
Warum der russische Präsident Putin in Syrien triumphiert


Im Syrien-Krieg hält der russische Präsident Putin alle Fäden in der Hand. Geschickt spielt er die Nato-Staaten aus und füllt das Vakuum, das die Amerikaner hinterlassen.
Vielleicht ist es nur eine Momentaufnahme. Vielleicht aber auch ein Sinnbild dafür, wie die Karten in diesem politischen Spiel der Mächte gerade neu gemischt werden. In einem langen Konvoi rollen gepanzerte Militärfahrzeuge über die syrische Grenze, es sind die Amerikaner, die am Montag ihren Rückzug aus dem Kriegsgebiet fortsetzen. Ein Video des kurdischen Nachrichtenportals Hawar News zeigt, wie sie von wütenden Menschen mit Kartoffeln beworfen und als Lügner beschimpft werden. Der US-Sender CNN berichtet unter Berufung auf einen US-Offiziellen, es habe sich um fast 500 Soldaten sowie hunderte Fahrzeuge und damit um die bisher größte Truppenverlegung von Syrien in den Irak gehandelt. Und während die Amerikaner da in Richtung Osten davonbrausen, übernimmt auf dem Schlachtfeld in Syrien ein Mann das Kommando, der auf diesen Moment lange gewartet hat: Wladimir Putin.
Syrien-Konflikt: Wladimir Putin inszeniert sich als Taktiker
Der russische Präsident fordert seit Jahren den Abzug der US-Armee. Dass die Amerikaner das Regime in Damaskus austauschen wollten, war ihm ein Dorn im Auge. Nun ist der Tag seines Triumphes zumindest nähergerückt. Ein Geschenk – dank US-Präsident Donald Trump und dessen außenpolitischen Volten. Putins Ziel ist es, den umstrittenen syrischen Herrscher Baschar al-Assad zurück an die Macht zu bringen – und sich selbst als ordnende Schutzmacht in der Region unersetzlich zu machen.
„Der Syrien-Konflikt ist eine große Chance für Wladimir Putin“, sagt Sarah Pagung, Russland-Expertin der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik. „Er füllt das Vakuum, das die US-Truppen hinterlassen.“ Europa steht als Beobachter ohnehin nur an der politischen Seitenlinie, beschränkt sich auf mahnende Worte und staunt über den eigenen weltpolitischen Bedeutungsverlust. Putins Vorteil: Er inszeniert sich als gewiefter Taktiker, der sowohl zu Assad als auch zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beste Beziehungen pflegt, obwohl beide sich voller Misstrauen gegenüberstehen.
Der Syrienkrieg ist auch in Russland umstritten, weil er so teuer ist
Putin unterstützt ausdrücklich den Versuch der Türkei, im Norden Syriens eine „Schutzzone“ für Flüchtlinge einzurichten. Gleichzeitig zwingt dieser Schachzug die Kurden dazu, in Verhandlungen mit der Regierung in Damaskus zu treten und Assad den Vormarsch in den Norden zu ermöglichen. Der hat damit praktisch das gesamte Land zurückerobert. „Ich gehe davon aus, dass es sehr enge Absprachen zwischen den türkischen und den russischen Truppen gibt, um einen militärischen Zusammenstoß zu verhindern“, sagt Sarah Pagung. Mehr noch: „Jede Lösung, die man für Syrien finden wird, wird ausschließlich über Moskau laufen.“ Dort laufen die Fäden im Syrien-Krieg zusammen: Der Kreml diktiert die Bedingungen, die Supermacht USA macht den Weg frei.
Für Putin ist das ein enormer Zuwachs an internationalem Einfluss: Endlich ist Russland wieder die Großmacht, die es sein möchte. Mit Syrien hält der starke Mann aus dem Kreml zudem ein Faustpfand in der Hand, das er immer wieder einbringen kann, etwa bei Verhandlungen mit dem Westen über den Ukraine-Krieg. Das dürfte Putin darüber hinwegtrösten, dass der Einsatz im Nahen Osten im eigenen Land nicht nur Anhänger findet. „Der Syrien-Konflikt kostet massiv Geld“, sagt Sarah Pagung. Und das in Zeiten, in denen in Russland selbst Gelder im Sozialbereich eingespart werden müssen. Die Einkommen der Russen sinken, das Rentenalter wurde um fünf Jahre erhöht, die Wirtschaftsdaten schwächeln, sogar der Verteidigungshaushalt wird eingedampft.
Putin und Erdogan rücken seit der Offensive in Nordsyrien näher zusammen
Da muss sich das Engagement auf dem Schlachtfeld im Ausland zumindest in Sachen Prestige lohnen. Und einen Nutzen haben, der weit über den Einfluss im Nahen Osten hinausgeht: Dass der Konflikt einen Keil in die Nato treibt, kommt Putin mehr als gelegen. Denn je schwächer seine Rivalen sind, desto stärker ist er selbst. Die Türkei löst sich seit der Offensive in Nordsyrien immer weiter von den westlichen Verbündeten und findet in Moskau einen Partner, der nicht nach Völkerrecht und Demokratie fragt – und gerne Waffen verkauft. Erdogan hatte sich zuletzt gegen den Widerstand der USA und trotz Kritik der Nato für den Kauf russischer Luftabwehrsysteme des Typs S-400 entschieden. Und Moskaus Vizepremier Juri Borissow meinte mit Blick auf das nächste Treffen zwischen Erdogan und Putin am heutigen Dienstag, dass die Türkei weitere Waffen kaufen könnte, darunter Kampfjets der Typen Suchoi Su-35 und Su-57.
„Den Russen kommt außerdem sehr gelegen, dass die Amerikaner die Kurden im Stich gelassen haben“, sagt Pagung. „Das beobachten die osteuropäischen Staaten nämlich sehr genau.“ Polen und auch die baltischen Staaten zweifeln seit dem Einmarsch der Russen auf der Krim nicht nur daran, dass die Nato ihnen im Ernstfall beistehen würde. Sie mühen sich auch um eine enge Bindung zu den USA – doch wie man dort mit Verbündeten umgeht, haben sie nun in Syrien erlebt.
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