Verschärfte Rüstungskontrolle
Schweizer entscheiden, ob sie die neue EU-Waffenrichtlinie übernehmen. Mancher Eidgenosse sieht seine Freiheitsrechte bedroht
Die Schweiz strotzt vor Schusswaffen. Zwischen zwei und drei Millionen Gewehre, Flinten, Pistolen und Revolver lagern schätzungsweise in den Haushalten. Das Land hat 8,5 Millionen Einwohner: Damit rangiert die Eidgenossenschaft laut der Genfer „Small Arms Survey“ weltweit ganz oben bei den Staaten mit den meisten Waffen pro Kopf.
Die Regierung in Bern schickt sich an, die private Hochrüstung zumindest etwas besser zu kontrollieren. Ein geändertes Gesetz würde „punktuelle Verbesserungen beim Schutz vor Waffenmissbrauch“ bringen, verspricht die liberale Justiz- und Polizeiministerin, Karin Keller-Sutter. Zugleich beruhigt sie die aufgebrachten Waffenfans: „Niemand wird entwaffnet“, sagt sie. Und die traditionellen Schützenfeste seien auch nicht in Gefahr.
Das Brisante an dem neuen Reglement: Es stammt von der Europäischen Union. Das Nicht-EU-Mitglied Schweiz will Änderungen an der EU-Waffenrichtlinie in nationales Schweizer Recht umsetzen.
Am Sonntag soll sich zeigen, ob das Volk mitzieht. Die Eidgenossen stimmen in einem Referendum über das neue Waffengesetz ab. Wie nicht anders zu erwarten, stehen die Bestimmungen unter Dauerbeschuss der Waffenlobby. Die „Interessengemeinschaft Schießen Schweiz“ erzwang das Referendum, um das „Diktat der EU“ zu verhindern.
Selbst kleinste Änderungen der Regeln schmähen die Waffenfreunde als Angriff auf ein „zentrales Freiheitsrecht“, das sie auf die mythischen Ursprünge der Eidgenossenschaft zurückverfolgen. Noch heute huldigen viele Schweizer dem Ideal des wehrhaften Bürgers: Notfalls muss er eben zum Gewehr greifen. Die Schusswaffentoten – die Zahl liegt seit Jahrzehnten fast immer deutlich über 200 – gelten als bedauerliche Einzelfälle.
Das revidierte Gesetz schreibt eine Markierung aller wesentlichen Bestandteile einer Waffe vor. „Das erleichtert es der Polizei, die Herkunft einer Waffe zu klären“, betont Ministerin Keller-Sutter. Zudem zielt es auf halb automatische Waffen mit großen Magazinen ab. Zwar sollen sie künftig grundsätzlich verboten werden. Es gibt jedoch Ausnahmen, zum Beispiel für Sportschützen und auch Sammler, wenn sie eine sichere Aufbewahrung garantieren. Soldaten behalten das Recht, nach dem Militärdienst ihr Sturmgewehr zu erwerben. „Für Jägerinnen und Jäger ändert sich ebenfalls nichts“, heißt es in Bern.
Tatsächlich geht es der Regierung auch nicht um eine Verschärfung des Waffenrechts. Vielmehr soll sichergestellt werden, dass die Schweiz im Verbund der Dublin- und Schengen-Staaten bleibt. Die Folgen eines Neins der Eidgenossen wären gemäß einer Regierungsanalyse gravierend: Die Schweiz hätte keinen Zugriff mehr auf EU-Fahndungssysteme. Sie müsste wieder Asylanträge von Menschen überprüfen, deren Gesuch ein anderes europäisches Land bereits verworfen hat. Reisende müssten neben dem Schengen-Visum wie früher ein Schweiz-Visum beantragen. An den Grenzen käme es wieder zu Personenkontrollen. Insgesamt könnte der Volkswirtschaft der Schweiz ein Schaden von Milliarden Euro jährlich entstehen.
Die Warnungen der Regierungen scheinen zu wirken: Laut Umfragen heißt eine Mehrheit der Eidgenossen das neue Waffengesetz mit europäischer Dimension gut.
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