Ein Funken Hoffnung für Algerien - durch Fußball
Ein greiser Präsident im Rollstuhl. Korrupte Strippenzieher. Keine Spur von Aufbruch. Und dann diese Begeisterung. Wie der Fußball das gelähmte Land aus seiner Lethargie reißt.
Algerien ist fußballverrückt. Als sich das nordafrikanische Land vor vier Jahren erstmals seit 1986 wieder für eine Weltmeisterschaft qualifizierte, feierten die Anhänger in der Heimat so ausgelassen, dass 145 Fans mit Herzanfällen behandelt werden mussten. Mindestens 14 Personen kamen bei wilden Autokorsos in der Hauptstadt Algier ums Leben, hunderte wurden verletzt. Sollte die algerische Nationalmannschaft nach dem ersten Achtelfinal-Einzug ihrer Geschichte heute Abend Deutschland aus dem Turnier werfen, müssen sich die Krankenhäuser des Landes wohl erneut auf Sonderschichten einstellen.
Präsident Bouteflika wurde trotz schlechter Gesundheit im Amt bestätigt
Seit Tagen berichten die nationalen Medien kaum noch über etwas anderes als Fußball, sie fordern Rache für die „Schande von Gijón“ aus dem Jahr 1982. Die Begeisterung steht im krassen Gegensatz zur politischen Apathie Algeriens, das seit 1999 von Präsident Abdelaziz Bouteflika regiert wird. Der frühere Freiheitskämpfer und heutige Autokrat ist 77 Jahre alt, sitzt seit einem Schlaganfall im vergangenen Jahr im Rollstuhl und kann sich nur noch mit Mühe verständlich machen. Trotz seiner angeschlagenen Gesundheit wurde er erst im April erneut mit über 80 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Algerien schießt sich in Richtung Achtelfinale...
Zuvor hatte er extra die Verfassung umschreiben lassen, um die dort verankerte Beschränkung auf zwei Amtsperioden für das Staatsoberhaupt aufzuheben. In die Wahlkabine, in der er seine Stimme abgab, musste er von seinen Pflegern und Bodyguards geschoben werden. So gelähmt wie der Machthaber an der Spitze ist auch das politische System des Landes. Zwar werden alle fünf Jahre Wahlen abgehalten, mit Demokratie haben diese allerdings wenig zu tun.
Die Macht im Land liegt bei Militär, Geheimdiensten und Wirtschaftsbossen
Die eigentliche Macht im Land liegt bei einer anonymen Instanz, die von den Algeriern als Le Pouvoir (Die Macht) bezeichnet wird. Das Geflecht aus Militär, Geheimdiensten und Wirtschaftsbossen zieht seit Jahren die Fäden im Hintergrund und agiert bei Wahlen als Königsmacher.
Der Arabische Frühling hat in Algerien anders als in den Nachbarländern Tunesien und Libyen nie Blüten getragen. Viele junge Algerier klagen, dass die Zeit in ihrem Land stehen geblieben sei. Einige führende Aktivisten haben sich in der Protestbewegung Barakat! (Genug!) zusammengetan, halten Proteste ab und fordern einen echten politischen Kurswechsel. Doch ihr Einfluss bleibt sehr gering.
Manche vergleichen die Situation mit der in Ägypten unter dem früheren Alleinherrscher Hosni Mubarak. Das Regime inszeniert sich als Garant für Stabilität und Kontinuität. Bouteflika selbst wird von den staatlichen Medien als alternativlos dargestellt. Ohne seine starke und erfahrene Hand drohe dem Land der Zerfall. Diese Botschaft kommt insbesondere bei denjenigen gut an, die den blutigen Bürgerkrieg und den islamistischen Terror in den 90er Jahren mit über 100.000 Toten miterlebt haben. Der Appetit auf politische Experimente ist bei ihnen gering. Das Chaos, das auf die Revolutionen in Libyen, Ägypten und Syrien folgte, schreckt die Bevölkerung zusätzlich ab.
Algerien geht es wirtschaftlich besser, als den meisten arabischen Staaten
Wirtschaftlich gesehen geht es Algerien besser als den meisten anderen arabischen Staaten. Das liegt vor allem an den großen Erdöl- und Erdgasvorkommen des Landes, die 98 Prozent des Exports ausmachen. Dank der Rohstoffeinnahmen konnte die Regierung die Staatsverschuldung zuletzt auf beinahe null drücken und sich ein Stück weit politische Ruhe erkaufen. Allerdings hat es das Land versäumt, nennenswerte andere Wirtschaftszweige aufzubauen. So ist die Arbeitslosigkeit auf über 25 Prozent gestiegen. In den jüngeren Altersgruppen liegt die Quote noch weit höher, Beobachter sprechen von einer Zeitbombe.
Korruption und Vetternwirtschaft sind allgegenwärtig. Ohne die richtigen Beziehungen ist es für die meisten Algerier unmöglich, eine Arbeitsstelle zu finden. Neue wirtschaftliche Anstöße sind vom greisen Bouteflika in seiner vierten Amtszeit nicht zu erwarten.
So ist der Fußball für die Algerier vor allem eins: Eine willkommene Ablenkung von der Alltagstristesse. Je länger diese anhält, desto besser.
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