Stress, sagen die einen. Konsumterror, die anderen. Doch die Feiertage halten das Land zusammen und geben Stabilität in unsicheren Zeiten.
Es ist so etwas wie die heimliche Weihnachtstradition dieses Landes. Jedes Jahr um die Zeit, wenn der erste Schnee weggetaut ist, der Christstollen anfängt, hart zu werden, und der Glühwein den Blutzuckerspiegel der Deutschen nach oben getrieben hat, taucht ein Grinch auf: Jenes böse Wesen, das den Menschen Weihnachten nehmen will.
Mal heißt es, die Muslime wollten die Weihnachtsmärkte in Wintermarkt umbenennen. Mal wird moniert, dass in den Schulen in der Adventszeit nicht mehr aus dem Evangelium vorgelesen wird. In diesem Jahr war es die der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Integrationsministerin, die sich die Finger verbrannte: Ausgerechnet in einem Weihnachtsgruß vermied das Team von Annette Widmann-Mauz das Wort Weihnachten. Die Empörung war greller als Lametta, als feige Verräterin des Abendlandes wurde die CDU-Politikerin gegeißelt. Halleluja!
Was kann christlicher sein als der Wunsch nach Gemeinschaft?
Man könnte darüber den Kopf schütteln, schließlich haben sich Teile der deutschen Bevölkerung inzwischen vom christlichen Glauben entfernt und kennen Kirchen bestenfalls als Kulisse für den Heiligabend oder die als Event inszenierte Hochzeit. Doch irgendwie hat dieses überdrehte Granteln etwas beruhigend Heimeliges. So häufig wird dem Land der Zusammenhalt abgesprochen, wird ein Klima der gesellschaftlichen Instabilität heraufbeschworen, dass es wohltuend ist, dass es noch etwas gibt, das der Mehrheit heilig ist.
Man mag die Kommerzialisierung beklagen, den Stress, die Völlerei. Doch kein anderes Fest verbindet die Menschen so sehr wie Weihnachten. Es ist die große Sehnsucht nach Familie, nach Frieden, nach einer kurzen Auszeit vom Wahnsinn, die die Seele am 24. Dezember so besonders wärmt. An die Stelle des festen Glaubens mag zwar eine gewisse Anlass-Frömmigkeit getreten sein, teils sogar nur noch Spiritualität. Doch Weihnachten bleibt ein Anker, der die Welt für einen Tag anhält. Nicht umsonst nennt man diese Tage „die Zeit zwischen den Jahren“ – herausgerissen aus all den Zumutungen, ein magischer Zwischenraum. Weihnachten ist das Versprechen, dass alles gut wird. Kitsch? Vielleicht. Aber einmal im Jahr muss das erlaubt sein. Und was kann schon christlicher sein als der tiefe Wunsch nach Gemeinschaft?
Zumindest jetzt sollten wir empfänglich sein für frohe Botschaften
Dass der umso stärker wird, je mehr die Menschen im Alltag das Gefühl haben, alleine zu sein, ist freilich die Kehrseite unserer Weihnachtsfreude. Die kollektive Gemütslage dieses Jahres erschien oft düster. Der Vertrauensverlust in die Politik steigt und macht viele misstrauisch vor dem, was die Zukunft bereithält. Mit dem Begriff „Trumpismus“ ist sogar ein Wort kreiert worden für eine besonders zynische Form des Regierens. Verschwörungstheorien blühen, der Hass im Internet erschreckt und linke wie rechte Ideologen merken gar nicht, wie ähnlich sie sich in ihrer Form der überreizten Ausgrenzung des jeweils anderen sind. „Schicksalsjahr“ werden Jahre wie 2018 in Rückblicken gerne überschrieben. Doch gefühlt reiht sich seit Jahren ein Schicksalsjahr an das nächste. Das ermüdet und erschöpft. Und es hinterlässt den Eindruck, dass alles immer schlechter und schlimmer wird.
Dabei stimmt das gar nicht: Der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, nimmt stetig ab. Der Anteil der Menschen, die in Freiheit und Demokratie leben, nimmt dafür stetig zu. Krankheiten werden besiegt, Analphabetismus wird bekämpft, die Kindersterblichkeit sinkt. Die Last des Augenblicks mag den Blick für die nüchterne Realität verstellen. Doch vielleicht sollten wir gerade an Weihnachten einmal empfänglich für frohe Botschaften sein.
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