Wie der Zoll Geldschmuggler am Bodensee jagt
Wie schmuggelt man sein Barvermögen aus der Schweiz zurück nach Hause? Manche Deutsche sind da sehr erfindungsreich. In Lindau ist der Zoll diesen Abenteurern auf der Spur.
Die Geschichte neulich. Die war so kurios, dass sie auch an diesem Tag auf der Dienststelle bei Kaffee und Keksen die Runde macht. Draußen vor dem Fenster regnet es Bindfäden, und drinnen am Tisch können sich die Männer ein Lachen nicht verkneifen.
Mann aus Ulm fährt zum Stachelbeeren kaufen in die Schweiz
Da war also dieser ältere Herr aus dem Raum Ulm, der aus der Schweiz einreiste. In seinem Geldbeutel steckten neun Krügerrand-Goldmünzen im Wert von rund 8500 Euro. Wo er die herhabe, fragten ihn die Zollbeamten. Der Mann sagte, er habe sie in Deutschland erworben und immer mit dabei. Nächste Frage: Was er denn in der Schweiz erledigt habe. Antwort: Er wollte Stachelbeeren kaufen, habe aber keine bekommen. Weil ihm, warum auch immer, ziemlich warm war, zog er eine Serviette aus der Tasche und tupfte sich damit den Schweiß von der Stirn. Auf der Serviette stand, kein Witz, der Name einer Schweizer Kantonalbank.
Das Ende der Geschichte ist vergleichsweise unspektakulär. Der Mann blieb straffrei. Die Beamten haben das Finanzamt nicht eingeschaltet. Einerseits, weil es grundsätzlich erlaubt ist, Bargeld, Münzen oder Wertpapiere bis knapp unter 10.000 Euro in die EU einzuführen, ohne das beim Zoll anmelden zu müssen. Andererseits, weil die Kontrolleure keine eindeutigen Anhaltspunkte auf ein Auslandsvermögen gefunden haben. Und die sind nötig, um einem Verdacht auf Steuerhinterziehung oder Geldwäsche nachgehen zu können. „So ist das halt“, sagt Hagen Kohlmann mit einem leisen Lächeln. „Wir leben in einem Rechtsstaat – zum Glück. Mal gewinnen wir, mal die anderen.“
Kohlmann ist Sprecher des Hauptzollamtes Ulm, die vorgesetzte Dienststelle jener Kollegen, die in Lindau am Bodensee auf Bargeldkontrollen spezialisiert sind. Was ihnen ins Netz geht, landet bei Kohlmann auf dem Schreibtisch. Geschichten über dreiste Schmuggelaktionen, mehr oder weniger erfinderische Verstecke und abenteuerliche Erklärungsversuche. Geschichten, die sich im Frühjahr, nach dem Steuerhinterziehungsurteil gegen Ex-Bayern-Präsident Uli Hoeneß, massiv gehäuft haben.
60 Prozent der Steuerhinterzieher haben ihre Konten in der Schweiz
Da stellte der Zoll bei Kontrollen im Allgäu und Bodenseekreis innerhalb weniger Tage 140.000 Euro Bargeld und Hinweise auf Auslandsvermögen in Höhe von rund 1,6 Millionen Euro fest. Beträge, die an sich nicht illegal sind. Man darf Millionen im Ausland anlegen. Nur: Holt man das Geld zurück, muss man dem Zoll bei Summen über 10.000 Euro erklären, dass die Zinserträge daraus jedes Jahr versteuert wurden. Dann fallen auch keine zusätzlichen Kosten an.
Damals wurden gegen mehrere Personen Bußgeldverfahren eingeleitet, weil sie die Grenze von 10.000 Euro überschritten hatten und den Zoll überlisten wollten. Der Grund liegt auf der Hand. Die Erfahrung zeigt: 60 Prozent der Leute, denen Steuerhinterziehung nachgewiesen wurde, hatten ihr Konto in der Schweiz, 30 Prozent in Österreich und zehn Prozent in Liechtenstein.
Der Ankauf einer Steuer-CD durch deutsche Behörden oder politischer Druck lösen immer mal wieder kleine Wellen aus. Doch der Fall Hoeneß, so sieht Kohlmann das, hat eine ganze Menge an Leuten regelrecht aufgeschreckt. Auch Personen, die sich nun gedrängt fühlen, nachdem viele Banken in den bisherigen Steueroasen Kunden aufgefordert haben, ihre Finanzen bis Ende des Jahres in Ordnung zu bringen. „Es ist enorm viel Geld in Bewegung“, sagt Kohlmann. Ab 2015 nämlich wollen die Banken die Daten ihrer Kunden an die deutschen Finanzbehörden melden. Es wartet viel Arbeit auf die Lindauer Zollbeamten, warten viele Kontrollen – und viele Geschichten.
