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Foto: Patrick Semansky, dpa/AP
Foto: Patrick Semansky, dpa/AP

Joe Biden bei seiner Rede nach der Vereidigung.

USA
20.01.2021

Neuer US-Präsident Joe Biden: "Es gibt viel zu reparieren"

Von Karl Doemens

In seiner Antrittsrede verspricht der neue Präsident Joe Biden, auch für die Bürger zu kämpfen, die ihn nicht gewählt haben. Der Kontrast zu Trump könnte nicht größer sein.

Ist es wirklich erst ein paar Tage her, dass der rechte Mob die weiße Tribüne hier an der Westseite des Kapitols besetzte? Dass drinnen rechtsextreme Gewalttäter auf Polizisten einschlugen und Politikern nach dem Leben trachteten? Und hat der Mann, der seine Anhänger dazu anstiftete, tatsächlich erst vor drei Stunden das Weiße Haus verlassen?

Um 11.49 Uhr an diesem kühlen, windigen Januarmorgen scheint in Washington plötzlich eine neue Zeit anzubrechen, und für einen Moment könnte man glauben, das ganze Land sei aus einem langen Alptraum erwacht. Da legt ein 78-jähriger Mann seine Hand ruhig auf eine schwere Familienbibel mit einem Keltenkreuz und schwört, dass er sein Bestes geben wird, um die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zu schützen. Er wolle ein Präsident aller Amerikaner sein, verspricht Joe Biden: "Ich werde ebenso hart für die kämpfen, die mich unterstützen, wie für die, die mich nicht unterstützen."

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Foto: Saul Loeb, afp/dpa
Foto: Saul Loeb, afp/dpa

Joe Biden wird von Chief Justice John Roberts als 46. Präsident der USA vereidigt.

Das sind Wort, wie man sie vier Jahre lang nicht vom amerikanischen Präsidenten gehört hat. Schon gar nicht hat man eine schwarze Frau als Stellvertreterin an seiner Seite gesehen. Plötzlich ist von Anstand, Respekt und Toleranz die Rede, wo lange nur Hass und Verleumdungen gepredigt wurden. "Wir müssen diesen unzivilisierten Krieg zwischen Rot und Blau (den Parteifarben von Republikanern und Demokraten, d. Red.) und zwischen dem Land und den Städten beenden!", fordert der neue Präsident.

Amtseinführung für Biden: Washington wird zum Hochsicherheitstrakt

Das ist ein extremer Wechsel von Botschaft und Ton. Auch sonst wirkt der Amtswechsel vom 45. zum 46. Präsidenten der USA in vielerlei anderer Hinsicht beispiellos: Er findet nicht nur kurz nach einem rechten Umsturzversuch, sondern auch mitten in der Corona-Pandemie statt, die in Amerika mehr als 400.000 Menschen das Leben gekostet hat. Schon lange war deshalb klar, dass die Teilnehmerzahl für die Inauguration extrem beschränkt sein würden. Nach dem Sturm auf das Kapitol ist die ganze Stadt in einen Hochsicherheitstrakt mit 25.000 Soldaten verwandelt worden, und auf der National Mall, wo sonst Hunderttausende Zuschauer feiern, weht nur ein Meer von rot-weiß-blauen Fahnen.

Seine "ganze Seele" wolle Biden darauf verwenden, "Amerika zusammenzubringen"

Joe Biden bleibt nicht bei der pathetischen Beschwörung der siegreichen Demokratie stehen. Eindringlich mahnt er: "Es gibt viel zu reparieren, wiederherzustellen und zu heilen!" In seinem ganzen Wahlkampf hat der ehemalige Vizepräsident von Barack Obama für die Versöhnung des tief zerrissenen Landes geworben. Die Überwindung der Spaltung ist auch das Leitmotiv seiner Rede zur Amtseinführung: Seine "ganze Seele" wolle er darauf verwenden, "Amerika zusammenzubringen, die Menschen auszusöhnen und die Nation zu einen", verspricht er in Abwandlung eines Zitats des Gründervaters Abraham Lincoln und fordert alle Bürger auf, ihn dabei zu unterstützen.

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Foto: Jonathan Ernst, Pool Reuters/AP/dpa
Foto: Jonathan Ernst, Pool Reuters/AP/dpa

Joe Biden ist neuer Präsident der USA.

