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Foto: Virginia Mayo/AP Pool, dpa
Foto: Virginia Mayo/AP Pool, dpa

Gilt in Brüssel als blass und schwer zu fassen: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – hier bei einer Videokonferenz – muss sich zunehmend Kritik gefallen lassen.

Europäische Union
30.10.2020

Unnahbar und ohne Führungskraft: Kritik an Von der Leyen wächst

Von Detlef Drewes

In Brüssel wächst die Kritik an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – auch aus den eigenen Reihen. Welche skurrilen Streitereien zuletzt ans Licht kamen.

Eine stets etwas naiv klingende Ursula von der Leyen ruft bei der stets brummelig wirkenden Angela Merkel an und fragt um Rat – mit der Satire-Serie „Europa-Ursula“ landeten die Stimmenimitatoren der ARD-Hörfunksender einen Hit. Allzu weit weg von der Realität sind die Hörspiel-Podcasts nicht: Die Ex-Verteidigungsministerin hat – kaum ein Jahr als EU-Kommissionspräsidentin im Amt – ihren Kredit bei den deutschen Unionsfreunden gleich mehrfach verspielt: Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke aus Bochum, zugleich Chef der CDU-Arbeitnehmer in NRW, zieht eine fast schon vernichtende Bilanz der Arbeit seiner Parteifreundin. Von der Leyen werde ihrem Führungsanspruch nicht gerecht, schrieb er in einem Gastbeitrag für Die Welt. In großen politischen Fragen wie dem Green Deal brauche die EU „weniger pathetische und wolkige Beschreibungen des Problems“, dafür aber „mehr beherztes Zupacken“. Auch nach Monaten im Amt habe sich der Führungsstil der Präsidentin nicht geändert: „Markige und/oder pathetische Überschriften nach außen, fehlende Kommunikation und Misstrauen nach innen, garniert mit dem völligen Ignorieren des Seelenlebens ihrer eigenen politischen Familie“, bilanzierte Radtke weiter. Er steht nicht allein.

Hat von der Leyen die Kontrolle über die Verwaltung schon verloren?

Die Unzufriedenheit mit der Arbeit der EU-Kommission wächst täglich. Von der Leyen wurde dabei als Ursache ausgemacht. Selbst erfahrene Spitzenvertreter der Behörde werfen der 62-jährigen CDU-Politikerin vor, die Kommission strukturlos zu führen und die Kontrolle über sie verloren zu haben. Dazu wird dann gerne darauf verwiesen, dass die beiden einstigen Shootingstars der anderen Parteienfamilien, Frans Timmermans (Sozialdemokraten) und Margrethe Vestager (Liberale), die als Vizepräsidenten mit besonderer Funktion agieren sollten, praktisch abgetaucht sind. Andere EU-Kommissare arbeiteten regelrecht gegen die Präsidentin.

Die Kritik an dem Beraterstab, den von der Leyen aus Berlin importierte, reißt nicht ab. Die vielfach zitierten Attribute reichen von „unfähig“ bis „überheblich“. Besonders eklatant fällt die Kritik aus dem Europäischen Parlament aus. Nicht nur Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, sondern auch Politiker der Unionsparteien beklagen, dass die Niedersächsin sich zwar bei ihrer Bewerbungsrede dafür starkgemacht habe, dem Abgeordnetenhaus in dieser Legislaturperiode ein Initiativrecht zu verschaffen. Davon sei aber nicht nur nichts zu erkennen, die Präsidentin falle den Volksvertretern sogar in den Rücken. Als Beispiel wird von der Leyens Verhalten beim EU-Gipfel über den Haushaltsrahmen 2021 bis 2027 und den Aufbaufonds genannt.

EU-Abgeordnete werfen der Präsidentin vor, ihnen in den Rücken zu fallen

Entgegen der Forderungen des Parlamentes habe sie einen Gipfelbeschluss nicht nur mitgetragen, sondern sogar applaudierend gefeiert, der weit vom Vorschlag der Abgeordneten entfernt war. Und dann habe sie diesen im Plenum auch noch als „bittere Pille“ verteidigt. Radtke: „Das zerstört Vertrauen zwischen den beiden Partnern (Parlament und Kommission, d. Red.), die die eigentlichen europapolitischen Motoren sind.“

Drei Tage Streit: Wer darf mit Boris Johnson telefonieren?

Tatsächlich knirscht es im Gebälk des europäischen Hauses mitunter heftig. Ohrenzeugen zufolge stritten sich die Kommissionschefin und EU-Ratspräsident Charles Michel, dessen Büro sich in Brüssel genau auf der anderen Straßenseite befindet, drei Tage, wer mit dem britischen Premierminister Boris Johnson telefonieren dürfe, als es darum ging, die festgefahrenen Gespräche über einen Handelsvertrag wieder in Gang zu bringen. Am Ende sprach man zu dritt. In dieser Woche präsentierten Michel am Dienstag und von der Leyen am Mittwoch ihre Vorschläge für eine weitere EU-Strategie in der Covid-19-Krise. In beiden Papieren stand annähernd das Gleiche – als ob die EU jetzt nichts Wichtigeres bräuchte als einen Prestigekampf zweier Spitzenvertreter.

Was von der Leyen aber besonders auf die Füße fällt, ist die Alltagsarbeit ihrer Behörde, deren Präsentation sie bei wichtigen Themen gern selbst übernimmt. Es ist immer wieder dasselbe: Erst stellt die EU-Verwaltung ein Ziel wie die CO2- Reduzierung bis 2030 um 55 Prozent blumig und mit eindringlichen Worten (von der Leyen bezeichnete den Green Deal als Europas Mondlandung) vor, erklärt dann aber nicht, wie das erreicht werden soll. So entstehen bisweilen Reden mit pastoraler Wortwahl, an deren Ende darauf verwiesen wird, dass die nötigen Gesetze noch folgen – aber erst 2021. Das war beim Klima-Gesetz, der Industrie-Strategie und anderen gravierenden Fragen ebenso. Im Parlament kreidet man von der Leyen zudem wachsende Intransparenz an, weil Nachfragen und offizielle Begehren um mehr Information wochenlang liegen oder gar ganz unbeantwortet bleiben.

Vom "Kumpel" Juncker ist von der Leyen weit entfernt

Sicher, es gibt kaum einen Chef der EU-Kommission, der für sein erstes Amtsjahr Bestnoten bekam – noch dazu angesichts einer Krise, wie es sie noch nie gab. „Aber gerade dann braucht die Union doch Führungskraft“, sagt ein Brüsseler Diplomat. Er empfahl der Kommissionspräsidentin, die im Verwaltungshauptsitz namens Berlaymont gleich neben ihrem Büro wohnt, „öfter mal rauszugehen“. Von der Leyen gilt als unnahbar, was im Vergleich zu ihrem häufig kumpelhaften Vorgänger Jean-Claude Juncker besonders spürbar auffällt.

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