Pressestimmen zu Erdogan: "Dies war keine faire Wahl"
Recep Tayyip Erdogan hat die Wahlen in der Türkei gewonnen. Internationale Pressestimmen beschäftigen sich sehr kritisch mit dem Wahlsieg und seinen Folgen. Der Überblick.
"Die Türkei hat gewählt - und wieder steht Erdogan als Sieger da. Es gab Manipulationen, Einschüchterungen, Gewalt. Aber die Türken haben mit diesem Ergebnis entschieden: Sie wollen einen starken Führer." Spiegel Online
"Die türkische Opposition kann sich noch so sehr anstrengen – sie wird Erdogan nicht los. Der Sultan bleibt seinem Volk erhalten, und auch der Rest der Welt wird sich weiter einstellen müssen auf einen der grossen Spalter unserer Zeit." NZZ (Schweiz)
"Die Zahlen deuten darauf hin, dass Erdogan viele Türken vor den Kopf gestoßen hat. Einstige Insider berichten, dass das in starkem Maße an seinen Beratern liegt, die von einem vielseitigen, gebildeten und moderat unabhängigen Kreis zu einer Clique von Ja-Sagern geschrumpft ist. (...) Es ist fast niemand mehr übrig, der dem Mächtigen noch die Wahrheit sagt." Times
"Die Verunsicherung wird anhalten, Kapital und Köpfe werden weiterhin fliehen, daran wird das Wahlergebnis nichts ändern. Der Verfall der türkischen Lira ist nicht nur hausgemacht, aber die politischen Zustände spielen eine große Rolle beim Vertrauen in eine Währung. Viele Unternehmen hat dies schon an den Rand der Zahlungsfähigkeit gebracht. Auch der Staat hat über seine Verhältnisse gelebt, er hat das Geld mit vollen Händen ausgeteilt, um die Wähler zufrieden zu stimmen. Dieser Wahlsieg war teuer erkauft." Tagesanzeiger (Schweiz)
"Für Erdogan ist der Machterhalt nach 15 Jahren an den Schalthebeln der Türkei zum Selbstzweck geworden. Man darf befürchten, dass er auch zu unlauteren Methoden greifen würde, um sie zu verteidigen." Rheinische Post
Pressestimmen: Auch dieser Sieg wird Erdogan nicht reichen
"Schon heute steht fest: Auch dieser Sieg wird Erdoğan nicht reichen, um die ersehnte Vollkasko-Sicherheit an der Macht zu genießen. Je nachdem, wie viel bei dieser Wahl nun frisiert und manipuliert wurde, wird Erdoğan einem guten Teil seines Volkes nicht trauen. Überwachung und Unterdrückung könnten weiter zunehmen. Zugleich wird Erdoğan weiter nach Bestätigung suchen. Zum Beispiel bei der Kommunalwahl im kommenden Jahr." Zeit
"Süperdoğan" Takvim (Türkei)
"Der Staat Türkei wird ein anderer sein. Viele der Vollmachten, die sich Erdogan mit dem Verfassungsreferendum genehmigen ließ, treten jetzt erst in Kraft. Das Parlament, in dem die Opposition jetzt immerhin eine starke Stimme hat, ist weitgehend entmachtet. Es kann Erdogans Politik zwar etwas entgegensetzen, aber im Streitfall entscheiden Verfassungsrichter, die der Präsident letztlich selbst bestimmen kann. Und ohnehin kann er mit Dekreten regieren und den Notstand ausrufen, wenn er es für nötig erachtet. Die Opposition kann jetzt vor allem zweierlei tun: sich nicht spalten lassen und zeigen, dass eine gelenkte Demokratie keine echte Demokratie ist." Welt
"Dies war keine faire Wahl. Das sollte sie auch nie sein. Erdoğan will an der Macht bleiben, das war das Ziel dieser Abstimmung. Die bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten, die Wahlbetrugsversuche vor allem, aber nicht nur im kurdischen Südosten, scheinen auf das Konto lokaler AKP-Vertreter zu gehen. Manchmal schritt die Polizei ein. Was nun bleibt, ist die sich zusammenbrauende Wirtschaftskrise und die große Enttäuschung der anderen Hälfte der Wähler in der Türkei." Der Standard (Österreich)
"Erdogan hat nun die größtmögliche Macht in der Hand. Vor ihm liegt ein Mandat für fünf Jahre mit quasi absoluter Macht, obgleich in einem gespaltenen Land. Kein Ministerpräsident mehr. Das Parlament unter direkter Kontrolle. Richter direkt vom Staatschef eingesetzt. Auch hat der Präsident die Politik der Zentralbank unter Kontrolle. Seine Prüfbank wird die Wirtschaftskrise mit dem Verfall der türkischen Lira. Aber Erdogan hat nun freie Hand." La Repubblica (Italien) (AZ)
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