Warum die Politik bei der Organspende aus einem Akt der Freiwilligkeit keine verkappte Pflicht zur Spende machen darf.
Fragen von Leben und Tod beantwortet der Mensch selten rational. Etwa 80 Prozent der Deutschen halten eine Organspende für eine vernünftige Sache – aber nicht einmal die Hälfte von ihnen hat auch einen Spenderausweis. Wie wichtig es ist, diese Lücke zwischen prinzipieller und tatsächlicher Bereitschaft zu schließen, zeigt schon die schiere Zahl von 10000 Menschen, die in Deutschland auf eine Niere, ein Herz oder eine Leber warten. Aber darf der Staat seine Bürger deshalb sanft dazu zwingen, zu Organspendern zu werden?
Die sogenannte Widerspruchslösung, mit der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der SPD-Mann Karl Lauterbach mehr Organspender gewinnen wollen, bewegt sich in einem ethischen Grenzbereich. Jeder Mensch, der einer Organspende zuvor nicht explizit widersprochen hat, wäre nach seinem Tod ein potenzieller Spender. Faktisch würde der Staat damit eine Art Organabgabepflicht einführen: Wer sein Leben lang zu bequem war, sich mit dem Thema zu beschäftigen, oder sich vielleicht noch kein abschließendes Urteil gebildet hat, würde nach seinem Tod automatisch zur Ressource für verwertbare Organe. Bisher muss jeder Spender mithilfe eines Ausweises aktiv seine Bereitschaft zur Spende dokumentieren, Spahn und Lauterbach dagegen werten einen unterlassenen Widerspruch bereits als Zustimmung – auch juristisch ein Grenzfall. Beim Datenschutz, zum Beispiel, müssen Betroffene eine Nutzung ihrer Daten ausdrücklich erlauben. Bei der Organspende dagegen würden sie ihr Einverständnis schon dadurch erteilen, dass sie nichts unternehmen.
Organspende: Wenn Ärzte zu tricksen beginnen...
Abgesehen davon, dass der Staat sich in Angelegenheiten von Leben und Tod möglichst heraushalten sollte, hat die Widerspruchslösung auch noch einen anderen Nachteil: Nur jeder dritte Deutsche steht hinter ihr – was nicht alleine an der Lösung selbst liegt, sondern auch an großen Wissenslücken. Wann und wie wird der Hirntod eigentlich festgestellt, der Voraussetzung für eine Organspende ist? Kann es sein, dass er möglicherweise zu früh oder falsch diagnostiziert wird? Und wie werde ich, ganz praktisch, überhaupt zum Spender? Jeder zweite Bundesbürger fühlt sich nach einer neuen Umfrage beim Thema Organspende bisher schlecht informiert. Dazu kommt ein generelles Misstrauen nach den Transplantationsskandalen der vergangenen Jahre, als Ärzte Akten fälschten, um ihre Patienten auf den Wartelisten zu vorderen Plätzen zu verhelfen.
Das diffuse Unbehagen, das viele Menschen heute beim Thema Organspende verspüren, wird ihnen die Politik sicher nicht mit einem weitreichenden Eingriff in einen der intimsten Lebensbereiche überhaupt nehmen. Die Widerspruchslösung missachtet unser Recht, über uns selbst bestimmen zu können – und zwar über unseren Tod hinaus. Wie es auch gehen kann, zeigt eine ungewöhnliche Koalition, die von der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und dem CSU-Abgeordneten Stephan Pilsinger angeführt wird. In ihrem Modell fragt der Staat seine Bürger immer dann nach ihrer Bereitschaft zur Organspende, wenn sie sich einen neuen Pass oder Personalausweis ausstellen lassen. Er bietet Informationen an, eine telefonische Beratung – und die Freiheit, am Ende nicht nur mit Ja oder Nein zu antworten, sondern sich die Entscheidung weiter offenzuhalten.
Spanien zeigt bei der Organspende, wie es geht
In Spanien, dem Musterland der Organspende, gibt es zwar auf dem Papier eine Lösung, wie Spahn sie plant, Organe aber werden nur Menschen entnommen, die zu Lebzeiten auch ihr Einverständnis signalisiert haben. Trotzdem steigen die Spenderzahlen – weil Ärzte aktiv um Spender werben, die Kliniken gut organisiert sind und die Bürger Vertrauen in das System haben.
Die Diskussion ist geschlossen.
Es geht nicht um Zwang, sonder um Nachdruck sich mit dem Thema auseinander zu setzen.
Derzeit machen es sich viele sehr einfach und andere müssen darunter leiden.
Ich halte es auch für ziemlich dreist, in dem Zusammenhang den Eindruck zu erwecken dass es einen "Entnahmeskandal" gab. Es ging "nur" um eine Manipulation bei der Zuweisung der Organe. Dabei ist d die dt. Vergabepraxis ist hier durchaus zu hinterfragen.
Dass in Spanien Organe "nur Menschen entnommen (werden) , die zu Lebzeiten auch ihr Einverständnis signalisiert haben" ist soweit ich weiss falsch. In Spanien dürfen jedem Hirntoten Organe entnommen werden, wenn er oder seine Angehörigen dem zuvor nicht ausdrücklich widersprochen haben. In Deutschland ist es andersherum: Hier darf gar nichts entnommen werden, wenn es vorher keine Einwilligung gab.
Auch wird nicht in jeder Wald-und-Wiesen-Klinik eine Organabnahme vorgenommen (2016 waren es 186 Entnahmekliniken ins Spanien, in Deutschland 1326), den Transplantationsbeauftragten der Krankenhäuser, umfassend ausgebildete Intensivmediziner die dafür eigens freigestellt werden, fällt es z. B. auch leichter, Patienten die sich als Organspender eignen zu identifizieren und Angehörige darauf anzusprechen, während es in Deutschland von Krankenhausärzten meist "so nebenbei" erledigt wird. Das hat einerseits zur Folge dass im Falle einer Organentnahme dann eventuell die nötige Erfahrung fehlt und dass - auch bedingt um den gesellschaftlichen Konsens dass Spaniens Kliniken stolz auf ihre hohe Organspendezahl währen man sich in deutschen Kliniken eher sorgt dass unterstellt werden könnte dass man sich nicht ausreichend um Patienten kümmert, es bei vielen Ärzten auch eine Hemmschwelle gibt Angehörige auf die Möglichkeit einer Organspende anzusprechen.
Ein weiterer Punkt ist dass laut einer Studie in Deutschland bei präfinalen Patienten die Therapie früher als etwa in Spanien auf reine Palliativbetreuung, d. h. Schmerzlinderung, umgestellt wird. Dabei speieln wohl auch Patientenverfügungen ohne klare Äußerung zu Organspenden eine Rolle. In Spanien wird hingegen die Intensivtherapie öfter bis zum Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls fortgesetzt – eine Voraussetzung für jede Organspende.