Staunen und Sterben auf dem neuen Mega-Flughafen in Istanbul
In der Türkei entsteht der größte Airport der Welt. Am Montag soll der erste Testflug starten. Doch das Projekt hat einen brutalen Preis. Auf der Baustelle sterben Menschen.
Wo sich einst nördlich der Millionen-Metropole Istanbul bewaldete Hügel zur Schwarzmeerküste erstreckten, gähnt jetzt eine staubige Ödnis. Die Wälder sind abgeholzt und die Hügel abgetragen. Mit tausenden und abertausenden Fuhren haben Lastwagen das ausgebaggerte Erdreich fortgeschafft. Geblieben ist eine braungelbe, zerwühlte Ebene, aus der Rohbauten emporwachsen. Über allem hängen Staubwolken, und die Luft ist erfüllt vom Dröhnen der Baumaschinen und der Motoren der Lastwagen, die manchmal kilometerlange Schlangen bilden. Noch vor wenigen Jahren weideten hier zwischen kleinen Dörfern, rund 35 Kilometer von der Innenstadt entfernt, Kühe auf Wiesen. Nun entsteht an diesem Ort ein Flughafen. Oder sollte man besser sagen: der völlige Wahnsinn?
Man muss sich das mal vorstellen: Wenn dieses Projekt auf einer Fläche von 7650 Hektar im Jahr 2028 fertiggestellt sein wird, werden hier sage und schreibe sechs Landebahnen in Betrieb sein und – so der Plan – etwa 150 Millionen Passagiere abgefertigt. Damit wäre Istanbul der größte Flughafen der Welt. Nun mögen Skeptiker einwenden: Wer weiß, ob dieser Zeitplan zu halten sein wird? Es gibt schließlich ein, im negativen Sinn, prominentes Beispiel dafür.
Zigfach schon ist der Eröffnungstermin für den Berliner Großstadtflughafen verschoben worden. Von ursprünglich 2011 auf nun frühestens 2020. Der BER ist in Deutschland – und nicht nur da – zum Gespött geworden. Und der Eröffnungstermin ist nicht das einzige Problem. Auch die Kosten laufen in Berlin wegen unzähliger technischer und planerischer Pannen aus dem Ruder. Beim Spatenstich 2006 war von zwei Milliarden Euro die Rede. Nun bestätigen die Betreiber, dass wegen der Verzögerung weitere Mehrkosten in Höhe von 770 Millionen Euro hinzukommen werden. Damit liegen die Gesamtkosten bei mindestens 7,3 Milliarden Euro.
In der Türkei spricht vieles dafür, dass zumindest der Zeitplan peinlich genau eingehalten wird. In weniger als drei Jahren haben die Türken den ersten Bauabschnitt aus dem Boden gestampft. Der Flughafen-Neubau gilt als eines der größten Prestigeprojekte von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Schon am kommenden Montag soll der erste Testflug auf einer bereits fertigen Landebahn stattfinden. Das ist kein Zufallstermin: Der despotisch regierende Staatschef hat an diesem Tag Geburtstag, er wird 64. Es versteht sich von selbst, dass Erdogan auch der erste Passagier sein wird.
Wann der Airport in Istanbul eröffnet werden soll
Der neue Flughafen soll Istanbul zu einem internationalen Drehkreuz wie Hongkong, London oder Frankfurt am Main machen. Es geht um viel Geld: Die beteiligten Unternehmen haben dem Staat 22 Milliarden Euro zahlen müssen, um den Flughafen bauen und 25 Jahre lang betreiben zu dürfen. Die Regierung hat die offizielle Eröffnung des ersten Abschnitts mit zwei Landebahnen und einem Terminal für zunächst 90 Millionen Passagiere im Jahr für den Republikstag am 29. Oktober festgelegt. Dann soll innerhalb von zwei Tagen der Flugverkehr von den beiden bestehenden Istanbuler Airports – Atatürk auf der europäischen und Sabiha Gökcek auf der asiatischen Seite der Metropole – auf den neuen Flughafen umgeleitet werden.
