Nachruf auf Guido Westerwelle: Ein Politiker ohne Angst
Laut, schrill, angriffslustig: Guido Westerwelle war einer, der polarisiert. Der keine Auseinandersetzung scheut. Nun hat der frühere Außenminister seinen letzten Kampf verloren
Es ist Donnerstagabend in Berlin. Ein alter Weggefährte von Guido Westerwelle ist eigentlich schon auf dem Weg nach Hause, als er noch kurz von der Trauerfeier für Hans-Jürgen Beerfeltz erzählt. Dem Mann, der fast 15 Jahre Bundesgeschäftsführer der FDP war und bis zuletzt einer der engsten Mitarbeiter von Westerwelle, ehe er im Januar den Kampf gegen Leukämie verlor. Irgendwann kommt das Gespräch dann fast zwangsläufig auf den früheren Außenminister selbst und die Frage, wie es ihm eigentlich gehe. „Nicht gut“, sagt der Mann. „Ich mache mir Sorgen.“
Keine 15 Stunden später ist Guido Westerwelle tot. Gestorben, auch er, an den Folgen eines besonders heimtückischen Blutkrebses, von dem er bis vor wenigen Monaten noch gedacht hat, er könne ihn bezwingen, zäh und zuversichtlich, wie man ihn kennt. „Mir geht es eigentlich ganz gut“, sagt er noch Anfang November bei der Vorstellung seines neuen Buches in einem Berliner Theater. „Ich hatte bessere Phasen, aber auch sehr viele schlechtere.“ Wenig später allerdings muss er schon wieder in die Kölner Universitätsklinik, die er seitdem nicht mehr verlassen hat. Seine 2014 gegründete Stiftung begründet das noch vor ein paar Tagen mit einer „Medikamentenumstellung“.
Dünner ist der Westerwelle geworden, der sich da im November zeigt, aber nicht depressiv, das Sprechen fällt ihm noch schwer, er nuschelt stark, aber er kann schon wieder in die Oper gehen und in die Talkshows von Günther Jauch und Markus Lanz. „Zwischen zwei Leben“ hat er sein Buch genannt, das er dort bewirbt. Untertitel: „Von Liebe, Tod und Zuversicht.“ Er habe es geschrieben, erzählt er, um Aufmerksamkeit für Menschen zu gewinnen, denen das Schicksal ähnlich zugesetzt hat. Die länger auf eine passende Knochenmarkspende warten als er oder nach einer Transplantation mit allergischen Schocks kämpfen. „Es ist kein Krankheitsbuch“, sagt Westerwelle. „Kein Todesbuch, sondern ein Lebensbuch.“
Über die Politik redete Guido Westerwelle nur noch am Rande
Über die Politik, die sein Leben so geprägt, bestimmt und bereichert hat, redet er bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten nur noch am Rande. „Das ist so weit weg“, wehrt er allzu lästige Fragen ab. Eines aber ist ihm wichtig: „Ich bin mit niemandem im Streit.“ Für einen Menschen wie Guido Westerwelle, der als Generalsekretär und später als Vorsitzender der FDP keine Auseinandersetzung gescheut hat und als Außenminister mehr Kritik einstecken musste als die meisten seiner Vorgänger zusammen, ist das ein bemerkenswert sanfter Satz. Im Nachhinein klingt er so, als habe er unter dem Eindruck der Krankheit vor allem eines gewollt: im Reinen sein – mit sich und anderen.
Die Jungen Liberalen gründet der Sohn eines Bonner Rechtsanwalts und einer Richterin 1980 mit, weil ihm der frühere Jugendverband der FDP, die Jungdemokraten, zu links sind. Es ist der erste Schritt auf einem Weg, den der Tagesspiegel Jahre später mit „Hauptsache Streit“ überschreibt. Westerwelle ist jung, angriffslustig – und ehrgeizig. Mit 22 wird er Vorsitzender der Jungen Liberalen, mit 27 Mitglied im Bundesvorstand der FDP, mit 33 Generalsekretär und sechs Jahre später schließlich Vorsitzender seiner Partei: Wer in der Politik so schnell Karriere machen will, darf nicht warten, bis ein Amt zu ihm kommt. Er muss sich nach vorne drängeln, Konkurrenten ausstechen, eigene Skrupel unterdrücken. Den Parteivorsitz entreißt Westerwelle seinem Vorgänger Wolfgang Gerhardt regelrecht. In einem Hamburger Nobelhotel redet er im Januar 2001 stundenlang auf ihn ein, bis der Hesse zermürbt und übermüdet aufgibt. Dem Willen des Jüngeren hat er nichts mehr entgegenzusetzen.
