So skandalös ist der Alltag in unseren Krankenhäusern
Kostendruck, Hygienemängel, unnötige Operationen: Die Gesundheitsreformen haben die Probleme an den Kliniken verschärft. Wenn Politik zum Risiko für Patienten wird.
Um eines vorwegzunehmen: In Deutschlands Krankenhäusern wird Großartiges geleistet. Nirgendwo im Land werden täglich mehr Leben gerettet, kaum woanders wird mehr Menschen in Not geholfen. Mit großem Engagement erbringen Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte und die anderen Mitarbeiter bis hin zu oft gescholtenen Managern Höchstleistungen, um kranken Menschen helfen zu können. Doch die Rahmenbedingungen werden für alle Beteiligten von Jahr zu Jahr schwieriger – mit teils regelrecht beängstigenden Folgen für die Patienten.
In keinem anderen Bereich der modernen Politik wirken sich abseits der Fragen von Krieg und Frieden Entscheidungen von Politikern so direkt auf das körperliche Wohl der einzelnen Bürgerinnen und Bürger aus wie in der Gesundheitspolitik. Und die Situation an den deutschen Krankenhäusern hat sich seit der Jahrtausendwende drastisch verändert: Die Einführung des sogenannten Fallpauschalen-Systems sollte die seit den achtziger Jahren immer mehr davonlaufenden Kosten des Krankenhaussystems eindämmen. Ziel war vor allem, die Lohnnebenkosten der Krankenversicherung im Griff zu behalten, um Arbeitsplätze für Unternehmen bezahlbar zu halten.
Damals klagte die Politik über einen „Bettenberg“ und zu lange Liegezeiten der Patienten in den Krankenhäusern. Mit der Reform sollte vorrangig die Behandlung, ob Operation oder gesamte Therapie, abgerechnet werden. Pauschal pro Fall und eben nicht individuell nach Tagen, die ein Patient im Krankenhaus verbringen muss.
Doch die beklagte Kostenexplosion im Krankenhauswesen konnte das neue System nicht stoppen: Zwar gingen Bettenzahl und Liegezeit deutlich zurück. Aber stattdessen stieg die Zahl der Eingriffe um über ein Drittel: Ein Landesgesundheitsminister brachte die Reform auf die Formel: „Früher hatten wir Freiheitsberaubung, heute Körperverletzung.“
Ärzte räumen ein: Wir operieren zu viel
Tatsächlich räumen in einer aufsehenerregenden Umfrage unter 1400 Chefärzten über ein Drittel der Befragten ein, dass in ihren eigenen Klinikbereichen aus wirtschaftlichem Druck öfter operiert werde als medizinisch nötig – sogar im Bereich der Herzchirurgie. Aus Patientensicht ist das nicht der einzige Skandal. Als Kronzeuge für Hygienemängel an den Kliniken musste vor zwei Jahren ausgerechnet der damalige Präsident der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft zurücktreten: Am Mannheimer Uniklinikum, dessen Geschäftsführer der Cheflobbyist war, gab es einen der größten Hygieneskandale: Jahrelang wurde mit verschmutztem OP-Besteck operiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, ob, wie Mitarbeiter erklärten, Kostendruck ein Grund war. Und immer mehr Menschen kennen im Bekanntenkreis Fälle von Komplikationen oder „blutigen Entlassungen“ aus dem Krankenhaus.
Doch es wäre mehr als ungerecht, Krankenhausmanagern oder gar Ärzten die Schuld dafür zuzuschieben, was im Kliniksystem schiefläuft. Und auch die Antwort der Vereinfacher, medizinischer Fortschritt und die älter werdende Gesellschaft seien alleinige Gründe für die Kostenexplosion im Klinikwesen, ist nur die halbe Wahrheit.
Das Krankenhaussystem mit seinen vielen Trägern und politischen Zuständigkeiten auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene ist zu einem politisch kaum noch steuerbaren Geflecht aus unterschiedlichsten Interessen gewuchert. Die Probleme wie bei der jüngsten Gesundheitsreform mit Milliarden der Beitragszahler zuzuschütten, wird angesichts der älter werdenden Bevölkerung nicht auf Dauer helfen. Die nächste Reform ist unausweichlich und sie sollte nicht mehr länger nur an Symptomen doktern. Die Kostenexplosion konnte noch keine Reform stoppen.
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