Der junge Milde von der FDP
Philipp Rösler hat gezögert, bevor er sich zur Kandidatur für den FDP-Parteivorsitz entschloss. Er ist ehrgeizig auf sanfte Art - und hat Guido Westerwelle etwas voraus. Ein Porträt.
Eine Partei, die sich ihrer Sache sicher ist, sieht anders aus. Philipp Rösler schaut verlegen zu Boden, Rainer Brüderle schleppt sich müden Schrittes in den Sitzungssaal, immer noch ein wenig blass um die Nase – und von Guido Westerwelle nehmen die Fotografen und Kameraleute, die sich im zweiten Stock des Reichstages aufgebaut haben, schon gar keine Notiz mehr. Er ist, in der FDP zumindest, ein Mann von gestern. Buchstäblich. Seit Dienstag, kurz nach 14 Uhr, gilt alle Aufmerksamkeit seinem designierten Nachfolger: Philipp Rösler, 38, gelernter Arzt, Gesundheitsminister und künftiger Vizekanzler. Der Rummel um ihn ist ihm allerdings noch ein wenig unangenehm. Als der neue Star der Liberalen sich seinen Weg durch die ungeduldig drängelnde Medienmeute bahnt, hebt er noch abwehrend die Hand: „Keine Verletzten, bitte.“
Schonende Operation statt Dauerfehde
Er hat gezögert, ob er sich das antun soll – und sich dann für den Weg des geringsten Widerstandes entschieden. Obwohl ihm einflussreiche Parteifreunde empfehlen, nach der ganzen Macht zu greifen und sein unpopuläres Ministerium gegen das deutlich größere und repräsentativere Wirtschaftsressort von Rainer Brüderle zu tauschen, belässt Rösler es bei der gegenwärtigen Aufteilung. Er will die Rehabilitation der schwer verwundeten FDP möglichst schonend beginnen und nicht in eine Dauerfehde zwischen jungen Reformern und alten Fahrensleuten ausarten lassen. Die große Revolution bleibt daher aus, was auch daran liegt, dass Brüderle sein Amt trickreich verteidigt. Den Besuch der Hannover-Messe zum Beispiel, eigentlich ein Pflichttermin, hat der Wirtschaftsminister am Dienstag rasch noch abgesagt. Wenn er in den Parteigremien mit am Tisch sitzt, so kalkuliert er, wird Rösler es kaum auf eine Kraftprobe mit ihm ankommen lassen.
In seiner ruhigen, ausgleichenden Art ist der künftige Vorsitzende der denkbar größte Gegenentwurf zu seinem Vorgänger, der Anti-Westerwelle, wenn man so will. Einer, der sich nicht selbst über die Politik erhebt, sondern sich ein gewisses Misstrauen ihr gegenüber bewahrt hat, weil sie die Menschen häufig hart macht und abhängig. „Mit 45“, hat er schon vor Jahren angekündigt, „ist Schluss.“
Als Übergangsvorsitzender, der Generalsekretär Christian Lindner nur ein paar Jahre den Stuhl warmhält, sieht er sich deshalb allerdings nicht. Die Landesvorsitzenden und die Mitglieder des Parteipräsidiums jedenfalls erleben am Dienstag einen entschlossenen jungen Mann, der die Defizite der Partei schonungslos anspricht und die starke Fixierung auf Wirtschafts- und Finanzfragen dabei für eines der größten hält. Er sei, sagt Rösler gelegentlich, ja nicht wegen der Steuersenkungen in die Partei eingetreten. Vor den Mitgliedern der Bundestagsfraktion und des FDP-Vorstandes hält er später am Nachmittag ein kurzes, aber eindringliches Plädoyer für einen glaubwürdigeren Liberalismus. Sie danken es ihm mit lang anhaltendem, wohlwollendem Beifall.
Der Mann, der die Freien Demokraten nach den deprimierenden Niederlagen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zu alter Stärke zurückführen soll, hat sich schon als Abiturient für die FDP entschieden. Geboren im Februar 1973 in Vietnam, adoptiert von einem deutschen Ehepaar, das sich später trennt, geht Rösler wie sein Vater zur Bundeswehr, studiert dort Medizin und engagiert sich gleichzeitig immer stärker bei den Jungen Liberalen. Mit 27 Jahren wird der smarte Senkrechtstarter schon Generalsekretär der niedersächsischen FDP, drei Jahre später zieht er in den Landtag ein, wo er sofort den Fraktionsvorsitz übernimmt.
