Tabubruch in Brüssel
Keine Einstimmigkeit mehr in Steuerfragen
Wenn Finanzminister Olaf Scholz nach dem Reformstau in der EU gefragt wird, zitiert er gerne ein Beispiel aus der Umsatzsteuer. Er könne niemandem erklären, sagte der SPD-Politiker kürzlich in Berlin, „warum wir ewig gebraucht haben, damit für E-Books dieselben Mehrwertsteuer-Sätze gelten wie für herkömmliche Bücher“. Tatsächlich hatten die Mitgliedstaaten fast zwei Jahre darum gerungen, damit E-Books nicht länger mit dem für den Internet-Handel geltenden Umsatzsteuersatz (in Deutschland sind es 19 Prozent) belegt werden, sondern wie herkömmliche Bücher nur mit dem ermäßigten Satz von sieben Prozent.
Die Mitgliedstaaten sollten sich nicht länger „reflexhaft“ verweigern, wenn darüber diskutiert werde, „ob wir behutsam auch in Teilen des Steuerrechtes zu Mehrheitsentscheidungen übergehen können“, sagte Scholz. Am selben Tag eröffnete der für Währungsfragen zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici ebendiese Diskussion: „Die Einstimmigkeitsregel im Steuerbereich erscheint zunehmend als politisch anachronistisch, rechtlich problematisch und wirtschaftlich kontraproduktiv“, sagte der französische Sozialist in Straßburg, wo das Europäische Parlament in dieser Woche tagte.
Mit anderen Worten: Die Einstimmigkeitsregel muss weg. Sie soll durch eine qualifizierte Mehrheit ersetzt werden. Dann wäre eine Reform bereits dann beschlossen, wenn wenigstens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, zustimmen.
Um weitergehenden Spekulationen einen Riegel vorzuschieben, betonte Moscovici, dass er „die Zuständigkeiten der EU im Bereich der Besteuerung nicht ändern“ wolle. Das „Recht der Mitgliedstaaten, nach eigenem Ermessen Einkommensteuer- und Körperschaftssteuersätze festzulegen“, werde Brüssel nicht antasten. Doch die Mitgliedstaaten müssten selbst das Ende der Einstimmigkeit beschließen, mit der sie ihr Veto-Recht aus der Hand geben.
Und auch die Bundesregierung, die das Ende der Einstimmigkeit gemeinsam mit Frankreich in der Erklärung von Meseberg 2018 gefordert hatte, bremst: Deutschland würde es gar nicht gerne sehen, wenn es im so wichtigen Finanzministerrat von anderen überstimmt werden könnte.
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