
Handarbeits-Unterricht: Mit Notebook und Häkelnadel

Eltern und Großeltern kennen sie noch: die Handarbeitsklassen, in denen sie häkeln mussten. So etwas machen die Grundschüler heute immer noch – und trotzdem ist jetzt alles anders.
Von Handarbeit spricht heute keiner mehr. Das Fach, das ehemalige Schüler oft mit gemischten Gefühlen in Erinnerung behalten haben, nennt sich jetzt „Werken und Gestalten“. Die Grundschulen in Bayern befinden sich mitten in einer Umgestaltungsphase. Seit dem Schuljahr 2014/2015 unterrichten Lehrer bereits Erst- und Zweitklässler nach dem Lehrplan Plus, dieses Schuljahr folgen die dritten Klassen. Später sollen alle Schularten neue Lehrpläne erhalten. Fächerbezeichnungen sind dabei nicht das Einzige, was sich ändert.
Kreativität der Kinder steht im Mittelpunkt
Maria Wilhelm ist Referatsleiterin für die bayerischen Grundschulen am Kultusministerium. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt sie, wie sich Grundschulen durch den Lehrplan verändern. Was steckt zum Beispiel hinter dem Begriff „Werken und Gestalten“? „Die Keativität der Kinder steht im Mittelpunkt“, sagt Wilhelm. „Es geht um Arbeitstechniken, die von den Kindern verlangt werden.“ Das Fach sei zwar noch vergleichbar mit Handarbeit, aber heute hätten die Schüler viel mehr Material und ein größeres Angebot. „Früher war es üblich, dass die Mädchen gestrickt und die Jungs mit Werkzeug gearbeitet haben. Da hat sich mittlerweile viel getan. Jetzt gibt es Mädchen, die schleifen, und Buben, die sich mit Stoffen beschäftigen“, berichtet die Referatsleiterin.
Es gehe vor allem um die Kompetenz, die die Kleinen erwerben sollen. Wilhelm nennt ein Beispiel: „Die Kinder haben nicht die Aufgabe, eine Ente aus Holz auszusägen, sondern sägen zu lernen.“ Die Schüler sollen ihr Wissen anwenden.
Lehrer haben mehr Freiheiten in der Stundenplanung
In der Vergangenheit arbeiteten die Lehrer nach Aussage von Wilhelm eine Liste ab, die im Unterricht von den Kindern geschafft werden musste. Der neue Lehrplan zielt auf den Lernprozess und schließlich das Ergebnis ab. „Inhaltlich sind die Lehrkräfte freier“, sagt Wilhelm. Sie könnten dadurch verstärkt auf die Interessen der Kinder eingehen. Ein Pädagoge darf in den dritten und vierten Klassen zwischen Stricken und Häkeln wählen (lassen).
Neben „Werken und Gestalten“ hat sich auch der Musikunterricht verändert. „Gemeinsames Singen ist ein neuer Schwerpunkt“, erklärt die Expertin. Außerdem heißen die ehemaligen Fächer Kunst- und Musikerziehung nur noch Kunst und Musik an den Grundschulen. Neu ist der Islamunterricht, der manchmal neben den konfessionellen Religionsfächern und Ethik unterrichtet wird.
„Der Lehrplan wird digital angeboten“, sagt Wilhelm. Jeder Interessierte könne unter dem Internetlink www.lehrplanplus.bayern.de einen Blick auf die Fächer werfen. Die Schwerpunkte der verschiedenen Schularten sind dadurch vergleichbar. Nach Aussage von Maria Wilhelm gibt es einen zusätzlichen digitalen Service-Bereich für Pädagogen, gespickt mit Übungen, ergänzendem Material und Informationen. So erfahren die Lehrer zum Beispiel, wie sie den Schülern Lebensökonomie und Alltagskompetenzen vermitteln. Ersteres sei beispielsweise der richtige Umgang mit Taschengeld, erklärt die Referatsleiterin.
Schritt für Schritt zum bewussten Umgang mit Medien
Immer mehr spielen die Medien eine Rolle im Leben von Kindern und Jugendlichen. Gibt es Fächer, die das richtige Verhalten im Netz lehren? „Es ist ein Thema, aber kein Fach, sondern in andere Fächer integriert“, erklärt Maria Wilhelm. So wie im Heimat- und Sachkundeunterricht. Lehrer sollen den Grundschülern nahelegen, wann sie welches Medium mit welchem Ziel nutzen können. In Kunst dürfen sie das Gelernte gleich umsetzen, denn dort lautet eine Aufgabe: „Visuelle Medien: Schülerinnen und Schüler fotografieren und erweitern so die Wahrnehmung ihrer Umwelt.“ In den dritten und vierten Klassen lernen sie zusätzlich die Grundfunktionen der Kamera genauer kennen.
Nicht nur Fächer ändern sich, auch ganze Schulen
Maria Wilhelm ist überzeugt von dem Lehrplan: „Es ist ein sehr viel schöneres Lernen. Der Blick geht dahin, wofür ich das Faktenwissen brauche.“ Für die Kinder sei das zielführender als das Abarbeiten irgendwelcher Listen. Auffällig ist, dass sich in Bayern nicht nur die Fächer verändert haben, sondern auch ganze Schulen. Es gibt einige mit besonderen Profilen, wie die Grundschule in Altenmünster (Landkreis Augsburg). Sie nennt sich Medienreferenzschule. Dort trainieren bereits Erstklässler den richtigen Umgang mit Beamern, Notebooks und Computern. Digitales Know-how forderte kürzlich auch der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), Bertram Brossardt, bei einer Diskussionsrunde des Zukunftsrates. Ein eigenes Fach gibt es dafür nicht in Altenmünster – in jeder Stunde werden die verschiedenen Medien verwendet. Zum Beispiel in „Werken und Gestalten“. Ute Wiedemann, stellvertretende Schulleiterin und Initiatorin dieser Ausrichtung, erklärt: „Die Lehrerin dreht mit der Dokumentationskamera einen Info-Film und lässt ihn im Unterricht laufen.“ Ihre Chefin Luitgard Dubbelfeld ist begeistert und erinnert sich: „Früher hat die Handarbeitslehrerin etwas gezeigt und nur die fünf Kinder in der ersten Reihe haben es gesehen.“ Jetzt sei alles viel einfacher, das Medium sei zur Demonstration da. Auch die Eltern seien auf der Seite der Schule. Sie begleiten die Kleinen interaktiv. Eltern können sich auf der Schul-Internetseite über die Fächer und den Bereich Medien informieren.
Ein anderes Profil zeichnet die Grundschule Mering Ambérieustraße (Landkreis Aichach-Friedberg) aus. Sie ist eine Flexible und Inklusions-Grundschule. Schulleiterin Susanne Geiger hat mit diesem Profil schon viel von dem neuen Lehrplan realisiert. „Die Kinder agieren bei uns selbstständig“, erklärt sie. Und die Altersunterschiede, wenn zwei Jahrgangsstufen in einem Klassenzimmer sitzen, stärkten die sozialen Kompetenzen.
Viel Neues also für die Grundschüler: neuer Lehrplan, neue Begriffe – gehäkelt wird in der Schule aber trotzdem. Nur eben anders als früher. AZ
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