnten sich als Opfer einer "Hetzjagd". Was für eine erbärmliche Täter-Opfer-Umkehr! Denn es ging um Missbrauchsfälle, die jahrzehntelang von Kirchenmännern begangen und vertuscht wurden - und die in Deutschland seit 2010 an die Öffentlichkeit drangen.

Und zwar weil Opfer all ihren Mut zusammennahmen - und weil Journalisten nicht nachließen zu recherchieren. Jene Kirchenmänner aber, die von einer Jagd auf sich und "die" Kirche sprachen, hatten kein Interesse an echter Aufklärung und Aufarbeitung. Viele von ihnen machten Missbrauchsopfer stattdessen ein zweites Mal zu Opfern. Indem sie ihnen nicht zuhörten, keinen Glauben schenkten oder die Glaubwürdigkeit absprachen und sie unter Druck setzten.

Kölner Kardinal Woelki: Seine Methoden und Aussagen sind perfide

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der seit Monaten ein unabhängiges Missbrauchsgutachten unter Verschluss hält und dazu auch Opfer für seine Zwecke instrumentalisierte, verteidigt sich nicht mehr mit den Methoden von 2010 - aber er agiert nicht minder perfide. Und mancher scheint ihm tatsächlich auf den Leim zu gehen. Es wäre fatal, kämen er, sein Anwaltsheer und seine erzkonservative Anhängerschar damit durch.

Dass Woelki zuletzt einen Rücktritt nicht mehr ausschloss, ist allenfalls bei oberflächlicher Betrachtung ein Zeichen für doch noch vorhandenes Bewusstsein, selbst große Fehler begangen zu haben. Denn er macht dies von einem zweiten Gutachten abhängig, das am 18. März veröffentlicht werden soll - nachdem er dem ersten einer Münchner Kanzlei "methodische Mängel" und Rechtswidrigkeit attestiert hatte. Ohne es zu kennen, wie er behauptet.

Vom zweiten Gutachten aber hat Woelki, der unter Vertuschungsverdacht steht, kaum etwas zu befürchten. Das weiß er nur allzu gut. Der Grund: Es unterzieht die Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln der vergangenen Jahrzehnte offenkundig lediglich einer Rechtmäßigkeitskontrolle. Und nimmt voraussichtlich eben nicht - wie das Münchner Gutachten - Wertungen vor, die zum Maßstab auch das kirchliche Selbstbild haben.

Man muss das an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich sagen: Woelki hat sich nach allem, was bisher bekannt ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit wohl weder strafrechtlich noch kirchenrechtlich etwas zuschulden kommen lassen. Aber darum geht es nicht in erster Linie, weil Schuld längst nicht nur eine Frage des Straf- oder Kirchenrechts ist.

Wenn es so wäre, gäbe es - polemisch formuliert - keinen anhaltenden Missbrauchsskandal in der und kein Problem für die Kirche. Denn strafrechtlich sind die allermeisten Missbrauchsfälle längst verjährt, Täter gestorben und deren Opfer teils alt, psychisch wie körperlich krank oder zu kraftlos und auf sich allein gestellt, um gegen die immer noch mächtige Institution Kirche anzukämpfen. Auch kirchenrechtlich war jahrzehntelang vieles nicht als problematisch oder sanktionierbar erkannt und eingestuft. Missbrauchstäter in andere Pfarreien zu versetzen, Akten zu vernichten (nach gewissen Fristen), Opfer unter Druck zu setzen - alles jahrzehntelang kein Fall für weltliches Straf- oder kirchliches Recht.

Der Kölner Kardinal wird weder Missbrauchsopfern noch den hohen moralischen Ansprüchen der Kirche gerecht

Doch genau darauf stellt Woelki ab, wenn er über seine eigenen Versäumnisse und Fehler redet und die Übernahme von Verantwortung verspricht, die er allen anderen und sich selbst abverlange. Woelkis Beteuerungen sind so nichts als Wort-Kosmetik, auch wenn er "ich" (habe Fehler gemacht) sagt - und nicht wie so viele Bischöfe vor ihm "man".

Dazu reicht schon der Blick auf das, was er als Fehler ausmacht: mit Westpfahl Spilker Wastl aus seiner Sicht der falschen Kanzlei einen Gutachten-Auftrag gegeben zu haben oder "nicht gut kommuniziert" zu haben. Gipfel der Perfidie war sein Satz: "Ich tue das für die Betroffenen, damit sie ein Stück Gerechtigkeit erfahren. Meine Person interessiert da nicht."

Die katholische Kirche in Deutschland befasst sich seit 2010 mit dem Missbrauchsskandal. Sie ist in Sachen Aufarbeitung und Prävention durchaus weit vorangekommen. Woelki jedoch führt vor, dass es nach wie vor hochrangige Kirchenmänner gibt, die nichts gelernt und nichts verstanden haben. Deshalb wäre es besser, wenn Woelki den Weg frei macht für einen Nachfolger.

Sein Versagen und seine Schuld - wenn sie sich schon nicht in den Kategorien Straf- und Kirchenrecht bemessen lassen sollten - liegen auch und vor allem am berechtigten Anspruch der Opfer, endlich Gewissheit zu erhalten über ihre Peiniger und das System des Missbrauchs, das dahinter stand. Und sie liegen an seinem Versagen - was für ein Armutszeugnis für einen Seelsorger -. den hohen moralischen Ansprüchen der katholischen Kirche nicht gerecht zu werden. Das Wort "Nächstenliebe" aus Woelkis Mund ist unglaubhaft geworden.

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