Politikerin soll zehn Jahre in Haft - für einen Tweet
Die türkische Politikerin Canan Kaftancioglu soll für Äußerungen auf Twitter ins Gefängnis. Die Angeklagte vermutet einen Racheakt von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Ein Gericht in Istanbul will die bekannte Oppositionspolitikerin und Wahlkampfmanagerin Canan Kaftancioglu partout ins Gefängnis bringen. In Twitter-Kommentaren der 48-jährigen Ärztin, die teilweise mehr als acht Jahre alt sind, wollen Berufungsrichter unwiderlegbare Beweise für Terrorpropaganda, Präsidentenbeleidigung und Volksverhetzung erkannt haben.
Als die Richter jetzt in zweiter Instanz ein Urteil von fast zehn Jahren Haft gegen Kaftancioglu bestätigten, taten sie das auf den Tag genau ein Jahr nach dem Sieg von Kaftancioglus Partei CHP bei der Bürgermeisterwahl in Istanbul – die Wahl war ein politisches Erdbeben, das Kaftancioglu als Istanbuler CHP-Chefin und Wahlkampforganisatorin auslöste. Die CHP wertet das Verfahren gegen Kaftancioglu deshalb als Racheakt der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan, die große Teile der türkischen Justiz auf ihre Linie gebracht hat.
Tweets von Kaftancioglu sind angeblich staatsfeindlich
Die angeblich staatsfeindlichen Tweets von Kaftancioglu aus den Jahren 2012 bis 2017 beschäftigten sich mit dem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, den Gezi-Unruhen von 2013 und mit dem Putschversuch von 2016. In einem Kommentar bezeichnete sie den türkischen Staat wegen der brutalen Polizeigewalt gegen Gezi-Demonstranten als „Serienmörder“. Die Staatsanwaltschaft will die Tweets erst nach Imamoglus Wahlerfolg entdeckt haben. Bis dahin hatte sich niemand daran gestört.
Nach einer Verurteilung in erster Instanz verhängte jetzt das Istanbuler Berufungsgericht eine Freiheitsstrafe von neun Jahren, acht Monaten und 20 Tagen gegen die Politikerin. Kaftancioglus Anwälte wollen Einspruch einlegen, bis dahin bleibt sie auf freiem Fuß.
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Die Diskussion ist geschlossen.