Der Aufstieg von Guido Westerwelle war für die FDP Fluch und Segen
Für die FDP, die bisher noch jede Wahlschlappe dem jeweiligen Vorsitzenden angekreidet hat, ist Westerwelles rasanter Aufstieg Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil der Neue vom Besuch im Container von Big Brother über seine Wahlkampftouren im quietschgelben „Guidomobil“ bis zu den antisemitischen Klischees, mit denen sein damaliger Stellvertreter Jürgen Möllemann spielt, keine Peinlichkeit auslässt. Segen, weil die Partei nach einer Serie verlorener Wahlen unter Westerwelle schnell die Wende schafft und nach neun Jahren Opposition mit dem Rekordergebnis von 14,6 Prozent wieder Teil einer Bundesregierung wird – mit ihm als Außenminister. Ein junger Genscher.
„Ihr kauft mir den Schneid nicht ab“, schleudert er seinen Kritikern nach Monaten im Amt entgegen, die ihn da bereits für eine Fehlbesetzung halten und ihm unter anderem vorwerfen, er nehme seinen Lebensgefährten Michael Mronz mit auf Auslandsreisen, um ihm Türen für seine Geschäfte zu öffnen. Es ist der Westerwelle, wie man ihn bis dahin kennt. Der Jetzt-erst-recht-Guido. Der notorische Besserwisser. Der immer etwas zu Laute und etwas zu schnell Beleidigte, einer der besten Redner im Bundestag, witzig und pointiert, aber eben auch einer, der polarisiert wie wenige Spitzenpolitiker. Bis er kommt, ist das Amt des Außenministers ein Amt mit eingebauter Popularitätsgarantie. Westerwelles Sympathiewerte aber fallen in den Umfragen, statt zu steigen. Das liegt auch daran, dass er als FDP-Chef nicht liefern kann, was er im Wahlkampf versprochen hat, nämlich niedrigere Steuern.
Die Metamorphose des Guido Westerwelle
Auch sein Verzicht auf den Parteivorsitz und den Posten des Vizekanzlers im Frühjahr 2011 rettet die Liberalen nicht mehr. Zwei Jahre später fliegen sie nach einem verkorksten Wahlkampf mit dem jungen Parteichef Philipp Rösler und dem früh ergrauten Spitzenkandidaten Rainer Brüderle aus dem Bundestag. Der Westerwelle, den nur wenige kennen, ist ein Mensch von ansteckender Freundlichkeit, ein Mann mit perfekten Manieren und einem ausgeprägten Kunstsinn. Im kleinen Kreis, wenn die Kameras ausgeschaltet sind, die Notizblöcke weggesteckt, kann auch der Lautsprecher Westerwelle leise und nachdenklich sein. Er verleugnet seine Zweifel nicht, betrachtet das Außenministerium nicht mehr als Projektionsfläche für sein großes Ego, sondern als ein Amt, in dem man tatsächlich etwas bewegen kann. Beamte, die lange für ihn gearbeitet haben, beschreiben diese Metamorphose so: Am Anfang hatte er zu allem eine Meinung, dann begann er, sich auch für die Meinungen anderer zu interessieren…
Dass Deutschland sich nicht am Militärschlag gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi beteiligt, ist die vielleicht umstrittenste Entscheidung seines politischen Lebens. Ausgerechnet unter ihm, der auf Parteitagen oft getönt hat, Enthaltung sei alles, nur keine Haltung, enthält die Bundesrepublik sich im Weltsicherheitsrat – in einer grotesken Allianz mit China und Russland. Ausgerechnet er, der so große Hoffnungen in die Arabellion gesetzt hat und den tausende von Ägyptern auf dem Tahrir-Platz feiern wie einen Messias der Demokratie, will einen Diktator an der Macht halten. Später, als er schon nicht mehr im Amt ist, räumt Westerwelle ein, dass er zu optimistisch war, als die Welle der Revolutionen durch die arabische Welt schwappte. Die Libyen-Entscheidung aber verteidigt er umso entschlossener: „In meiner Amtszeit war deutsche Außenpolitik Friedenspolitik.“
