Plötzlich gehen die Schlagbäume zwischen den Nachbarn wieder runter. Dabei hat sich längst gezeigt, dass das keine sinnvolle Lösung in Zeiten der Pandemie ist.
Es gab mal eine Zeit, da waren die Grenzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten so weit offen, dass sogar ein Tempolimit an den einstigen Kontrollstellen von der EU-Kommission untersagt wurde. Begründung: Die Reisefreiheit meint einen ungehinderten, also auch ungebremsten Übergang zwischen den Mitgliedstaaten. Was nun an einigen ausgewählten Übergängen wieder Alltag ist, hat damit nichts mehr zu tun.
Nicht wegen der quälenden Kontrollen und Pflicht-Tests, die eingeführt wurden, ohne die dazu notwendige Infrastruktur zu schaffen, sondern weil die Mitgliedstaaten in ein fast schon vor-europäisches Denken zurückfallen: Ein inländisches Hochrisikogebiet wird anders behandelt als eine Region mit gleicher Inzidenz beim Nachbarn. In einem Fall schließt man Grenzen, im anderen Fall unterbleibt dagegen eine vergleichbare Abschottung. Dabei sollte die Union in allen Zonen, in denen sich das Virus oder eine der Mutanten verbreiten, in gleicher Weise vorgehen. Doch das hat bis jetzt nicht funktioniert.
Der EU-Gipfel wird von Streit überschattet
Das virtuelle Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag wird auch deshalb vom Streit um die Situation an den Grenzen überschattet. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Denn die läge in einem abgestimmten Vorgehen, bei welcher örtlichen oder regionalen Bedrohungslage, welche Einschränkungen in Kraft treten sollen – und zwar überall in der Gemeinschaft. Beim vorangegangenen Gipfel war es nämlich Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich Vorwürfe anhören musste, nicht dieselben Restriktionen wie unsere Nachbarn Belgien, Niederlande oder Frankreich eingeführt zu haben.
Grenzschließungen sind und bleiben ein Misstrauensvotum gegenüber denen, die man aussperrt. In den offiziellen Dokumenten des Gipfels wird das anders klingen. Auf dem Papier dürften die 27 feststellen, dass zeitlich befristete und punktuelle Maßnahmen zur Eindämmung des Virus und seiner Ableger in Ordnung sind, wenn dadurch die grenzüberschreitende Übertragung zu verhindern ist. Das liest sich gut, übersieht aber, dass es in der Europäischen Union keine Grenzen mehr geben darf. Sie sind eine Kurzschlussreaktion auf eine Bedrohung, die keiner allein, sondern nur alle gemeinsam in den Griff bekommen können.
Reisen mit Impfschutz: Viele Fragen rund um das Coronavirus sind ungeklärt
Diese Strategie, die genau genommen keine ist, wird sich fortsetzen – und die Zerrissenheit dieser Union noch weiter vertiefen. In einigen Mitgliedstaaten arbeitet man bereits intensiv an einer Art Impfpass, einem Dokument, das den Geimpften ihre bis dahin entzogenen Freiheiten wieder zurückgibt. Sie sollen mit dem Impfschutz wieder reisen, ausgehen und shoppen dürfen. In anderen Ländern halten sich die Regierungen noch zurück – nicht zuletzt mit dem plausiblen Argument, dass man die Freiheiten fairerweise erst dann wieder gewähren kann, wenn alle die Chance zur Impfung bekommen haben. Tatsächlich bleibt auch das ein vorgeschobenes Argument, um sich Zeit zu erkaufen. Wird man einen solchen Impfpass gegenseitig anerkennen? Oder schließen einige dann wieder ihre Grenzen und riskieren den endgültigen Zerfall der Reisefreiheit?
Die Staatenlenker sind von einer Antwort weit entfernt, obwohl alle wissen, dass diese Unklarheit in einigen Monaten beseitigt sein muss. Und sie ahnen auch, dass keine Regelung zu einem unübersehbaren Chaos führt. Denn wie geht ein Land, das den Impf-Pass ablehnt, mit den Reisenden um, die aus einem Nachbarstaat mit Impf-Pass kommen? Von dem oft geforderten europäischen Weg ist in allen diesen Fragen wenig zu erkennen. Dabei bräuchte man eigentlich eine europäische Straße und keinen Trampelpfad.
