Rückendeckung
Bei der Abstimmung über die neuen Euro-Hilfen besteht die Koalition ihren Härtetest. 315 Abgeordnete stehen hinter Kanzlerin Angela Merkel – vier mehr als nötig
Berlin „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen.“ Peter Altmaier, der Geschäftsführer der Unionsfraktion, gehört zu Angela Merkels engsten Vertrauten. Er weiß, wie die Kanzlerin denkt – und wie wichtig diese Zahl ist. 315 Abgeordnete von Union und FDP haben gerade für den neuen Schutzschirm für den Euro gestimmt, das sind vier mehr als die absolute Mehrheit im Bundestag, die sogenannte Kanzlermehrheit. Deutlicher als erwartet, lobt Altmaier, sei das Ergebnis damit ausgefallen. Das bedeutet: „Die Regierung ist handlungsfähig.“ Vizekanzler Philipp Rösler spricht gar von einem „klaren Sieg“ der Koalition.
Auch der Grüne Ströbele ist gegen das Gesetz
Angela Merkel ist schon auf dem Weg aus dem Parlament, als in einem Nebenraum die Stimmen der bislang wichtigsten Entscheidung dieser Legislatur ausgezählt werden. Soll Deutschland tatsächlich mit 211 Milliarden Euro bürgen, damit der Rettungsfonds EFSF überschuldeten Euro-Staaten wie Griechenland, Irland oder Portugal besser aus der Patsche helfen kann als bisher? Am Ende stimmen zehn Abgeordnete der Union und drei aus der FDP gegen das Gesetz, zwei weitere enthalten sich. Rein rechnerisch fällt das nicht ins Gewicht, weil eine breite Mehrheit von 523 Abgeordneten aus vier Fraktionen den Kurs der Kanzlerin unterstützt – eine Koalition jedoch, die so in der Kritik steht wie ihre, muss nach der gängigen Logik der Macht jederzeit eine eigene Mehrheit haben, sie darf nicht auf die Opposition angewiesen sein. Entsprechend zufrieden ist Altmaier daher mit dem Verlauf der Debatte und deren Ergebnis: „Wir gehen gestärkt aus diesem Tag hervor.“
Während die Kontrolleure der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds in Athen mit Streiks und heftigen Protesten empfangen werden, vermeidet die Regierung in Berlin die befürchtete Blamage: Die Kanzlermehrheit steht – und der Dax steigt. Neben den Abgeordneten der Linkspartei und den bekannten Skeptikern aus dem Regierungslager wie dem CSU-Mann Peter Gauweiler, dem Christdemokraten Wolfgang Bosbach und dem Liberalen Frank Schäffler finden sich auf der Liste der 85 Verweigerer zwar auch der sächsische Sozialdemokrat Wolfgang Gunkel und der Grüne Hans-Christian Ströbele. Wirklich Notiz aber nimmt davon kaum noch jemand, für die meisten Koalitionäre zählt allein das Resultat. Dass er den einen oder anderen Kollegen in dieser Zitterpartie mit sanftem Druck von einem Nein oder einer Enthaltung habe abhalten müssen, bestreitet FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle schlitzohrig: „Wir haben nicht gezittert, wir haben argumentiert.“
Eine Stunde länger als geplant hat die Aussprache zuvor gedauert, was auch daran liegt, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert zwei Kritiker aus der Koalition noch ausführlich zu Wort kommen lässt, den Liberalen Schäffler und den hessischen CDU-Abgeordneten Klaus-Peter Willsch. Volker Kauder, der Fraktionsvorsitzende der Union, und sein Geschäftsführer Altmaier toben zwar und drohen mit einem Nachspiel im Ältestenrat des Parlaments, weil in ihren Augen nicht jeder Kollege mit einer abweichenden Meinung ein besonderes Rederecht haben muss. Willsch aber weiß auch so, was er seinen Parteifreunden zumutet. „Danke, dass ihr das ertragen habt“, sagt er am Ende seiner Rede, in der er noch einmal an die bisherige Vertragslage erinnert, nach der kein Euro-Land für die Schulden eines anderen haftet.
Mit dem ersten Hilfspaket für Griechenland habe sich die Politik auf eine schiefe Ebene begeben, auf der es nun „kein Halten mehr gibt“, warnt Willsch. Wo die Zinsen hoch verschuldeter Länder heruntersubventioniert würden, leide erfahrungsgemäß die Haushaltsdisziplin. Sein Mitstreiter Schäffler sieht das ähnlich: „Allen Bekundungen zum Trotz hat der Rettungsschirm die Verschuldungskrise nicht entschärft, sondern verschärft.“
Mehr als drei Viertel der Abgeordneten sind da allerdings anderer Ansicht. Deutschland habe „ein existenzielles nationales Interesse“ an einem stabilen Europa und einem stabilen Euro, sagt Kauder. Selbst eine starke Volkswirtschaft wie die der Bundesrepublik wäre im sich verschärfenden globalen Wettbewerb alleine viel zu schwach. Wenn die gemeinsame Währung scheitere, sekundiert der Sozialdemokrat Peer Steinbrück, würde das den Prozess der europäischen Integration um mindestens zwei Jahrzehnte zurückwerfen. Mit dem bisherigen Krisenmanagement der Koalition allerdings ist der frühere Finanzminister alles andere als einverstanden: Die „Diätkur“ der Kanzlerin, die vor allem auf Zeit spiele und einen Schuldenerlass scheue, sei „lebensgefährlich“ für Griechenland, warnt er. Die SPD stimme nur „aus übergeordneter Verantwortung“ für die Ausweitung des Rettungsschirms.
Brüderle kontert prompt: „Besserwisser sind noch keine Bessermacher.“ Der Fraktionschef der Liberalen ist der einzige Redner, der etwas Temperament in die ansonsten eher staatstragende Debatte bringt. „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der schönste Sozi im ganzen Land“ höhnt er nach Steinbrücks Auftritt – ein kleiner Seitenhieb an die Adresse der SPD und deren potenzielle Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Steinbrück, die einträchtig nebeneinander in der ersten Reihe sitzen. Eurobonds, also gemeinsame Anleihen der 17 Euro-Länder, lehnt die Koalition im Gegensatz zu den Sozialdemokraten ab. Wenn eine starke Wirtschaftsmacht wie Deutschland höhere Zinsen bezahlt, damit schwächere Länder an günstigere Konditionen kämen, wettert Brüderle, dann sei das nichts anderes als „Zinssozialismus.“
Schäuble: Weitere Garantien wird es nicht geben
440 Milliarden Euro wird der aufgepolsterte Rettungsfonds in Zukunft an Krediten vergeben können, nachdem alle 17 Euro-Länder zugestimmt haben. Dass das womöglich noch immer nicht genug sein könnte, bestreitet Finanzminister Wolfgang Schäuble allerdings entschieden. Bisher seien lediglich 26 Milliarden Euro für Portugal und knapp 18 Milliarden Euro für Irland verplant. Für noch mehr Geld zu bürgen, als für die jetzt zugesagten 211 Milliarden: Das, dementiert Schäuble, „steht nicht zur Debatte.“
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