"Politik ist kein wütendes Feuer, das alles in seinem Weg zerstört", betont Biden. Der Kontrast zur Antrittsrede von Donald Trump vor vier Jahren, als dieser von einem "amerikanischen Gemetzel" sprach, könnte kaum größer sein. Als erster Präsident seit 150 Jahren ist Trump der Vereidigung seines Nachfolgers ferngeblieben. In einer letzten Botschaft wünscht er der neuen Regierung "viel Glück". Den Namen des neuen Präsidenten, von dem er bis zuletzt behauptet hat, dass er nicht rechtmäßig gewählt worden sei, spricht er nicht aus.

Joe Biden: Absage an "politischen Extremismus"

Umgekehrt ignoriert Biden den Möchtegern-Autokraten in seiner Ansprache einfach, als er freundlich seine "Vorgänger aus beiden Parteien" begrüßt: Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama sitzen mit ihren Frauen auf der Tribüne. Auch Trumps Vizepräsident Mike Pence ist gekommen. Die bizarre  Abschiedszeremonie mit 21 Salut-Schüssen und dem Partysong "YMCA", die Trump für sich organisieren lässt, besucht er nicht.

Neuer US-Präsident Biden: Die Bilder von der Amtseinführung
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Foto: J. Scott Applewhite, AP, dpa

Angekommen: Joe Biden am US-Kapitol. Seine Vereidigung als 46. US-Präsident besiegelte das Ende der Amtszeit von Donald Trump.

Foto: Patrick Semansky/AP Pool, dpa

Joe Biden und seine Frau Jill auf dem Weg zur Amtseinführung.

Foto: J. Scott Applewhite, AP, dpa

Joe Biden (rechts), seine Frau Jill Biden und Kamala Harris mit ihrem Ehemann Doug Emhoff.

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Hoher Besuch: Der ehemalige Präsident Barack Obama und seine Frau Michelle kamen auch zur Amtseinführung.

Foto: Jonathan Ernst/Pool Reuters, AP, dpa

Freudige Begrüßung: Barack Obama mit Kamala Harris.

Foto: Patrick Semansky, AP, dpa

Auch der ehemalige Präsident George W. Bush und seine Frau Laura waren gekommen.

Foto: Patrick Semansky, AP, dpa

Ebenso der ehemalige Präsident Bill Clinton und seine Frau, die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton.

Foto: Carolyn Kaster, AP, dpa

Kamala Harris und ihr Ehemann Doug Emhoff mit Barack Obama und seiner Frau Michelle.

Foto: Patrick Semansky, AP, dpa

Auch Senator Bernie Sanders, einst Bidens Gegner um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, ist gekommen.

Foto: Carolyn Kaster, AP, dpa

Die ausgewählten Gäste bei der Amtseinführung.

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Joe Biden begrüßt Lady Gaga.

Foto: Patrick Semansky, AP, dpa

Pater Leo ODonovan spricht vor dem US-Kapitol.

Foto: Kevin Dietsch, AP/dpa

Sie wirken gelöst: First Lady Jill Biden und Präsident Joe Biden nach der Vereidigung.

Foto: Jim Lo Scalzo, epa/dpa/AP

Gleich an die Arbeit: US-Präsident Joe Biden unterzeichnet drei Dokumente im Präsidentenzimmer im US-Kapitol.

Foto: Doug Mills, dpa/The New York Times/AP

Die letzten Meter zu Fuß: Joe Biden mit seiner Familie auf dem Weg zum Weißen Haus.

Foto: Alex Brandon, AP/dpa

Inniger Moment vor dem Weißen Haus.

Foto: Alex Brandon, dpa

Angekommen: Die Bidens vor dem Weißen Haus.

Biden ist kein großer Redner. Seine Vorträge glänzen selten durch rhetorische Girlanden. Aber der Sohn eines Autohändlers aus Scranton im Kohlestaat Pennsylvania spricht an diesem Tag klar, entschlossen und vor allem authentisch. Man nimmt ihm seine Absage an "politischen Extremismus, weißen Rassismus und heimischen Terrorismus" ab, wenn man seine Empörung nach dem gewaltsamen Neonazi-Aufmarsch von Charlottesville erlebt hat. Man spürt seine ehrliche Empörung über eine "Kultur, in der Fakten manipuliert und erfunden werden". Vor allem aber glaubt man ihm seine Anteilnahme für Sorgen und Leid vieler Amerikaner.

