Vor Stichwahl in der Ukraine: Merkels Aura soll Poroschenko retten
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko steht vor dem Aus. Ein Besuch bei Angela Merkel soll ihm das Amt retten. Doch seine Chancen sind gering.
In größter Not hat sich Petro Poroschenko nach Deutschland aufgemacht. Einen anderen Grund als die Rettung seines Präsidentenamtes hatte die Reise nicht.
Poroschenko will sich seinen Landsleuten eine gute Woche vor der Stichwahl als Staatsmann empfehlen, der mit den Mächtigen Europas sein Land vor den Pranken des russischen Bären bewahrt. Dem Schokoladenmilliardär droht in der zweiten Runde der Präsidentenwahlen der politische K.o. gegen einen unerfahrenen Schauspieler und Komiker.
Merkel lädt Poroschenko-Gegner nicht ein
Bundeskanzlerin Angela Merkel tat dem geschätzten Partner den Gefallen und lobte dessen Erfolge. Anders als Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron lud sie Herausforderer Wolodymyr Selensky gar nicht erst ein.
„Wir haben gesagt, wir stehen fest an der Seite der Ukraine“, betonte Merkel gleich zu Beginn ihrer Ausführungen. Die Unterstützung Deutschlands war im ungleichen Kampf mit Moskau die Lebensversicherung für Kiew. Die Kanzlerin hasst nichts mehr als unkontrollierbare Überraschungen, weshalb Poroschenko angesichts der angespannten Lage ihr Favorit ist und nicht ein Polit-Neuling ohne Programm.
Wahlsieg trotz Besuchs bei Merkel fast unmöglich
Trotz des demonstrativen Rückenstärkens dürfte es das letzte Treffen in offizieller Funktion gewesen sein: „Es ist für Poroschenko fast unmöglich zu gewinnen, außer es geschieht bis zur Wahl etwas Gravierendes“, sagt die Ukraine-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, Susan Stewart.
Im ersten Wahlgang holte sein Gegner doppelt so viele Stimmen. Den wahrscheinlichen Sieg Selenskys bewertet die Expertin als Herausforderung für die Ukraine, die immer noch im Krieg mit von Russland unterstützten Separatisten steht. „Die politische Elite wird sich einige Monate neu sortieren müssen, weshalb sie sich kaum um die Reformagenda kümmern wird“, erwartet Stewart.
Zu tun gäbe es genug. Noch immer sind die Gerichte des Landes nicht unabhängig, faire Prozesse nicht die Regel. In den Krankenhäusern ist es üblich, dem Arzt einen Umschlag mit Geld zuzustecken, damit er wirklich behandelt. Die Universitäten sind völlig veraltet und arbeiten noch wie in der Sowjetzeit. Die Bezahlung der Wissenschaftler ist ein Witz.
In TV-Serie: Poroschenko-Herausforderer schon Präsident
Der 41-jährige Selensky ist schon im Präsidentenpalast angekommen. Zumindest in der Fiktion. In der populären Fernsehserie „Diener des Volkes“ spielt er einen Lehrer, der unversehens zum Präsidenten gewählt wird und als ehrlicher Bürger die alltägliche Korruption und Vetternwirtschaft bezwingt.
Ob der Schauspieler die Sehnsucht der Ukrainer nach sauberen Politikern erfüllen wird, ist aber zweifelhaft. Er gehört zum Netzwerk des schwerreichen Oligarchen Ihor Kolomojskyj, der die Mehrheit an dem Fernsehsender kontrolliert, bei dem Selensky unter Vertrag steht.
Amtsinhaber Poroschenko ist selbst Oligarch und hatte deshalb kein Interesse daran, den Einfluss von Multimillionären und Milliardären auf die Politik seines Landes zu beschneiden. Politisch und wirtschaftlich hat er dennoch einiges bewegt, seit die Revolution vom Maidan-Platz den alten Machthaber aus dem Amt fegte.
„Das Land hat von einer sehr schwierigen Ausgangslage substanzielle Fortschritte gemacht“, erklärt Ukraine-Experte Robert Kirchner von der Beratungsgesellschaft Berlin Economics. „Das Defizit wurde zurückgefahren, die Gesamtverschuldung ist gesunken, und der Wechselkurs ist stabil.“
Pro-Kopf-Einkommen in der Ukraine hat sich halbiert
Die Bevölkerung habe aber einen hohen Preis bezahlt. Das Pro-Kopf-Einkommen halbierte sich nach der akuten Krise von 2015 auf 2100 Dollar pro Jahr. „Nach fünf Jahren unter Poroschenko ergibt sich ein sehr gemischtes Bild, ein Bild in Grautönen“, sagt Kirchner, der seit über zehn Jahren in dem Land aktiv ist.
Der angeschlagene Präsident versuchte bislang im Wahlkampf, die Ukrainer mit patriotischen Tönen und in der Rolle als Beschützer des Volkes für sich zu gewinnen. Auch in Berlin gab er den Oberbefehlshaber. „Es ist eine große Errungenschaft, dass wir die russischen Truppen gestoppt haben“, sagte er. Seine Landsleute hat er damit bisher nicht beeindruckt.
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