TV-Komiker bei Ukraine-Wahl - ein Siegeszug für den Anti-Politiker
In der Ukraine schickt sich ein TV-Komiker an, Präsident zu werden. Was Wladimir Selenski mit Trump verbindet - eine Analyse.
Wer würde freiwillig einen Konditor damit beauftragen, das kaputte Auto zu reparieren? Oder anders gefragt: Wie gering muss das Vertrauen in die Fähigkeiten des Kfz-Mechanikers um die Ecke sein, wenn man lieber den Tortenbäcker von gegenüber an den Wagen lässt? In der Ukraine hat ein TV-Komiker klar die erste Runde der Präsidentschaftswahlen gegen den Amtsinhaber und eine Phalanx weiterer Politiker gewonnen. In einem Land wohlgemerkt, das sich nach wie vor in einem Krieg im Osten seines Territoriums befindet. Kurzum, ein Großteil der Wähler hat der politischen Klasse ein verheerendes Zeugnis ausgestellt.
Der TV-Komiker Wladimir Selenski, der am Sonntag rund 30 Prozent erreichte, hat dieser Stimmungslage Rechnung getragen, in dem er bis kurz vor der Wahl davor hütete, etwas Konkretes über seine politischen Ziele zu verraten. Wenn man einmal davon absieht, dass der 41-jährige Fernsehstar seine Kabarett-Abende dafür nutzte, seine Kontrahenten mit Spottreden und -liedern durch den Kakao zu ziehen. Immerhin – so viel erfuhr man in den letzten Tagen: Selenski will mit aller Macht gegen die Korruption ankämpfen, die West-Orientierung der Ukraine nicht antasten und im Falle eines Sieges in der Stichwahl parteipolitisch unabhängige Experten in sein Regierungsteam einbauen.
Die Karrieren von Donald Trump und Wladimir Selenski stehen für Politikverdrossenheit
Fast zwangsläufig wird Selenski immer wieder mit Donald Trump verglichen, der ja ebenfalls in TV-Shows ein Millionenpublikum unterhalten hatte. Richtig daran ist, dass die Karriere der Beiden für eine Politikverdrossenheit steht, die sich in den Demokratien dieser Welt unaufhaltsam auszubreiten scheint. Richtig ist auch, dass sowohl der US-Präsident als auch Selenski ganz gezielt ihr Image als Gegenentwurf zu dem Politiker alter Schule pflegen.
Aber darüber hinaus? Trump zelebriert sich als starker Mann, der Widerstände wie ein Bulldozer aus dem Weg räumt. Das mag – gerade in Europa – für viele Beobachter unfreiwillig komisch wirken, es ist aber gar nicht komisch gemeint. Selenski changiert bei seinen Auftritten zwischen mal hintersinnigen, nicht selten aber eher derben Scherzen. Das machohafte Gehabe des US-Präsidenten scheint im jedoch fremd zu sein.
Amtsinhaber Poroschenko hofft auf die Timoschenko-Anhänger
In voraussichtlich knapp drei Wochen – im Gespräch für den Termin der Stichwahl ist der Ostersonntag – entscheidet sich, ob Selenski den Amtsinhaber Petro Poroschenko auf Distanz halten kann. Die Hoffnung des Schokoladen-Oligarchen richtet sich darauf, das Gros der 13 Prozent jener Wähler auf seine Seite zu ziehen, die noch bereit waren, für die irrlichternde einstige Polit-Ikone Julia Timoschenko zu votieren. Wenn dann noch eine klare Mehrheit unter den versprengten Unterstützern der übrigen 36 Kandidaten im letzten Moment Angst davor bekommen sollte, einem Politik-Novizen die Führung des Krisenstaates zu überlassen, könnte es tatsächlich doch noch knapp werden.
Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass letztlich die gewachsene Abneigung gegen Poroschenko, der in der ersten Runde auf nur rund 17 Prozent kam, den Ausschlag für Selenski geben wird. Bei seiner ersten Wahl 2014 triumphierte der groß gewachsene Poroschenko noch mit absoluter Mehrheit. Doch fünf Jahre später ist er der Mann, der seine wichtigsten Versprechen nicht halten konnte: Weder wurde der Krieg im Donbass siegreich beendet, noch die Korruption entscheidend eingedämmt. Erfolge des Präsidenten, wie die Visafreiheit für Reisen der Ukrainer in die EU-Mitgliedsstaaten, gingen zuletzt fast völlig unter.
Viele Ukrainer halten die Opfer des Maidan-Austandes für vergeblich
Viele Ukrainer halten die Opfer des blutigen Maidan-Aufstandes für weitgehend vergeblich. Man habe den damaligen, moskautreuen Präsidenten Viktor Janukowitsch samt seiner kriminellen Clique ja nicht vertrieben, um wieder von verschiedenen Oligarchen beherrscht zu werden. Ein Vorwurf, der nicht zuletzt an Poroschenko adressiert ist, der ja den Maidan tatkräftig unterstützt hatte.
So tief sitzt der Frust, dass einem Komiker die Herzen zufliegen, der goldene Zeiten für die Ukraine prophezeit. Kann der Berufsclown zu einem Politiker reifen, der es im Zweifel mit dem russischen Präsidenten Putin aufnimmt? Daran zu glauben, ist zumindest mutig.
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