Dieser Morgen hat mit Selbstverteidigung begonnen. Frühsport um halb acht, eine Pflichtveranstaltung für die Kollegen, um im Notfall deeskalieren zu können, ohne zur Schusswaffe greifen zu müssen. Fast immer, sagt Georg Krügers, einer der Erfahrensten hier, lassen sich diejenigen, die sich zu Unrecht kontrolliert fühlen, mit Worten beruhigen. In den nächsten Stunden sollte nicht mal das nötig sein.
Nach welchen Kriterien zieht die Polizei Autos aus dem Verkehr?
Kurz nach Mittag. A96 bei Lindau, der frühere Autobahn-Grenzübergang nach Österreich, Einfädelspur in Richtung Memmingen. Im Streifenwagen, einem VW Passat, sitzen Krügers und seine Kollegin Manuela Kramer. Der Motor läuft. Eine Möglichkeit, um Bargeldschmugglern auf die Spur zu kommen: Fahrzeuge beobachten, anpeilen, lospreschen, hinterher, rauslotsen, kontrollieren. Bloß: Nach welchen Kriterien eigentlich?
Krügers überlegt ein Weilchen. Sagt: „Wie soll ich das sagen?“ Und dann: „Viel Intuition.“ Später erfährt man von anderer Seite: Bei Münchner oder Starnberger Autonummern, gerade auf größeren Limousinen, schaue man schon etwas genauer hin. Geldschmuggler gehen oft so vor: In aller Früh Fahrt ins Ausland, Banktermin noch am späten Vormittag, vielleicht noch irgendwo einen Prosecco trinken (Kohlmann: „Manche zelebrieren diesen Tag regelrecht“), dann wieder zurück. Die Zeit ab 12 Uhr nennt man deshalb auch im Zoll-Jargon Rückreiseverkehr.
Es gibt keine Ausschlusskriterien
Wobei, von wegen größere Limousinen: Neulich haben sie einen dickeren Fisch an Land gezogen, der saß in einem 15 Jahre alten Golf. Er hatte vier Schließfachschlüssel dabei und eine abenteuerliche Erklärung dafür. Kohlmann sagt: „Es gibt keine klaren Ausschlusskriterien, wie wir kontrollieren. Weder was das Fahrzeug betrifft, noch das Kennzeichen, noch den Ort, wo kontrolliert wird.“ Das Signal ist klar: Steuersünder sollen sich nirgendwo sicher fühlen.
Ein Mercedes. Mindestens Tempo 160. Krügers drückt aufs Gas. Einen Versuch ist es wert. Nach zwei, drei Kilometern gibt er auf. „Den kriegen wir nicht.“ Nur weil der da vorne schnell fährt, macht ihn das nicht zum Verdächtigen. Zollkontrollen zu machen, heißt auch, Geduld aufzubringen. Und Fehlalarme einzukalkulieren.
Wie bei dem Vertreter mit Biberacher Kennzeichen, der auf dem Rastplatz Humbrechts bei geöffneter Heckklappe an Koffern herumhantiert. Personalausweis bitte, Koffer öffnen. Der Mann handelt mit Schmuck, wie sich herausstellt, alles saubere Ware. „Ich kann Ihnen was verkaufen“, sagt er noch augenzwinkernd, als die Beamten schon wieder in ihr Fahrzeug steigen.
Minuten später, Ausfahrt Wangen-West. Die Beamten haben einen Geländewagen mit Rechtssteuerung herausgewunken. Eine vierköpfige Familie aus Irland. „Wo bin ich?“, fragt der Fahrer auf Englisch. „Germany“, antwortet Kramer. Wo er denn eine Vignette für Österreich herbekomme. „Nicht mehr nötig. Durch Österreich sind Sie schon durch.“ Auch solche Unterhaltungen gehören zum Alltag. Ein kurzer Blick ins Innere, die Beamten sind überzeugt: Da ist nichts zu holen.
Diesmal nicht. Aus ähnlichen Situationen ergeben sich schon mal Volltreffer. Dann zaubern sie ganze Geldbündel unter der Fußmatte oder aus einem Schuh hervor. Oder aus einem Täschchen, das um den Bauch gebunden ist. Die Beamten werden schnell hellhörig, wenn die Fahrzeuginsassen seltsam nervös werden oder sich in Widersprüche verstricken. Erfahrung eben. Dann wird kontrolliert. Wenn es sein muss, bis auf die Unterhose und im hintersten Winkel des Fahrzeugs. Das Geld allein ist es ja nicht. Gelegentlich kommen Kontoauszüge zum Vorschein, Visitenkarten von Bankberatern, entlarvende Briefe. Krügers hielt schon Papiere in Händen, in denen Banken mehr oder weniger unverblümt Tipps zum „sicheren Geldtransport“ gaben.