Mitte Mai, beim Parteitag in Rostock, wird Rösler mit 38 Jahren zum jüngsten Vorsitzenden in der Geschichte der FDP aufsteigen – und er wird Westerwelle noch etwas anderes voraushaben.
Mit Führungsaufgaben früh vertraut
Als der vor zehn Jahren den damaligen Parteichef Wolfgang Gerhardt aus dem Amt drängt, war er vorher „nur“ Abgeordneter und Generalsekretär. Philipp Rösler dagegen hat schon eine Fraktion geführt, einen Landesverband seiner Partei, ein Landes- und ein Bundesministerium. Er ist, so gesehen, der Erfahrenere. Am Anfang hat er sich einen Spaß daraus gemacht. Er – neuer FDP-Vorsitzender? Doch nicht mit diesen Beliebtheitswerten! „Es gibt eine Umfrage, da stehe ich an vorletzter Stelle“, frotzelt der Gesundheitsminister noch Anfang März. „Aber nur, weil mein Chef an letzter Stelle steht.“
Andererseits aber ist Rösler auch ein ehrgeiziger Mensch, sonst hätte er es nicht so schnell so weit gebracht. Nur kommt sein Ehrgeiz selten so verbissen daher wie bei vielen anderen seiner Generation.
Die Übernahme des FDP-Vorsitzes durch einen bekennenden Softie ist deshalb auch der Beginn eines bemerkenswerten Feldversuches: Kann sich einer, für den es noch etwas anderes im Leben gibt als die Politik, der sich im Zentralkomitee der Katholiken engagiert und in unbeobachteten Momenten rasch einen Blick auf die Fotos seiner Zwillingstöchter auf seinem Handy wirft, kann sich einer mit dieser Einstellung im Berliner Stahlbad behaupten, in Talkshows, Koalitionsausschüssen und den vielen Grabenkämpfen des Regierungsbetriebes? Oder fehlt ihm dafür der unbedingte Wille eines Guido Westerwelle, das berühmte Alpha-Gen?
Der erste Schritt zu einer personellen Erneuerung
Auch wenn der Gesundheitsminister bei öffentlichen Auftritten noch immer seltsam schüchtern wirkt, als gehöre er eigentlich gar nicht hierher: Die Kanzlerin schätzt ihn – und die eigene Partei wird ihn nicht unterschätzen. Seine Kandidatur in Rostock, sagt Philipp Rösler, sei ja lediglich der erste Schritt zur inhaltlichen und personellen Erneuerung der FDP. „Weitere Schritte müssen und werden folgen.“ Die umstrittene Fraktionschefin Birgit Homburger, heißt das wohl, sollte sich ihres Amtes nicht sicher sein. Der junge Daniel Bahr, Röslers ambitionierter Staatssekretär, bringt sich schon in Stellung.
Mit dem neuen Mann an der Spitze, da sind sich fast alle einig in der FDP, wird sich vor allem die Tonlage in Partei und in Koalition ändern. Dass Rösler sich wie Westerwelle zur „Freiheitsstatue“ der Republik ausruft, sich telegen eine gelbe „18“ auf die Schuhsohle klebt oder sich über spätrömische Dekadenzen im Sozialsystem ereifert: undenkbar, bei ihm. Schon vor drei Jahren hat er in einem Aufsatz mit dem provokanten Titel „Was uns fehlt“ geklagt, viele Liberale hätten Angst, das Wort Solidarität in den Mund zu nehmen, weil es zu wenig nach Leistung klingt und zu sehr nach SPD.
Die Zeit als Gesundheitsminister, für einen der Marktwirtschaft verpflichteten Liberalen, so ziemlich das undankbarste Ressort, hat seinen Blick für Themen jenseits der Wirtschaftspolitik noch weiter geschärft. Westerwelles Nachfolger will die FDP breiter aufstellen, sich wieder stärker um die Bildung und die Bürgerrechte kümmern, und die Partei auch aus ihrer babylonischen Abhängigkeit von der Union befreien. Sozial-liberale Koalitionen kann man sich mit Philipp Rösler wieder vorstellen. Mit Westerwelle waren sie undenkbar.
Fürs Erste allerdings hat der Neue andere, profanere Sorgen. Die in eineinhalb Regierungsjahren jäh verspielte Glaubwürdigkeit wieder zurückzugewinnen: Das, ahnt Rösler, geht nicht von heute auf morgen. „Aber es wird gehen.“
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