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Beim Rentenalter sieht niemand den Verfall von Europa...
"Die Reisefreiheit meint einen ungehinderten, also auch ungebremsten Übergang zwischen den Mitgliedstaaten. Was nun an einigen ausgewählten Übergängen wieder Alltag ist, hat damit nichts mehr zu tun."
Damit kann man im wahrsten Sinn des Wortes: leben - eine Zeitlang ganz locker. Europäisches Recht und Grundrechte hin oder her: Bei einer Inzidenz um die 1000 (Tschechien) wird das für viele schwierig bis unmöglich.
Derzeit unerträglich ist diese wieder zunehmende irre Herumfliegerei und das infantile Gejammer - vorneweg der Deutschen liebstes Käseblatt - wegen des evtl. buchstäblich ins Wasser fallenden Malle-Urlaubs. Verständlich ist der Ärger über den Dilettantismus, mit dem die Regierenden den Impfstart versaubeutelten und die "Laissez-faire"-Mentaltät, mit der Teile der rundum abgesicherten, luxusversorgten deutschen Beamtenschaft mit dieser größten Krise mindestens seit der Nachkriegszeit umgehen.
"Dabei hat sich längst gezeigt, dass das keine sinnvolle Lösung in Zeiten der Pandemie ist."
Wirklich? Wie wollen Sie denn Tschechien oder Österreich vorschreiben, dass jetzt Lockdown angesagt ist? Hier werden alle Geschäfte und Restaurants geschlossen und bei den Nachbarn ist alles offen. Wann akzeptieren die Medien endlich, dass Europa kein Staat ist und die Souveränität der Mitgliedsländer unumstößlich ist? Solange Geld verteilt wird, und D zahlt, sind alle dabei. Aber bei allen anderen Themen lässt sich niemand von Europa etwas vorschreiben.
Die Souveränität der EU-Mitgliedsländer ist nicht unumstößlich. Im Gegenteil, ich hoffe sehr, dass meine Enkel eines Tages in einem freiheitlichen und demokratischen Land namens „Vereinigte Staaten von Europa“ leben.
Nur auf dem Weg dorthin müssen die Probleme offen angesprochen werden. Bei der Einführung des Euro z. B. wurde die politische Union als unabdingbare Voraussetzung für eine gemeinsame Währung genannt. Obwohl Europa in der Entwicklung noch nicht so weit war, wurde (wider besseres Wissen!) der Euro eingeführt.
Was die Grenzschließungen angeht, möchte ich an den März 2020 erinnern: Tschechien hatte kaum Corona-Fälle, in Deutschland waren die Fallzahlen dagegen ansteigend. Der tschechische Innenminister Jan Hamacek verkündete damals folgende Grenzregelung:
"Wir geben den Pendlern die Wahl: entweder in Tschechien bleiben oder aber sie suchen sich in Österreich und Deutschland eine Unterkunft und arbeiten längere Zeit im Ausland."
und begründete sie wie folgt:
"Das Pendeln über die Grenze ist der letzte Kanal, durch den diese Epidemie aus dem Ausland in die Tschechische Republik kommen kann." (vgl. Tagesschau vom 24. März 2020)
"ich hoffe sehr, dass meine Enkel eines Tages in einem freiheitlichen und demokratischen Land namens „Vereinigte Staaten von Europa“ leben."
Demokratie findet so gut wie gar nicht statt in Europa. Ob sich die kleinen Länder ihre Souveränität nehmen lassen, zu Gunsten eines Zentralstaat Europa? Separatisten gibt es ja auch so schon genug in Europa. Der Trend geht zu regionaler Selbstbestimmung. Ohne eine gemeinsame Identität gibt es nur die "verstrittenen Staaten von Europa" .
https://m.tagesspiegel.de/politik/separatisten-in-europa-nicht-nur-katalonien-wer-alles-nach-unabhaengigkeit-strebt/20366008.html