Der Krebs, der ihn besiegt, kommt lautlos und ohne jede Vorwarnung. Westerwelles Ärzte entdecken ihn eher zufällig, als sie ihn im Juni 2014 am Knie operieren wollen. Noch am gleichen Tag beginnt er zu schreiben. Es ist eine Reise zurück zu sich selbst und in eine neue, gefährliche Ungewissheit. „Man bleibt derselbe Mensch“, sagt Westerwelle, als er sein Buch vorstellt, „und ist doch ein anderer geworden.“
Am Tag seines Todes meldet er sich ein letztes Mal zu Wort. Auf der Internetseite seiner Stiftung ist ein Foto zu sehen. Ein Selfie am Strand. Ein Bild aus glücklichen Tagen. Dazu nur ein paar Zeilen: „Wir haben gekämpft. Wir hatten das Ziel vor Augen. Wir sind dankbar für eine unglaublich tolle gemeinsame Zeit. Die Liebe bleibt. Guido Westerwelle und Michael Mronz, Köln, den 18. März 2016.“
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Er mag im persönlichen Umgang ein sehr angenehmer Zeitgenosse gewesen sein, politisch war er der Chefideologe und Verkünder eines marktradikalen, kaltschnäuzigen Neoliberalismus, dessen Scheitern vorhersehbar war und heute offensichtlich ist. Nach der Devise "Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht". Sprüche wie "Mindestlohn ist DDR, nur ohne Mauer" werden mit seinem Namen verbunden bleiben.
Dem Menschen Westerwelle hätte ich ein gnädigeres Schicksel und noch viele Lebensjahre gewünscht und gegönnt.
Ich kann mich diesen Kommentar nur voll anschließen. Westerwelle war auch nicht „mutig“ sein Gehalt wurde unfreiwillig vom Steuerzahler und von ihm zugeneigten Wirtschaftslobby gesichert. „Mut“ sieht für mich ganz anders aus, vor allem wenn man durch ständige Fehlleistungen keinen Bankrott befürchten muss. Mit Westerwelle verbinde einen inhumanen Neoliberalismus.
Ich muss grinsen, als er die ALG2-Leistungen gar noch als“ römische Dekadenz“ (oder waren es gar die Menschen selbst?) hinstellt hat –und er dann Besuch von einigen verkleideten, dekadenten Römern bekam. Da war der Guido dann gar nicht mehr so relaxt.
Ja - das Schlagwort Neoliberalismus. Was war so "neo", also neu, an dieser Art des Liberalismus. Es würde hier zu weit führen die Verbindungen unserer (sozialen) Marktwirtwirtschaft zum Ordoliberalismus/Neoliberalismus näher zu beleuchten. Zumindst mir ist er lieber als der Sozialismus/Kommunismus den z.B. Teile der LINKEn, der GRÜNEN ... für richtig halten.
Schön, dass Sie wenigstens sozial in Klammern gesetzt haben. "Unsere (soziale) Marktwirtschaft" gibts nämlich inzwischen genau so wenig wie den von Ihnen befürchteten Sozialismus/Kommunismus.
Was sich dagegen entwickelt ist eine Art rücksichtslose Ellbogengesellschaft mit feudalen Zügen und Tendenz zur Sklaverei. Und diese Gesellschaft braucht Feindbilder bzw. ein Ventil für den aufgestauten Frust: Derzeit sind es die Flüchtlinge, auf die eingedroschen wird und als es die noch nicht gab waren es halt die angeblich in Saus und Braus lebenden Hartz-IV-Empfänger. Immer lustig und munter auf die Schwächsten. Einige Schreiber finden offenbar großen Gefallen an diesem üblen Spiel . . .
Der, um den es hier eigentlich geht, ist an dieser fatalen Entwicklung nicht ganz unschuldig . . .
der frühere Außenminister .... und "Weltenbummler?" ..... mit der Flugbereitschaft (kein Deutscher Außenminster ) .... hat so viele Staatsbesuche gemacht.
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(edit/ Nub. 7.2)