Warum ein Deutscher in der Türkei hinter Gitter muss
Ein Deutscher wurde in der Türkei zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt. Der Zeitpunkt des Urteils ist pikant. Wollte er sich der Kurdenmiliz anschließen?
Eine lange Haftstrafe für einen Bundesbürger in der Türkei wirft neue Probleme für die angestrebte Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Staaten auf. Ein Gericht in Anatolien verurteilte am Freitag den 29-jährigen Gießener Patrick Kraicker wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Kurdenmiliz zu mehr als sechs Jahren Gefängnis. Das Urteil erging während eines Besuches von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in Ankara und einen Tag vor einer Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Syrien-Gipfel nach Istanbul.
Haft in Türkei: Deutscher soll sich als Kämpfer angeboten haben
Das Verfahren gegen Kraicker kann nicht ohne Weiteres als politischer Erpressungsversuch der türkischen Seite abgetan werden. Anders als bei den Inhaftierungen des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, des Menschenrechtlers Peter Steudtner oder der Übersetzerin Mesale Tolu geht es bei dem Gießener nicht um Meinungsäußerungen oder absurde Verschwörungsvorwürfe.
Kraicker war im Frühjahr in Silopi an der syrischen Grenze in Südostanatolien aufgegriffen worden. Türkischen Regierungsmedien zufolge gab er in ersten Vernehmungen zu, er habe sich in Syrien der Kurdenmiliz YPG anschließen wollen, einer Schwesterorganisation der auch in Deutschland verbotenen kurdischen Terrororganisation PKK. Er soll sich per E-Mail der YPG in Nordsyrien als Kämpfer angeboten haben. Kraicker weist die Vorwürfe zurück und will das Urteil anfechten.
Familie und Unterstützer des Gießeners sagen, der nach ihren Angaben unpolitische junge Mann habe in Südostanatolien wandern und Verwandte eines Jugendfreundes besuchen wollen. Dazu flog er ins südtürkische Gaziantep und machte sich auf den Weg nach Nusaybin, fast 400 Kilometer weiter östlich. Was er in dem noch einmal 130 Kilometer weiter östlich von Nusaybin gelegenen Silopi wollte, ist unbekannt. Die Gegend, in der der Deutsche im März festgenommen wurde, ist keine friedliche Region für Wanderer: In Nusaybin und Silopi gab es in den vergangenen Jahren heftige Gefechte zwischen der türkischen Armee und der PKK; in dem Grenzgebiet gibt es auch heute noch viele Straßensperren der Militärs.
Was den Fall ebenfalls schwierig macht: Seit Jahren klagen westliche Regierungen, Ankara unternehme nicht genug gegen radikalisierte Ausländer, die über türkisches Territorium nach Syrien reisen, um sich dort militanten Gruppen anzuschließen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier äußerte sich am Rande seines Besuches in Ankara entsprechend zurückhaltend. Die Bundesregierung werde sich das Urteil genau anschauen. Weitere Stellungnahmen zu dem Fall lehnte er ab.
Türkei-Politik: Kritik am Kurs der Bundesregierung
Das Urteil gegen Kraicker lässt die innerdeutsche Kritik am Normalisierungskurs der Bundesregierung gegenüber der Türkei einen Monat nach dem Staatsbesuch von Präsident Recep Tayyip Erdogan wieder lauter werden. Es sei „unsäglich“, dass Altmaier in Ankara der türkischen Regierung „mit einem gigantischen Rettungspaket“ helfe und gleichzeitig ein Bundesbürger wegen des türkischen „Verfolgungswahns“ verurteilt werde, schrieb die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, auf Twitter.
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