Wahlprogramme im Check: Das wollen die deutschen Parteien in Europa ändern
Wie soll die EU künftig aussehen? Von Flüchtlingspolitik bis Klimaschutz - unser Überblick zeigt die Kernforderungen von CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Grünen und Linken.
Der Wahl-O-Mat ist wenige Tage vor der Europawahl 2019 abgeschaltet worden. Als Alternative gibt es hier einen Überblick über die wichtigsten Forderungen der größeren deutschen Parteien.
Wahl-O-Mat abgeschaltet: Wer ist die Partei "Volt Deutschland"?
Was ist geschehen? Das Verwaltungsgericht Köln verbot der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn am Montag, den Wahl-O-Mat, ein Internetangebot, das eine Orientierungshilfe bei Wahlen geben soll, in seiner derzeitigen Form anzubieten. Es gab damit einem Antrag der Kleinpartei "Volt Deutschland" statt, die sich durch die derzeitige Form des Angebots benachteiligt fühlte.
Volt versteht sich selbst als eine Bewegung und Partei für ganz Europa. Eigenen Angaben zufolge ist Volt "die erste paneuropäische Partei", die grenzübergreifend Politik macht. Gegründet wurde die Kleinpartei 2017 vom Italiener Andrea Venzon, der Französin Colombe Cahen-Salvador und dem Deutschen Damian Boeselager als Reaktion auf den weltweit wachsenden Populismus. In Deutschland wurde Volt als Partei am 3. März 2018 registriert und erhielt damit alle zugehörigen Rechte und Pflichten. Ihre Vision beschreibt die Partei wie folgt: "Wir wollen ein starkes Europa-Parlament, das Gesetze vorschlagen kann und eine europäische Ministerpräsidentin wählt, die sich vor unseren Volksvertretern verantworten muss."
Unsere Wahl-O-Mat-Alternative: Die Wahlprogramme im Check
Denn wenn Europa in weniger als einer Woche ein neues EU-Parlament wählt, treten auch deutsche Parteien an. Dabei kommt es insbesondere auf die sechs im Bundestag vertretenen Parteien an - sie alle wollen mit ihrem Programm die Politik der EU nachhaltig verändern. Bei manchen Themen liegen einige von ihnen eng beieinander, in anderen Politikfeldern treten gravierende Unterschiede hervor.
Das Thema Migration bei der Europawahl
CDU/CSU: Die Union will Asyl-Verfahren und -Leistungen europaweit angleichen, ein Monitoring, das Migrationsbewegungen sichtbar macht, weitere Flüchtlingsabkommen nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens und Transitzentren an der EU-Außengrenze. Die EU-Grenzschutzagentur "Frontex" soll auf mindestens 10.000 Mann (derzeit rund 1500) aufgestockt werden.
SPD: Einheitliche, beschleunigte Asylverfahren und einen solidarischen Verteilungsschlüssel fordert die SPD. Die EU soll die Seenotrettung koordinieren und Fluchtursachen bekämpfen. Kommunen müssen bei der Flüchtlingsaufnahme durch einen Fonds unterstützt werden und Bürger über die Aufnahme von Flüchtlingen mitbestimmen können.
AfD: Die AfD will diesen Bereich zurück in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten führen. Die EU soll allein bei Abschiebungen und Verhandlungen von Rückführungsabkommen helfen. Nationale Grenzkontrollen sollen wieder eingeführt und "echte Flüchtlinge" heimatnah versorgt werden. Die private Seenotrettung von Flüchtlingen will die AfD als "schwere Straftat" ahnden.
FDP: "Frontex" soll zur Behörde ausgebaut werden und die Seenotrettung übernehmen. Die FDP fordert ein europäisches Asylsystem und einen "Spurwechsel" (Wechsel vom Asyl- ins Einwanderungsverfahren) für gut integrierte Migranten. Sie will die Reisefreiheit im Schengen-Raum wieder vollständig garantieren.
Linke: Die Linke will "Frontex" durch ein ziviles Seenotrettungsprogramm ersetzen und Schnellverfahren sowie Inhaftierungen von Flüchtlingen verbieten. Sie fordert legale Flucht- und Einreisewege und einen Verteilungsschlüssel, der sich an der Wirtschaftsleistung der Mitgliedstaaten orientiert. Wie SPD und Grüne will sie Kommunen mit einem Fonds unterstützen.
