Welle der Entrüstung gegen Kardinal Meisner
"Geistiger Brandstifter", "schlimme Entgleisung", "völlig inakzeptabel": Dem Kölner Kardinal Joachim Meisner, der Kultur ohne Gottesbezug als "entartet" bezeichnet hatte, schlägt eine Welle der Entrüstung entgegen.
Köln (dpa) - "Geistiger Brandstifter", "schlimme Entgleisung","völlig inakzeptabel": Dem Kölner Kardinal Joachim Meisner, der Kulturohne Gottesbezug als "entartet" bezeichnet hatte, schlägt eine Welleder Entrüstung entgegen.
Der Zentralrat der Juden inDeutschland bezeichnete Meisner als "geistigen Brandstifter", derSprache missbrauche und gezielt Tabus breche. "Wenn das Schule macht,darf sich keiner wundern, wenn der braune Ungeist in Deutschland weitersalonfähig wird", sagte der Generalsekretär des Zentralrats der Judenin Deutschland, Stephan Kramer, im "Tagesspiegel am Sonntag".
Ineiner Predigt im Kölner Dom hatte Meisner (73) am Freitag gesagt:"Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppeltwird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet." DerSchriftsteller Ralph Giordano sagte im WDR, Meisner habe zwar keinenpositiven Bezug zum Nationalsozialismus herstellen wollen. "Abergeistig wabert aus dieser Zeit immer noch etwas herüber, und es wärebesser gewesen, wenn Kardinal Meisner dieses Wort nicht gebrauchthätte."
Der Künstler Gerhard Richter, der für den Kölner Dom einFenster entworfen hatte, sprach von einer "schlimmen Entgleisung". DasWort "entartet" dürfe nicht im Zusammenhang mit Kunst benutzt werden,sagte Richter der "Bild am Sonntag".
Die Nationalsozialstenhatten rund 16 000 moderne Kunstwerke beschlagnahmt. In München hatteHitlers Chef-Propagandist Joseph Goebbels eine Ausstellung "EntarteteKunst" initiiert. Sie zeigte 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32deutschen Museen. Die Bezeichnung "entartet" ist daher untrennbar mitdem Propagandaarsenal der Nazis verknüpft.
Zwar warf niemandMeisner vor, mit der Nazi-Hetze zu sympathisieren, ihre Sprache habe eraber nicht benutzen dürfen, meinten die Kritiker. "Diese Äußerung -selbst aus dem Zusammenhang gerissen - ist vom Inhalt wie von derSprache, wenn man das Wort "entartet" nutzt, für mich völliginakzeptabel", sagte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU).
DerKölner Generalvikar Dominik Schwaderlapp warf Meisners Kritikern vor,voreingenommen zu sein. "Der ausgelöste Wirbel zeigt, da fehlt dasnötige Wohlwollen, das man auch einem Kardinal Meisner entgegenbringenmuss", sagte Schwaderlapp. Die Reaktion der Öffentlichkeit habe Meisnergetroffen, zumal es diametral dem entgegengesetzt sei, was er gemeinthabe.
Meisner, der nach Rumänien reiste, entschuldigte sichnicht. Er bedauerte lediglich, dass die "Missinterpretation eineseinzelnen Wortes" die Schönheit der Feier zur Einweihung des neuenKölner Diözesanmuseums Kolumba überschattet habe. "Die Äußerung desKardinals wendet sich weder gegen bestimmte Kunstformen, Kunstwerkeoder Künstler, noch will sie irgendjemanden diskreditieren oder gardiffamieren", hieß es in einer Mitteilung des Erzbistums.
Vorknapp drei Jahren, als Meisner Abtreibungen mit dem Holocaustverglichen hatte, war er nach heftiger Kritik, unter anderem durch denZentralrat der Juden in Deutschland, von seiner Aussage abgerückt.
DasZentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) nannte Meisners Äußerungüber Kultur, die ohne Gottesbezug "entartet" sei, "indiskutabel". Erhabe Mitleid mit einem Mann, "der in jedes Fettnäpfchen tritt", sagteThomas Sternberg, kulturpolitischer Sprecher des ZdK, dem "KölnerStadt-Anzeiger". "Die Autonomie der Kunst ist in unserer Kirchetheologisch völlig unbestritten", sagte Sternberg.
Kommentatorenwarfen Meisner eine christlich-fundamentalistische Perspektive vor. DerFDP-Vorsitzende Guido Westerwelle nannte Meisners Aussage in der "Bildam Sonntag" "intolerant, ignorant und für einen so bedeutendenKirchenmann unwürdig". Der nordrhein-westfälische Kultur-StaatssekretärHans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU) sagte, bereits Meisners Kritik anRichters Fenster habe bewiesen, dass es wenig Sinn mache, mit ihm überKunst zu diskutieren. "Und das sage ich nicht nur alsKulturstaatssekretär, sondern auch als Katholik", sagteGrosse-Brockhoff.
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