Überblick verloren? Das ist der aktuelle Stand beim Brexit
Ein schwieriges Erbe: Der neue britische Premierminister muss den Brexit ins Ziel bringen. Hier erhalten Sie einen Überblick über den aktuellen Stand.
Der mögliche Brexit, also der Ausstieg Großbritanniens aus der EU, beschäftigt Europa seit mittlerweile drei Jahren. Nachdem das britische Unterhaus das Austrittsabkommen mit der Europäischen Union zuletzt Ende März mit großer Mehrheit abgelehnt hatte, gewährte der Europäische Rat einen Aufschub des Austrittsdatums bis Ende Oktober.
Für den Fall, dass Sie beim Brexit den Überblick verloren haben, bringen wir Sie hier auf den aktuellen Stand - mit den wichtigsten Brexit-News in kompakter Form.
Wann ist denn jetzt der Termin für den Brexit?
Großbritannien soll die EU spätestens am 31. Oktober 2019 verlassen - also gute sieben Monate nach dem ursprünglichen Austrittstermin am 29. März. Mit der Forderung nach einer noch längeren Frist war Ratspräsident Donald Tusk am Widerstand einiger Mitgliedsländer gescheitert, darunter Frankreich.
Der Termin Ende Oktober wurde vom Europäischen Rat letztlich bewusst gewählt: Mit Blick auf die Bildung der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen am 1. November wollten die Staatschefs verhindern, dass die britische Regierung Ansprüche auf einen Kommissionsposten anmeldet - und dadurch für Chaos sorgt. An der Europa-Wahl im Mai hatten die Briten nach langer Diskussion teilgenommen.
Eine weitere Verlängerung will die EU den Briten nicht gewähren, ein früherer Austritt wäre allerdings durchaus möglich. Voraussetzung: Das britische Unterhaus nimmt das Abkommen doch noch an.
Warum hat die EU den Briten die Verlängerung gewährt?
Ziel der EU-Verhandler ist ein geordneter Austritt Großbritanniens. Ein sogenannter "Hard Brexit", also ein Ausstieg ohne Abkommen, würde auf beiden Seiten Chaos auslösen.
Gerade die wirtschaftlichen Folgen wären gravierend: Nach Einschätzungen des Finanzmagazins Capital würde der gegenseitige Handel nach einem ungeregelten Austritt zum Erliegen kommen. Besonders für Deutschland wäre das schmerzhaft: Die Briten sind der fünftwichtigste Handelspartner.
Großbritannien selbst würde unter einem harten Brexit wohl am meisten leiden. Das Land stünde laut Capital vor einer Rezession - mitsamt Abwertung des Pfunds, steigender Arbeitslosigkeit und Investitionsflaute.
Die EU würde mit dem Königreich einen der größten Nettozahler in den EU-Haushalt verlieren - trotz des berühmten "Briten-Rabatts". Die ausfallenden Beiträge müsste dann nicht zuletzt Deutschland übernehmen.
Warum hat das britische Unterhaus die bisherigen Vorschläge für ein Abkommen abgelehnt?
Die Vorstellungen der britischen Parlamentarier zur Frage, wie der Brexit geregelt werden soll, lassen sich bisher kaum in einem Austrittsvertrag bündeln - die Vertragsentwürfe der scheidenden Premierministerin Theresa May wurden jedenfalls bei allen drei Abstimmungen mit großer Mehrheit abgelehnt.
Gerade die Brexit-Hardliner, die Schätzungen zufolge ein knappes Drittel der 313 Mandate der Konservativen auf sich vereinen können, stören sich an zentralen Inhalten des Vertragstextes. Besonders der sogenannte "Backstop" (siehe unten) sorgt bei den EU-Gegnern für Ärger. Neben den Hardlinern gehören der Fraktion auch viele Parlamentarier an, die dem Vertragsentwurf von Theresa May zugestimmt haben.
Von der Oppositionspartei Labour stimmte die überwiegende Mehrheit dagegen bei allen drei Durchgängen mit "No". Auch kleinere Parteien wie die Schottische Nationalpartei sprachen sich gegen den Deal aus.
Die Motive sind allerdings verschieden: Dem Parlament gehören Befürworter eines zweiten Referendums genauso an wie Fürsprecher eines "Norwegen-Modells" - also einer engen Partnerschaft der Briten mit der EU ohne die Mitgliedschaft in der Zollunion. Entsprechende Anträge wurden im Unterhaus aber ebenso abgelehnt wie der Entwurf der Regierung.
Warum erhitzt der "Backstop" die Gemüter?
Bei der "Backstop"-Regelung geht es um die künftige EU-Außengrenze, die das britische Nordirland und das unabhängige Irland voneinander trennen würde. Beide Länder waren bis Ende der Neunzigerjahre in einen blutigen Bürgerkrieg zwischen irischen Katholiken und probritischen Protestanten verwickelt, bei dem tausende Menschen starben. Die Grenze zwischen den ehemals verfeindeten Staaten soll deshalb möglichst unsichtbar bleiben.
Sollten sich die EU und Großbritannien im Anschluss an den Brexit Ende Oktober nicht bis Ende 2020 auf eine Neuordnung ihrer Handelsbeziehungen einigen können, würde das den Austritt des Königsreichs auch aus Binnenmarkt und Zollunion bedeuten - und damit auch eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland.
Der "Backstop" soll diesen Fall verhindern: Großbritannien bliebe dann bis zu einer Einigung als Ganzes in der EU-Zollunion. Die Hardliner im Lager der Tory-Partei stört genau das. Denn weder dürften die Briten den "Backstop" einseitig aufkündigen, noch könnte das Land als Mitglied der Zollunion eigene Freihandelsabkommen schließen.
Für die EU steht allerdings fest: Eine weiche Grenze mit ungehindertem Warenfluss kommt nur dann in Frage, wenn Großbritannien Mitglied der Zollunion bleibt - und sich somit an EU-Regeln halten muss. (dfl)
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