Was ebenfalls vorkommen kann: Die Beamten entdecken Rauschgift. Auch da wird der Zoll gleich tätig. Schwerpunkt der Ermittler ist allerdings die Bargeldkontrolle. Die Statistik für 2013 weist 85 Fälle auf, in denen ein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde. In diesem Jahr ging es munter weiter. Erst Anfang Juni erwischten sie auf der Autobahn einen 67-jährigen ehemaligen Rechtsanwalt, der 77.000 Euro in bar geschmuggelt hatte.
Schmuggler verspeist Beweismaterial
Auch das gibt’s: Als die Ermittler einen Rentner aus Bayern kontrollierten, zerriss dieser kurzerhand mehrere Notizzettel und verspeiste sie. Sie sollten wohl nicht in die Hände des Zolls fallen. Als dieser am Tag darauf den Mann noch einmal überprüfte, fand er Hinweise auf ein Auslandsvermögen in Höhe von 150.000 Euro. Die Beamten informierten umgehend das Finanzamt. Im Januar entdeckten Kollegen im Eurocity Zürich–München (intern „Schwarzgeld-Express“ genannt) in der Kosmetiktasche einer 57-Jährigen aus Norddeutschland 40.000 Euro. Ein 47-Jähriger wiederum versteckte sein Schwarzgeld in einem Lebkuchenhaus.
Ungeachtet dieser Fälle – wenn der Zoll einen Trend ausgemacht hat, dann diesen: Viele Schmuggler transportieren Beträge unter 10.000 Euro, dies aber mehrfach hintereinander. „Ameisenverkehr“ heißt das bei den Beamten. Immer wieder finden sie trotzdem Hinweise darauf, dass sich hinter den vermeintlich legalen Summen Schwarzgeld in größerem Ausmaß verbirgt.
Und wenn sie einmal nicht selbst weiterkommen, dann hilft Lex, der Schäferhund. Der beschützt die Kollegen nicht nur in kritischen Situationen, sondern verfügt auch über die Gabe, Bargeld erschnüffeln zu können. Beispielsweise im Gepäck eines 60-jährigen Autofahrers, der behauptet hatte, lediglich 7700 Euro dabeizuhaben. Dank Lex’ Nase kamen weitere 25.000 Euro, eingewickelt in Zeitungspapier, zum Vorschein. Was wiederum die These belegt, dass Geld – zumindest hin und wieder – doch stinkt.
Es regnet noch immer wie aus Kübeln, als Walter Mesmer und Thomas Ibelshäuser auf die Bahnhofsuhr schauen. Kurz vor zwei. In ein paar Minuten soll auf Gleis 6 die Regionalbahn aus Bludenz einfahren. Da sitzen oft Reisende drin, die direkt aus Österreich oder der Schweiz kommen und in Lindau umsteigen. Die Bahn nach Augsburg wartet schon. Mesmer und Ibelshäuser tragen zivil. Sie wollen keine Aufmerksamkeit erregen, wenn sie durch die Zugwaggons laufen und Leute mit gedämpfter Stimme ansprechen. „Hier geht es auch um die Wahrung des Steuergeheimnisses“, sagt Mesmer.
Kurz zuvor haben sie in einem Intercity, der aus Innsbruck kam und nach Friedrichshafen fuhr, einen Mann, gut über 80, kontrolliert. Mit 9000 Euro im Gepäck. Seine Geschichte, wahr oder nicht, ging so: Er habe seiner Lebensgefährtin in der Schweiz Geld geliehen und sich jetzt die Summe zurückgeholt. „Wenn wir keine anderen Indizien finden, müssen wir das so hinnehmen“, sagt Zollsprecher Kohlmann. „Auch wenn man sich die Frage stellt, warum in solchen Fällen nie die Überweisung eine Option ist.“
Mesmer, 55, und Ibelshäuser, 44, haben sich schon viele Geschichten anhören müssen, die an Erfindungsreichtum kaum zu überbieten waren. Aber auch Geschichten, die sich so oft wiederholten, dass man merkte, da steckt ein „guter“ Berater dahinter, wie Kollege Krügers das nennt. Ein Klassiker ist der Satz: Das Geld, meist unter 10.000 Euro, stammt aus Deutschland, „ich wollte im Ausland was kaufen, habe aber nichts gefunden“. Kartenzahlung scheint keine Alternative zu sein.
Der Zug aus Bludenz ist eingetroffen. Zwei Kontrollen am Bahnsteig verlaufen ohne Befund. „Sieht nach einem schlechten Tag aus“, sagt Mesmer. „Das müssen wir in Kauf nehmen.“ Aber allzu sicher sollte sich keiner fühlen.
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