Man könnte staunen über die Geschwindigkeit der Türken – lägen nicht tiefe Schatten über dem Megaprojekt. Nicht nur, dass wertvolle Waldgebiete zerstört wurden. Kritiker weisen immer wieder darauf hin, dass ohne die eigentlich nötigen Umweltgutachten gebaut worden sei. Auch hier scheint der Kostenplan aus dem Ruder zu laufen. War anfangs von sieben Milliarden Euro die Rede, sprach Ministerpräsident Binali Yildirim im letzten Herbst von gut zehn Milliarden.
Nun kommt eine weitere dunkle Seite des Rekordtempos ans Licht. Dutzende, wenn nicht hunderte Arbeiter sind auf der Großbaustelle bei Unfällen ums Leben gekommen. Der Flughafen wird zum Massengrab, schreibt Mehmet Kizmaz, Reporter der Oppositionszeitung Cumhuriyet . Er hat einen Lastwagenfahrer auf der Großbaustelle mit ihren insgesamt 31.000 Arbeitern begleitet. Die 1500 Lastwagen vor Ort transportieren Erde und Bauschutt; je mehr Touren ein Fahrer am Tag absolviert, desto höher ist sein Einkommen. Reich wird man damit nicht. Das Grundgehalt liegt bei 320 Euro im Monat, die Prämie für zusätzliche Touren bei zwei Euro.
Das Ergebnis ist ein regelrechtes Lkw-Chaos auf den Zufahrtsstraßen. So sind die Lastwagen häufig völlig überladen, etliche sind wegen gebrochener Achsen oder defekter Bremsen nicht verkehrssicher. Gefahren wird trotzdem, und zwar zwölf Stunden am Tag statt der vorgeschriebenen maximalen Arbeitszeit von acht Stunden. Die Polizei drückt beide Augen zu, weil die Baufirmen vom Staat geschützt würden, schreibt Cumhuriyet. Die ebenfalls regierungskritische Zeitung Evrensel nennt den Flughafen deshalb eine „Todespiste“.
Sind Arbeiter in der Türkei wie Sklaven gehalten worden?
Manche Arbeiter, die aus Anatolien nach Istanbul gekommen sind, würden auf der Baustelle wie Sklaven gehalten, heißt es. Für sie gebe es nicht einmal regelmäßige Mahlzeiten, manchmal verweigerten die Arbeitgeber die Lohnzahlung. Dagegen sollen die aus Deutschland eingeflogenen Facharbeiter relativ gut versorgt sein.
Wegen des Zeitdrucks werden Sicherheitsmaßnahmen ignoriert, was die Arbeiter in Lebensgefahr bringt. Fehlende Arbeitssicherheit ist in der Türkei seit langem ein Problem. Allein 2017 starben nach Gewerkschaftsangaben rund 2000 Menschen bei Arbeitsunfällen. Die Zustände auf dem Flughafen-Gelände sind offenbar besonders schlimm. Yunus Özgür von der Bauarbeiter-Gewerkschaft Insaatis sagt, er höre dort von drei bis vier Todesfällen pro Woche. Nur die wenigsten werden der Öffentlichkeit bekannt.
Die Angehörigen der Todesopfer, oft arme Familien aus fernen Landesteilen, werden Cumhuriyet zufolge mit der Zahlung von rund 90.000 Euro zum Schweigen verpflichtet. Das ist viel Geld für eine Familie, die plötzlich mittellos dasteht. Eine Bestätigung dafür gibt es aber nicht.