Biden verlor Frau, Tochter und Sohn

Schon am Vorabend, gleich nach seiner Ankunft in Washington, hat Biden ein bemerkenswertes Zeichen gesetzt, als er bei Sonnenuntergang gemeinsam mit seiner Frau Jill und der neuen Vizepräsidentin Kamala Harris samt deren Ehemann Doug Emhoff bei einer Zeremonie vor dem Lincoln-Memorial der 400.000 amerikanischen Corona-Toten gedachte. "Um heilen zu können, müssen wir uns erinnern", hatte er da gesagt. Biden weiß, wovon er spricht: Das Leben des gläubigen Katholiken ist von Schicksalsschlägen gezeichnet.  Als junger Mann verlor er seine erste Frau und eine Tochter bei einem Verkehrsunfall. Jahrzehnte später musste er seinen an einem Gehirntumor verstorbenen Sohn Beau beerdigen. Noch heute kann er die Tränen kaum zurückhalten, wenn er von ihm spricht.

Senator, Vize, Präsident: Das Leben des Joe Biden
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Foto: Matt Rourke, AP, dpa

Joe Biden ist der 46. Präsident der USA. Der bald 78-Jährige hat ein bewegtes Leben hinter sich.

Foto: Carolyn Kaster, dpa

Im Jahr 1972 kamen seine Frau Neilia und seine Tochter Naomi bei einem Autounfall ums Leben. Ihr Grab besucht er regelmäßig.

Foto: Matthew Cavanaugh, dpa

2015 verliert er auch seinen Sohn Beau, der an einem Hirntumor litt.

Foto: Andrew Harnik, dpa

Das Ziel, Präsident zu werden, verfolgt er schon länger. 1988 tritt er das erste Mal in den Vorwahlen an, damals als jüngster Kandidat. Ein zweites Mal versucht er es 2008...

Foto: Jewel Samad, AFP

...und unterliegt Barack Obama, der ihn später jedoch zu seinem Vizepräsidenten ernennt.

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Obama schätzte den Rat Bidens. Bei wichtigen Entscheidungen sei er immer der Letzte gewesen, mit dem sich er beraten habe. Auch am Tag, als die Amerikaner Osama bin Laden töteten.

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Für seine Leistungen verlieh Obama seinem Vize die Freiheitsmedaille des Präsidenten, eine der höchsten zivilen Auszeichnungen der USA.

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Joe Biden pflegte Zeit seines Lebens Freundschaften über politische Lager hinweg. Hier spricht er auf der Beerdigung des Republikaners John McCain.

Foto: Carolyn Kaster, dpa

Biden selbst ist gläubiger Christ und der zweite Katholik im Amt des US-Präsidenten. Der erste war John F. Kennedy.

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Für den Weg ins Amt nahm er einen dritten und letztlich erfolgreichen Anlauf. Im Vorwahlkampf der Demokraten setze er sich gegen ein weites Feld an Mitbewerbern durch.

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Sein Endgegner: US-Präsident Trump. Der Wahlkampf war geprägt von persönlichen Anfeindungen.

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Seine Mitstreiterin und Nachfolgerin?: Kamala Harris. Der Guardian spekulierte bereits, dass Biden bei der nächsten Wahl nicht mehr antrete, um Harris das Feld zu überlassen.

Inzwischen ist es 33 Jahre her, dass sich Biden erstmal um die Präsidentschaft bewarb. Er scheiterte zweimal. Auch dieses Mal gab es anfangs deutliche Vorbehalte gegen den alten weißen Mann in seiner Partei. Doch in diesem Moment einer dreifachen epidemiologischen, politischen und wirtschaftlichen Krise wirkt der ebenso erfahrene wie empathische Pragmatiker auf einmal wie die ideale Besetzung für ein aufgewühltes Land und ein in seinen demokratischen Fundamenten schwer beschädigtes Weißes Haus.

Trump: "Ich werde das alles beobachten"

Dort ziehen Joe und Jill Biden am Nachmittag ein – freilich erst nach einer Grundreinigung des Gebäudes. Der Präsident will beim Umsteuern des Landes keine Zeit verlieren. Noch vor einer für den amerikanischen Abend geplanten virtuellen Feier, so ist es geplant, wird er eine Reihe präsidialer Verordnungen unterschreiben, mit denen unter anderem die USA ins Pariser Klimaschutzabkommen zurückkehren, das Tragen von Masken auf öffentlichem Grund vorgeschrieben und der Einreisestopp für Bürger aus überwiegend muslimischen Staaten aufgehoben wird.

Rund 1000 Meilen südlich richtet sich derweil Vorgänger Trump in seinem neuen Domizil Mar-a-Lago in Florida ein. "Ich werde das alles beobachten", hat er vor seinem Abflug gesagt: "Und ich komme in irgendeiner Art wieder." So redet der einstige Reality-TV-Star gerne. Doch an diesem Tag des wohltuenden kollektiven Spannungsabbaus klingt es wie eine Drohung.

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