Wenn aus Feinden Freunde werden
In einem toskanischen Dorf werden Jugendliche aus Israel, Palästina und anderen Konfliktregionen zu Friedensstiftern ausgebildet.
Der Mensch geht seinen Feinden manchmal aus dem Weg. Oft kommt es vor, dass man den Feind, dem normalerweise alle Verantwortung und Schuld angelastet wird, auch bekämpft. Allein im 20. Jahrhundert starben schätzungsweise 100 Millionen Menschen in Kriegen. Ein kleiner Weiler in der italienischen Toskana will diesem Wahnsinn ein Ende machen. In Rondine bei Arezzo, zwischen Olivenbäumen und Zypressen, werden junge Menschen zusammen geführt, die nominell als Feinde kommen und zwei Jahre später als Friedensstifter in ihre Heimat zurückkehren.
Natürlich ist die Skepsis das größte Hindernis dieser Idee. „Am Anfang haben sie über uns gelacht“, erzählt Franco Vaccari, der Gründer des Vereins „Rondine Stadt des Friedens“. Offenbar gibt es aber auch immer mehr Förderer der Idee, dass die fruchtbare Auseinandersetzung mit dem eigenen Feind der Schlüssel zu einem friedlichen Zusammenleben sein kann. Den Verein, der aus einer katholischen Initiative hervorging, gibt es seit 1998. Im vergangenen Oktober besuchten Teilnehmer des Trainee-Programms den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella, im Dezember war die Gruppe bei Papst Franziskus im Vatikan zur Audienz. Der Papst sagte: „Ein Führer, der nicht versucht seinen Feind zu treffen und mit ihm an einem Tisch zu sitzen, wie ihr es tut, der kann sein Volk nicht zum Frieden führen.“ Kurz vor Weihnachten war der aktuelle Ausbildungsjahrgang bei den Vereinten Nationen in New York zu Gast. Die Jugendlichen lancierten dort ihren Appell: Jeder UN-Mitgliedstaat möge die Kosten für eine Waffe aus seinem Verteidigungshaushalt abziehen und in die Ausbildung junger Friedensstifter nach dem „Modell Rondine“ investieren.
Schnell stehen eigene Vorurteile auf dem Prüfstand
Gal zum Beispiel ist 27 Jahre alt und aus Tel Aviv. Sie wurde über eine Anzeige auf Facebook auf die Initiative aufmerksam und bewarb sich erfolgreich. Ein Komitee sucht die Kandidaten aus, die studiert haben und Erfahrungen in der Freiwilligenarbeit vorweisen müssen. Ihre „Feindin“ ist die Palästinenserin Christina, 23 Jahre alt, aus Bethlehem. Zwei Jahre lang leben die beiden Frauen mit anderen jungen Teilnehmern des Programms aus Krisenregionen der Welt im Dorf Rondine und werden in Konfliktmanagement ausgebildet. „Wir sind keineswegs immer einer Meinung“, erzählt Gal über das Verhältnis zu Christina. Neben dem zweijährigen Studienprogramm, in dem die Teilnehmer Unterricht in Konfliktmanagement bekommen, legt man in Rondine Wert auf das praktische Zusammenleben im Alltag.
„Wir sind kein Multikulti-College“, sagt Gründer Vaccari. Deshalb ist es auch wichtig, dass sich die Duos in Rondine in gewissem Maße mit den gängigen Vorstellungen ihrer Seite über den Konflikt in ihrer Heimat identifizieren. „Es ist für die Entwicklung durchaus wichtig, patriotisch zu sein“, sagt die Israeli Gal. Die drei Tschetschenen, die zusammen mit drei Russen 1995 die ersten Auszubildenden in der Toskana waren, reisten bald wieder ab. Für sie war es unerträglich, ihre Unterwäsche und Socken mit den Russen in einer Waschmaschine zu waschen. Es gab damals sogar Prügeleien.
Wenn Franco Vaccari Gäste in Rondine herumführt, zeigt er ihnen immer auch die Waschküche. „Sie ist der Ort der Kontamination“, sagt Vaccari. Sich anzustecken sei ein Risiko, man könne dabei schließlich etwas verlieren. „Das Feindbild im Anderen zum Beispiel.“ Vaccari und seine Unterstützer haben die Erfahrung gemacht: Sobald die Feinde den Menschen, die Person im Gegenüber erkennen, ebbt die Aversionab. Diese Entdeckung kostet Kraft und Mut, weil sie Verzicht auf alte Rollen bedeutet. Am Ende steht dann oft die Erkenntnis, dass das Feindbild ein Trugschluss war.
Bereits über 200 junge Menschen haben das Programm absolviert
200 junge Menschen haben das Programm seit 1998 durchlaufen. Die Teilnehmer stammten aus Russland und Tschetschenien, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Israel, Palästina, Libanon, Serbien, Kosovo, Bosnien-Herzegovina, Kolumbien, Mali, Nigeria, Sudan und Sierra Leone. Wenn man Vaccari nach zählbaren Erfolgen des Rondine-Programms fragt, dann muss er nicht lange überlegen. Er erzählt die Geschichte von Tony, der eines Tages aus Sierra Leone in die Toskana kam und sagte: „Ich bin im Krieg, im Krieg mit meinem Herzen.“
Jeden Morgen kam er in seiner Heimat auf dem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad an den Mördern seines Vaters vorbei. Zwei Jahre lang lebte und studierte er in Rondine, ohne Feind. Nach dieser Zeit entschied er sich zur Rückkehr nach Sierra Leone und half mit bei der Organisation von freien Wahlen in seiner Heimat. Aber zuvor erledigte Tony eine noch wichtigere Mission. Er wollte den Mördern seines Vaters vergeben und ihnen nun von seiner Erfahrung in Italien berichten, und tat es auch. „Wenn du Frieden haben willst“, sagt Tony, „musst du bei dir selbst anfangen“.
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