Grüne: Keine "einseitige Aufrüstung" von "Frontex", fordern die Grünen. Stattdessen: Ein Einwanderungsrecht für legale Arbeitsmigration, ein Seenotrettungssystem und einen solidarischen Verteilungsmechanismus sowie einen Flüchtlings-Fonds für Kommunen. Die Partei will einen "Spurwechsel" ermöglichen und Abschiebungen in Kriegsgebiete wie Afghanistan verhindern.
So stehen die Parteien bei der Europawahl zum Klimaschutz
CDU/CSU: Die Union sieht die EU als "Antreiber für weltweiten Klimaschutz" und fordert auf internationaler Ebene einen Preis für Treibhausgasemissionen sowie Abkommen zur Plastikvermeidung. Erneuerbare Energien sollen europaweit ausgebaut werden.
SPD: Regionen, die vor einem tief greifenden Strukturwandel stehen (Beispiel: Kohlereviere), will die SPD durch einen Fonds unterstützen. Die plädiert dafür, den europäischen Emissionshandel weiterzuführen, Plastikmüll bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren und die Energieeffizienz zu erhöhen.
AfD: Als Klimaskeptiker hält die AfD an fossiler Energie wie Erdgas und Kohle fest und bezeichnet die Klimaschutzpolitik als "Irrweg". Sie lehnt das Pariser Klimaabkommen ab und will den Emissionshandel abschaffen. Erneuerbare Energien stellt die Partei als "schädlich für Mensch, Natur und Umwelt" dar.
FDP: Die FDP fordert eine europäische Energie- und Klimapolitik. Die EU soll aufforsten, die Anzahl ihrer CO2-Emissionsrechte reduzieren und solche für fossile Energien bis 2050 abschaffen. Statt CO2-Abgasgrenzwerte will die Partei den Emissionshandel auf die Sektoren Mobilität und Wärme ausweiten.
Linke: Einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und autofreie Innenstädte fordert die Linke. Die EU soll bis 2030 aus der Kohle aussteigen und bis 2040 auf erneuerbare Energien als alleinige Energiequelle umstellen. Statt des Emissionshandels fordert die Partei einen CO2-Mindestpreis und eine CO2-Steuer für die Industrie.
Grüne: Die Grünen fordern einen raschen Ausbau von erneuerbaren Energien sowie Investitionen in intelligente Stromnetze und Energiespeicher. Ab 2030 sollen nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden. Die Partei will Steuern auf CO2 und Einwegplastik erheben und die Einnahmen an die Bürger zahlen. Arbeitnehmer in "Kohleausstiegsregionen" müssen Weiterbildungen erhalten.
---Trennung So stehen die Parteien zur Forschung Trennung---
Forschung und Entwicklung in den Programmen zur Europawahl
CDU/CSU: Die EU soll laut der Union zu einem führenden Standort für künstliche Intelligenz (KI) werden und Innovationen in den Bereichen Klimaschutz, Medizin, Mobilität (Batteriezellenproduktion) und Landwirtschaft vorantreiben. Die Union drängt darauf, Forschungseinrichtungen zu vernetzen und einen Zukunftsfonds für Start-ups zu schaffen.
SPD: Die SPD will einen europäischen Innovationsrat gründen und die KI-Kooperation ausbauen. Bis 2025 sollen alle Mitgliedstaaten drei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung investieren und Forschungsergebnisse über eine "Cloud" frei zugänglich machen. Die EU soll die Mittel für Grundlagenforschung erhöhen.
AfD: Die Forschungsförderung muss von der europäischen zurück in die nationale Verantwortung geführt werden, fordert die AfD. Gemeinsame Forschungsstrategien sollen sich auf Schlüsseltechnologien beschränken. Die Partei will kleine oder forschungsstarke Unternehmen durch finanzielle Hilfen fördern.
FDP: Die FDP möchte Forschung zum Schwerpunkt im EU-Haushalt machen, grenzüberschreitende Hochschulnetzwerke ausbauen und eine Agentur für Innovationen gründen. Die EU müsse Forschungsstipendien finanzieren und Träger neuer Hochschulen werden. Digital-Freiheitszonen sollen vor allem Start-ups Vorteile bringen.
Linke: Die Linke will die Förderung von Rüstungs- und Überwachungstechnologien stoppen und den Einfluss großer Unternehmen auf Forschungs- und Innovationsförderung einschränken. Sie fordert ein Förderprogramm für geflüchtete Wissenschaftler und will wie die SPD Wissenstransfer über eine Online-Plattform fördern.
