Trump verhalf einer Radfahrerin zur politischen Karriere
Juli Briskman zeigte dem US-Präsidenten mit ihrem Mittelfinger, was sie von ihm hält. Jetzt darf sie einen seiner Golfplätze kontrollieren. Wie ihr das gelang.
Ihr erster öffentlicher Auftritt war ziemlich unkonventionell. Und er hatte böse Folgen. Als Juli Briskman im Herbst 2017 bei ihrer samstäglichen Fahrradtour durch die ländliche Umgebung von Washington vom Wagentross des US-Präsidenten überholt wurde, streckte die alleinerziehende Mutter spontan den Mittelfinger ihrer linken Hand in die Höhe. In Windeseile verbreitete sich das Foto der Szene im Netz. Am Tag darauf wurde ihr gekündigt. Es war das Ende von Briskmans beruflicher Laufbahn bei einem Dienstleistungsunternehmen, das für die US-Regierung arbeitete. Und der Anfang ihrer Karriere als Politikerin.
Juli Briskman wurde durch Donald Trump politisiert
Fast auf den Tag genau zwei Jahre später ist die resolute Marketingexpertin nun als Dezernentin in die Bezirksregierung von Loudoun County in dem zum Bundesstaat Virginia gehörenden Speckgürtel der Hauptstadt gewählt worden. Mit 52 Prozent der Stimmen vertrieb sie den republikanischen Vorgänger aus dem Amt. „Es fühlt sich fantastisch an“, schwärmt die 52-Jährige, „aber irgendwie auch surreal.“ Kein Wunder: Vor ihrem impulsiven Anti-Trump-Protest war sie zwar regelmäßig zur Wahl gegangen, hatte sich aber politisch nicht betätigt. Erst in den Wochen danach ließ sie sich als Demokratin eintragen und beteiligte sich an Graswurzel-Aktionen.
Damit gehört Briskman zu der großen Gruppe von Frauen in den amerikanischen Vorstädten, die sich durch Donald Trumps sexistische Ausfälle, seine verbalen Attacken auf Migranten und seine Kumpanei mit der Waffenlobby abgestoßen fühlen und politisiert wurden. Vor allem diese weiblichen Wähler hatten den Demokraten schon bei den Kongresswahlen im vergangenen Jahr in Virginia einen Sieg beschert. Mit ihren Stimmen konnte die Partei vergangenen Dienstag nun auch das Landesparlament und zahlreiche Posten auf Bezirksebene erobern.
Doch Briskmans persönliche Geschichte ist einzigartig und könnte als Vorlage für einen progressiven Hollywoodfilm dienen: Nach dem Verlust ihres Jobs wusste die Mutter zweier Töchter zunächst nicht, wie sie das tägliche Leben und die Hypothek für ihr Haus bezahlen sollte. Doch die ikonografische Aufnahme mit dem „Stinkefinger“ verschaffte ihr Einladungen ins Frühstücksfernsehen und eine gewaltige Prominenz im Internet, wo die Zahl ihrer Twitter-Follower in kurzer Zeit von gerade mal zwei Dutzend auf über 40.000 sprang. Ein Unbekannter startete eine Spendensammelaktion im Netz, die in ein paar Wochen rund 140.000 Dollar zusammenbrachte. Über Nacht war Briskman zu einer Galionsfigur der Anti-Trump-Bewegung geworden.
Briskman kontrolliert Trumps Golfplatz: "Schöne ausgleichende Gerechtigkeit"
„Die Büchse der Pandora ist geöffnet“, sagte sie damals. Schon länger habe sie ihre Meinung sagen wollen, dann aber doch geschwiegen: „Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, laut zu sein!“ Briskman warb um Stimmen für eine demokratische Kongresskandidatin, engagierte sich in der Lokalpolitik und erklärte schließlich im September des vergangenen Jahres ihre Kandidatur für die Bezirksregierung. Nicht nur bei Twitter nutzte sie ihren Zusammenstoß mit dem Präsidenten zur Markenbildung. „Guten Tag, ich bin die Frau, die den Mittelfinger gezeigt hat und den Job verlor“, stellte sie sich bisweilen auch während ihrer Haustür-Kampagne vor. Im Zentrum aber standen die Forderungen nach einem schärferen Umweltschutz, bezahlbarem Wohnraum und einer besseren Bezahlung für Lehrer. „Die Wähler sind an lokalen Themen interessiert“, hat die Polit-Novizin erfahren.
Freilich sind die lokale und die nationale Politik in Loudoun County nicht scharf zu trennen. Am Ufer des Potomac-Flusses liegt dort nämlich malerisch auch der „Trump National Golf Club“, wo der Präsident am Wochenende regelmäßig abschlägt. Von dort war Trump auch vor zwei Jahren gekommen, als seine Kolonne die aufgebrachte Radlerin überholte. Nun ist die Protestlerin von damals in der Bezirksregierung ausgerechnet für die Aufsicht über den Golfplatz zuständig und muss zum Beispiel überprüfen, ob dort unrechtmäßig ein paar Bäume gefällt wurden. Nach ihrem Jobverlust sei das doch eine „schöne ausgleichende Gerechtigkeit“, findet Briskman.
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