Olaf Scholz rechnet riskant

12.09.2018

Der Finanzminister balanciert auf einem schmalen Grat. Noch geht es dem Land gut. Doch was passiert, wenn die Wirtschaft einbricht oder die Zinsen steigen?

Die größten Fehler begehen Politiker Olaf Scholz zum Beispiel, sonst von eher vorsichtigem Naturell, müsste als Finanzminister eigentlich weit über den Tag hinaus denken: An die nächste Rezession, die so sicher kommen wird wie das Amen in der Kirche – oder an die nächsten Entscheidungen der Europäischen Zentralbank, die ihre Politik des billigen Geldes nicht mehr lange durchhalten wird. Auf eine Konjunktur- und eine Zinswende allerdings ist der Bund nicht vorbereitet. Der Etat für das kommende Jahr, den Scholz jetzt dem Parlament vorgelegt hat, fußt mit Ausgaben von 357 Milliarden Euro vor allem auf einer Annahme: Dass die Wirtschaft weiter brummt und dem Fiskus anhaltend hohe Steuereinnahmen garantiert.

Ansteigende Zinsen könnten dem Finanzminister einen Strich durch die Rechnung machen

24 Milliarden Euro Flüchtlingsrücklage, vier Milliarden mehr für die Bundeswehr, eine Milliarde mehr für die Entwicklungshilfe, dazu das neue Baukindergeld, neue Aus- und Weiterbildungsprogramme für Langzeitarbeitslose und höhere Renten für Mütter und Erwerbsgeminderte: So problemlos Scholz das bislang alles finanzieren kann, so eng wird es, wenn sich die Vorzeichen ändern. Ein Anstieg der Zinsen um einen Prozentpunkt etwa würde den Finanzminister mittelfristig 13 Milliarden Euro zusätzlich im Jahr kosten. Schwächelt dann auch noch die Wirtschaft, können sich die Steuerausfälle und die Kosten für eine wachsende Zahl von Arbeitslosen rasch auf ein Mehrfaches davon addieren.

Mehreinnahmen in Bildung und Infrastruktur stecken

Im Bemühen, ihre vielen Wahlversprechen auch einzulösen, haben Union und SPD den Blick für das Wesentliche verloren. Wann aber, wenn nicht in guten Zeiten, sollte sich eine Regierung den Abbau von Subventionen vornehmen, allen voran die unsinnige, weil wirkungslose Prämie für das Anschaffen eines Elektrofahrzeuges? Wann, wenn nicht in guten Zeiten, sollte sie Mehreinnahmen zum größten Teil in die Bildung und die Infrastruktur stecken und nicht in die Sozialpolitik? Und wann, wenn nicht in guten Zeiten, sollte sie Betrieben und Beschäftigten über beherzte Steuersenkungen etwas von ihrem Geld zurückgeben? Je mehr der chaotische Brexit und die diversen Handelskonflikte der deutschen Wirtschaft zu schaffen machen, umso wichtiger wird die Binnenkonjunktur für sie. Die aber stärkt man, unter anderem, durch das Senken von Steuern oder Beiträgen – eine bei Bundesregierungen äußerst ungeliebte Disziplin.

Die schwarze Null alleine ist noch kein Beleg für Solidität

Die bescheidenen Entlastungen, die die Koalition in Angriff genommen hat, sind wie die Erhöhungen von Kinder- und Grundfreibetrag entweder gesetzlich vorgeschrieben oder sie heben sich gegenseitig auf, weil auf der einen Seite zwar die Beiträge zur Arbeitslosenkasse sinken, auf der anderen Seite aber die der Pflegeversicherung steigen. Auch der ursprünglich vorgesehene Beitragsnachlass von 0,3 Prozentpunkten bei der Rente ist bereits abgesagt, vom halbherzigen Abbau des Solidaritätszuschlages gar nicht zu reden. Damit steht unter dem Haushaltsplan des Bundes zwar auch im sechsten Jahr hintereinander – daraus aber auf eine nachhaltige, solide Finanzpolitik zu schließen, wäre dann doch etwas gewagt. In einem Etat, in dem bereits ein Drittel der Einnahmen in die Renten und den Schuldendienst fließt, wird der Gestaltungsspielraum von Jahr zu Jahr geringer.

Subventionen abbauen, Steuern senken, milliardenschwere Beteiligungen wie die an der Commerzbank und einigen Flughäfen privatisieren: Möglichkeiten, die Bundesfinanzen auf ein neues Fundament zu stellen, gäbe es genug. Die Koalition aber hat dazu weder den Willen noch die Kraft. Auch in guten Zeiten lebt sie von der Hand in den Mund.

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