Tod im Mittelmeer: Europa ist zerrissen
Der Tod tausender Flüchtlinge im Mittelmeer löst große Betroffenheit aus. Warum das Gipfeltreffen der EU-Staaten am Donnerstag nur einen geringen Handlungsspielraum hat.
Die Betroffenheit hat Hochkonjunktur. 500, 700, gar 900 Tote – als ob die Menge der Einzelschicksale die Grausamkeit dessen, was da im Mittelmeer passiert, größer machen würde. Aber die schnelle Suche nach dem Schuldigen führt nicht weiter, und sie ist auch zutiefst unehrlich. Weil es in der Flüchtlingspolitik keine Kompromisse gibt, die am Ende nicht doch wieder kompromittierend für die westliche Welt sind.
Den Ruf nach Rettung all derer, die von kriminellen Schlepperbanden in Lebensgefahr gebracht wurden, wird niemand ernsthaft ablehnen dürfen. Aber schon der Appell, die Geretteten auch ins Land zu lassen, entlarvt unsere Doppelmoral. Weil die Staaten die Flüchtlinge nicht aufnehmen können oder wollen. Demonstrationen, Drohungen, Anschläge auch in deutschen Gemeinden beweisen das.
An der nordafrikanischen Küste warten eine Million Flüchtlinge
Zumal es nicht nur ein paar hundert Menschen sind, die an der nordafrikanischen Küste auf ihre Ausreise hoffen. UN-Angaben zufolge warten dort über eine Million Flüchtlinge. Es sind übrigens nicht die Ärmsten der Armen, denn sie sind in der Lage, mehrere tausend Dollar für die Schlepper zu zahlen.
Diese Menschen aber erst einmal nur in Aufnahmelager zu bringen, ist unmenschlich. In Griechenland herrschen in den Einrichtungen, von wo aus abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden, derart katastrophale Zustände, dass die Bundesrepublik niemanden mehr dorthin zurückschickt. Anlaufstellen für Flüchtlinge in Nordafrika klingen als Vorschlag gut und plausibel. Aber glaubt wirklich jemand, dass diejenigen, die dort zurückgewiesen werden, friedlich wieder in ihre Heimat reisen?
Die europäische Flüchtlingspolitik wird zerrissen zwischen humanitärem Anspruch, eigenen Werten und den politischen Realitäten. Europa ist, trotz aller Betroffenheit, nicht bereit, die Solidarität aufzubringen, um die von vielen geforderten Beschlüsse umzusetzen. Was bleibt, ist eine Intensivierung der Seenotrettung.
Die Seenotrettung im Mittelmeer muss sofort verbessert werden
Italien hat es schon einmal vorgemacht – blieb dann aber auf 70 Prozent aller Immigranten sitzen. Das muss sich ändern. Und zwar nicht bis in einigen Monaten, sondern innerhalb von Tagen. Weil sonst viele hundert weitere Menschen sterben. Aber wie viel Mut haben die Staats- und Regierungschefs? Der Ausbau der Seenotrettung muss im Schlussdokument des Gipfeltreffens am Donnerstag stehen.
Doch das wird vielen nicht reichen. Aber die europäische Gesellschaft ist, zumindest als Ganzes betrachtet, nicht bereit, eine Einwanderungsunion zu werden. Feste Quoten mögen vielversprechend klingen. Aber ohne Konsens der Bürger, die Opfer von Unrecht, Krieg und Vertreibung aufzunehmen, ist auch ein Verteilschlüssel kein Weg, der den Asylbewerbern und uns ein ruhiges Gewissen beschert.
Die EU wird sich mit der Realpolitik beschäftigen und erneut betonen, dass man Fluchtursachen bekämpfen muss, und dass dies ziemlich schwer ist, weil Libyen im Bürgerkrieg versinkt. Das ist kein Vertrösten, sondern die Wirklichkeit. Doch die Politiker wissen, dass sie nicht das Elend Afrikas auf europäischem Boden heilen können. Es mag unbefriedigend, ja sogar inhuman sein, nicht mehr zu tun, als die Menschen nach dem Kentern ihrer Schiffe aus dem Wasser zu holen und sie dann ins Elend zurückzuschicken. Aber dies bleibt das Mindeste und zugleich das Einzige, was man schnell und sofort umsetzen kann.
Auch die Vereinten Nationen müssen endlich über ein Mandat zur Seeblockade vor Libyen reden. Und der Kampf gegen die Schlepper muss intensiviert werden. Ob damit die Einigkeit der EU bereits erschöpft ist, wird der Gipfel am Donnerstag zeigen.
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