Regierungsbildung: Präsident Mattarella reicht es langsam
Italien war noch nie so lange ohne Regierung. Alle Parteien blockieren sich seit dem Wahlerfolg der Populisten. Übernehmen bald Nichtpolitiker die Macht?
Vom Friedhof der ungeborenen Regierungen ist die Rede. Von einer „Joghurt-Regierung“, die innerhalb kurzer Zeit wieder abgelaufen ist. Von einer Wahl zwischen Pest und Cholera. Es ist ein Drama – oder besser ein Trauerspiel –, wie es sich ein Regisseur kaum besser ausdenken könnte. Italien steht nach zwei Monaten voller politischer Ränkespiele immer noch ohne Regierung da. Beispiellos, noch nie dagewesen – ein Unikum in der italienischen Geschichte.
Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella will eine neutrale Experten-Regierung
Staatspräsident Sergio Mattarella hatte nun sichtlich genug von dem Theater und rief alle Beteiligten zur Verantwortung auf. Eine „neutrale“ Experten-Regierung soll nach seiner Vorstellung die anstehenden wichtigen Ereignisse über die Bühne bringen: der EU-Gipfel im Juni, bei dem es um heikle Themen wie Flüchtlinge und Haushalt geht, der G7-Gipfel und vor allem die Verabschiedung des Haushalts. Doch die rechtspopulistische Lega und die europakritische Fünf-Sterne-Bewegung, die sich beide als Wahlgewinner sehen, erklären, dass sie das Machtwort nicht akzeptieren und schnell eine Neuwahl wollen.
Bis Ende des Jahres muss Italien seinen Haushalt verabschieden
Bei dem Brüsseler Gipfel werden wichtige Entscheidungen getroffen, die insbesondere Italien betreffen, das nach dem Ausscheiden der Briten drittgrößter Nettozahler der Union hinter Deutschland und Frankreich sein wird. Nun fragen sich viele: Will das regierungslose Italien weiter Wahlkampf führen, der kaum noch jemanden interessiert, und unbeteiligt zugucken, wie die Zukunft von anderen gestaltet wird?
Bis Jahresende muss zudem der Staatshaushalt für 2019 abgesegnet sein. Eine bereits vor Jahren vorprogrammierte Mehrwertsteuererhöhung droht. Wird nicht rechtzeitig ein entsprechendes Haushaltspaket geschnürt, kann es sein, dass die internationalen Ratingagenturen den Daumen über Rom senken – ein Schreckensszenario.
Die Populisten fordern Neuwahlen in Italien
Der Sinn von Mattarellas Schachzug ist, die politischen Protagonisten nun zur Vernunft zu bringen. Die Aussichten darauf sind angesichts der verhärteten Positionen und persönlichen Ambitionen der Beteiligten gering.
Der Sekretär der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, aber auch der Chef der systemkritischen Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, setzen auf sofortige Neuwahlen und sind gegen eine Regierung auf Zeit. Dabei ist der Eigensinn der Parteien nicht unverständlich. Die Fünf-Sterne-Bewegung, die knapp 32 Prozent der Stimmen bei der Wahl erreichte und am ehesten als systemkritisch und linkspopulistisch beschrieben werden kann, lebt von ihrem Bild als radikaler Alternative zum Politikbetrieb der letzten Dekaden. Ein Bündnis mit der Lega scheiterte deshalb, weil sich Lega-Chef Salvini nicht von seinem Verbündeten Silvio Berlusconi trennen will. Der Ex-Premier ist allerdings nicht nur zwielichtig, sondern auch rechtskräftig als Steuerbetrüger verurteilt und deshalb den Fünf-Sterne-Wählern nicht vermittelbar.
Schon im Sommer könnte es in Italien zu Neuwahlen kommen
Berlusconi selbst, dessen Partei Forza Italia immerhin noch 14 Prozent der Stimmen errang, ist es vor allem wichtig, noch irgendwie eine Rolle in der Politik zu spielen. Dabei will er eigentlich längst überfällige Maßnahmen verhindern, etwa ein Gesetz, das Interessenkonflikte regelt und Monopole auf dem Fernsehmarkt zerschlägt.
25 Jahre lang hatte der 81-jährige Berlusconi Erfolg, mit Zutun der auf dem absteigenden Ast befindlichen Sozialdemokraten. Bei denen hält Ex-Parteichef Matteo Renzi immer noch die Fäden in der Hand und legte sein Veto gegen Bündnisse mit Salvini oder Di Maio ein. So kam es zum Stillstand, den der Staatspräsident nun zu durchbrechen versucht.
Fällt die vom Staatspräsidenten eingesetzte Regierung aus Nichtpolitikern im Parlament durch, könnte es schon im Sommer zu Neuwahlen kommen. Ob sich aus der Abstimmung günstigere Bedingungen für eine Regierungsbildung ergeben, ist nicht absehbar. Noch nie wählten die Italiener im Sommer, denn da geht das Land kollektiv in die Naherholung. Wie viele Menschen dann noch die Notwendigkeit erkennen, den widerborstigen Parteiführern eine zweite Chance zu geben, steht in den Sternen. (mit dpa)
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