Grüne: Europäische Innovationszentren und einen Fonds für politisch verfolgte Wissenschaftler schaffen, fordern die Grünen. Start-ups könnten mit einem "Start-up-Pass" und einem "Start-up-Visa" unterstützt werden. Die EU soll angewandte sowie Grundlagenforschung stärker fördern.
Wie Parteien die Landwirtschaft bei der Europawahl thematisieren
CDU/CSU: Die Union will die Direktzahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) besser an die regionale Landwirtschaft anpassen und kleinere und mittlere Betriebe mehr unterstützen. Wegen stark wachsender Wolfsbestände wollen die Parteien den "strengen Schutzstatus" für Wölfe im europäischen Naturschutzrecht ändern.
SPD: Die Agrarsubventionen sollen unabhängig von der Betriebsgröße vergeben und stärker auf ländliche Betriebe sowie an den Tier- und Umweltschutz angepasst werden. Die SPD fordert eine Reform des Zulassungsverfahrens für Pestizide und ab 2023 ein europaweites Glyphosat-Verbot.
AfD: Die AfD möchte die Agrarpolitik wieder zurück in die nationale Verantwortung bringen. Die EU-Subventionen sollen aber "zunächst" bestehen bleiben. Die Partei fordert eine transparentere Lebensmittelkennzeichnung, "ehrliche Erzeugerpreise" und will die Spekulation mit landwirtschaftlichen Flächen stoppen.
FDP: Die FDP will eine weniger bürokratische GAP, den schrittweisen Abbau von Subventionen und Investitionen in innovative Forschung und Technik. Die Partei plant, Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat in allen Mitgliedstaaten gleichzeitig zuzulassen und neue Züchtungstechniken wie das "Genome Editing" zu fördern.
Linke: Kleinbauern, die ökologische Landwirtschaft und kurze Transportwege will die Linke stärker fördern. EU-Subventionen sollen an soziale und ökologische Kriterien gebunden sein. Die Partei will den Einsatz von Antibiotika und Glyphosat in der Landwirtschaft sowie die Bodenspekulation stoppen.
Grüne: Die Grünen wollen ein Verbot von Glyphosat und Gentechnik und fordern eine ökologische Landwirtschaft. Subventionen müssen an die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards gekoppelt und dem Lebensmittel-Preisdumping mit europäischen Regelungen entgegengewirkt werden. Wie AfD und Linke sind sie gegen Bodenspekulationen.
---Trennung Was der Rechtsstaat den Parteien bedeutet Trennung---
Der Rechtsstaat bei der Europawahl
CDU/CSU: Die Union fordert einen "unabhängigen Expertenrat", der regelmäßig überprüft, ob alle Mitgliedstaaten Rechtsstaatlichkeit garantieren. Bei Verstößen soll ein Mitgliedstaat vor dem Europäischen Gerichtshof angeklagt werden und im Falle einer Verurteilung Sanktionen auferlegt bekommen. Diese würden durch Mehrheitsentscheidungen (bisher: Einstimmigkeitsprinzip) verhängt.
SPD: Auch die SPD will die Rechtsstaatlichkeit regelmäßig innerhalb der EU untersuchen. Die Mitgliedstaaten, die gegen die EU-Grundwerte verstoßen, sollen weniger Fördergelder erhalten. Dort, wo die Rechtsstaatlichkeit besonders bedroht ist, müsse ein Fonds Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unterstützen.
AfD: Trotz der laufenden Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen und Ungarn taucht das Thema nicht im Wahlprogramm der AfD auf.
FDP: Wie die SPD und die Grünen fordert die FDP, EU-Fördergelder an die Rechtsstaatlichkeit zu binden. Die europäische Grundrechteagentur soll außerdem über Informationen und Empfehlungen hinaus die Menschenrechtslage in den Mitgliedstaaten politisch bewerten.
Linke: Auch die Linke fordert die regelmäßige Überprüfung von Rechtsstaatlichkeit und spricht sich bei Verstoß für Sanktionen aus. Sie will zudem, dass die Förderung von Rechtsstaatlichkeit ein Element der EU-Nachbarschaftspolitik wird.
Grüne: Wie CDU/CSU, SPD und Linke wollen die Grünen die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU regelmäßig untersuchen und Verstöße ahnden. EU-Fördergelder sollen an die Einhaltung dieses EU-Grundwerts gebunden werden. Die europäische Grundrechteagentur sowie NGOs müssen stärker unterstützt werden. (mit AZ)
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