Solche Geschichten wecken Erinnerungen an die desaströsen Zustände auf den Stadion-Baustellen in Katar, dem Austragungsort der Fußball-Weltmeisterschaft 2022, mit hunderten ungeklärter Todesfälle. In der Türkei haben die Enthüllungen zunächst lediglich eine parlamentarische Anfrage der Opposition an die Regierung zur Folge. Doch die Öffentlichkeit ist aufgeschreckt. Ankara muss reagieren. Das Arbeitsministerium räumt nun 27 Todesfälle ein, die Baustelle werde streng kontrolliert, verspricht die Behörde. Cumhuriyet entgegnet, davon könne keine Rede sein.
Ein Kritiker sagt: So etwas gibt es kein zweites Mal in der Welt
Auch der Wirtschaftswissenschaftler und Kolumnist Mustafa Sönmez spricht von „katastrophalen Arbeitsbedingungen“ am neuen Flughafen. „So etwas gibt es auf der ganzen Welt kein zweites Mal“, sagt Sönmez unserer Zeitung. Der Regierung gehe es bei dem Projekt einzig und allein darum, ihre Wähler vor den Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2019 mit einem schnellen Bautempo zu beeindrucken. Auf die Arbeiter wird keine Rücksicht genommen, sagen Sönmez und andere Kritiker.
Mehrmals hat es in den vergangenen Jahren Protestaktionen von Arbeitern gegeben. Erst kürzlich gingen wieder Beschäftigte auf die Barrikaden und demonstrierten gegen die Überfüllung ihrer Unterkünfte. Die Flughafen-Betreiber riefen daraufhin die paramilitärische Jandarma, die in der Türkei außerhalb der Städte für Polizeiaufgaben zuständig ist, versprachen dann aber, die Forderungen der Arbeiter zu erfüllen.
Ungeachtet dessen plant Verkehrsminister Ahmet Arslan schon die Eröffnung des Airports. „Die erste Piste ist fertig“, sagte er kürzlich. Schon jetzt könnten Flugzeuge landen. Rund 80 Prozent der Bauarbeiten sind offiziellen Angaben zufolge abgeschlossen. Bei den restlichen 20 Prozent ist der Druck hoch, an den lebensgefährlichen Bedingungen für die Beschäftigten ändert sich offenbar nichts. Die Zeitung Evrensel berichtet, erst vorige Woche sei ein Bauarbeiter aus vier Metern Höhe von einem Balken gestürzt. Jetzt ist er tot. (mit dpa)
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Die Diskussion ist geschlossen.
320€ Grundgehalt für einen LKW Fahrer? Warum dann LKW fahren wenn man als Kelner mehr verdient?
2€ für jede extra Tour?
Liebe Frau Güsten, wissen Sie überhaupt wie lächerlich sich das anhört?
In etwa so "Flüchtlinge erhalten in Deutschland Haus, Auto und Startkapital von 20.000€"
Drei bis vier Todesfälle pro Woche, dass macht seit Juni 2014 etwa 728 Tote und mit 90.000€ bringt man die Angehörigen zum schweigen. Bei bald über 1000 Toten macht das 66 Millionen Euro und bis 2028 mehr als 100 Millionen Euro.
Die geben also 100 Millionen dafür, dass man den Mund hält, statt nur 10 Millionen Euro in deren Sicherheit?
"Das Ergebnis ist ein regelrechtes Lkw-Chaos auf den Zufahrtsstraßen. So sind die Lastwagen häufig völlig überladen, etliche sind wegen gebrochener Achsen oder defekter Bremsen nicht verkehrssicher. Gefahren wird trotzdem, und zwar zwölf Stunden am Tag statt der vorgeschriebenen maximalen Arbeitszeit von acht Stunden.." Bei verbleibenden 20% Bauarbeiten?
"etliche sind wegen gebrochener Achsen oder defekter Bremsen nicht verkehrssicher." Tonnen von Schutt ohne Bremsen fahren? Aber Sie wissen, dass es in der Türkei auf den Strassen mehr hoch und runter geht als gerade? Den deutschen Tüv gibts dort auch noch.