Schweigen in der Ukraine nun die Waffen?
Bei den Gesprächen in Minsk müssen schwierige Fragen gelöst werden. Wo verläuft die Trennlinie? Wer überwacht den Truppenabzug? Wie viel Autonomie ist möglich?
Am Mittwoch sollen in Minsk drei Präsidenten und die deutsche Bundeskanzlerin einen Waffenstillstand für die Ostukraine vereinbaren. Doch ob das Treffen gelingen wird, ja, ob es überhaupt zustandekommen wird, war einen Tag zuvor noch gar nicht sicher. Der russische Präsident Wladimir Putin wollte vor dem Gipfel noch einige Punkte geklärt wissen – unter anderem ging es dabei um die Einbeziehung der prorussischen Separatisten in die Verhandlungen. Das war bis zuletzt strittig.
Die Initiative zu dem Friedensgipfel hatten Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande ergriffen. Sie warben in Kiew und Moskau für ihren Vorschlag. Der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko stimmte zu, Putin nur bedingt.
Am Dienstag hielt sich der Kreml-Chef noch zu einem Staatsbesuch in Ägypten auf. Putin zeigte sich in Kairo nicht gerade als Friedensengel: Als Gastgeschenk überreichte er dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi eine Kalaschnikow. Ein schlechtes Omen für Minsk?
Erstes und wichtigstes Ziel des Friedensgipfels ist ein Ende der blutigen Kämpfe
Bei den Verhandlungen am Mittwochabend geht es um folgende Punkte: Erstes und wichtigstes Ziel ist ein Ende der blutigen Kämpfe. Nach UN-Angaben sind seit April 2014 in dem Konflikt mitten in Europa 5400 Menschen gestorben, darunter viele Zivilisten. Der erste, im September 2014 in Minsk vereinbarte Waffenstillstand verpuffte. In den vergangenen Wochen eskalierten die Kämpfe. Die Separatisten gewannen große Landstriche dazu, etwa im Süden des Gebiets Donezk. Dem stehen jedoch Verluste gegenüber, etwa um die strategisch wichtige Stadt Debalzewo. Von dort aus lässt sich die direkte Straßenverbindung zwischen Donezk und Lugansk kontrollieren. Die Rebellen behaupten, die ukrainischen Kräfte eingekesselt zu haben, die dorthin vorgestoßen sind. Vergangenes Wochenende galt ein regional und zeitlich begrenzter Waffenstillstand, damit Zivilisten Debalzewo verlassen konnten.
Geklärt werden muss, ob die Waffenstillstandslinie aus dem ersten Minsker Abkommen weiter gelten soll oder ob die Grenze gemäß der derzeitigen Position der Truppen neu definiert wird. Ein Waffenstillstand funktioniert nur, wenn beide Seiten ihre Kampfeinheiten zurückziehen. Außerdem müssen die schweren Waffen ins Hinterland gebracht werden.
Der erste Minsker Vertrag sah keine Kontrollmechanismen vor
Der erste Minsker Vertrag sah keine Kontrollmechanismen vor. Auch dies war ein Grund für sein Scheitern. Zu klären ist nun, wer die Überwachung vornehmen soll und ob er ein robustes Mandat erhält. Infrage kommen die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder eine Blauhelmtruppe der UN.
Putin hat bisher stets bestritten, was nach Angaben aus Kiew offensichtlich ist: dass in der Ostukraine reguläre russische Einheiten aufseiten der Separatisten kämpfen. Dies wäre eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines unabhängigen Staates, die völkerrechtlich nicht statthaft ist. Außerdem fordert Kiew, die russische Grenze für Waffenlieferungen an die Rebellen zu schließen.
Alle Seiten bekennen sich verbal zur territorialen Integrität der Ukraine
Alle Seiten bekennen sich verbal zur territorialen Integrität der Ukraine. Das heißt, dass es zu keiner Spaltung des Landes kommen soll. Allerdings verlangen die Separatisten Autonomierechte für die von ihnen beherrschten Gebiete. Gerne würden sie die gesamten Verwaltungsbezirke (Oblaste) Donezk und Lugansk beanspruchen, in denen es einen hohen Anteil von Menschen mit Russisch als Muttersprache gibt. Im Oblast Donezk sind das mehr als 75 Prozent. Beide Bezirke zusammen haben 6,5 Millionen Einwohner (Ukraine gesamt: 45,5 Millionen). Die Separatisten kontrollieren flächenmäßig nur den kleineren Teil der Oblaste, auch wenn die Städte Donezk (950000 Einwohner) und Lugansk (440000 Einwohner) zu ihrem Einflussbereich gehören. (Alle Zahlen beziehen sich auf die Zeit vor dem bewaffneten Konflikt.)
Unter dem Dach eines ukrainischen Gesamtstaates sind theoretisch viele Ausprägungen eines Autonomiestatuts denkbar. Gelegentlich wird auf Südtirol hingewiesen, das über umfassende Selbstverwaltungsrechte verfügt und innerhalb Italiens den Status einer autonomen Provinz besitzt. Allerdings gehen die Interessen von Separatisten und ukrainischer Zentralregierung in diesem Punkt besonders weit auseinander.
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